4A_646/2018: Die Formvorschriften nach dem NYÜ schliessen eine Ausdehnung der Schiedsklausel auf Dritte nicht aus (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht befasste sich im zur Pub­lika­tion vorge­se­henen Entscheid 4A_646/2018 vom 17. April 2019 mit der Frage, ob unter dem New York­er Übereinkom­men vom 10. Juni 1958 über die Anerken­nung und Voll­streck­ung aus­ländis­ch­er Schiedssprüche (“NYÜ”) eine Schied­sklausel auch Per­so­n­en binden könne, die den Hauptver­trag nicht unterze­ich­net hätten.

Die Partei A (Klägerin und Beschw­erde­führerin) ist eine Aktienge­sellschaft nach slowenis­chem Recht mit Sitz in Ljubl­jana, Slowe­nien. Die Partei B (Beklagte und Beschw­erdegeg­ner­in) ist eine Aktienge­sellschaft in V.___/Aargau. Sie ist eine Gesellschaft der B‑Gruppe.

Im Okto­ber 2009 unterze­ich­nete die Klägerin eine als “Dis­tri­b­u­tion Agree­ment” beze­ich­nete Vere­in­barung, die eine Schied­sklausel enthielt. Nach dieser Klausel waren Stre­it­igkeit­en aus dem Ver­trag von einem Schieds­gericht mit Sitz in Ljubl­jana zu entscheiden.

Die Klägerin erhob Klage gegen die Beklagte vor dem Han­dels­gericht des Kan­tons Aar­gau. Die Beklagte erhob die Schied­seinrede. Zwis­chen den Parteien war stre­it­ig, wer gemäss dem Dis­tri­b­u­tion Agree­ment Ver­tragspart­ner (in der Vere­in­barung als “Dis­trib­u­tor” beze­ich­net) der Klägerin war. Unterze­ich­net war die Vere­in­barung von der Klägerin sowie von ein­er Per­son, die einzelze­ich­nungs­berechtigtes Mit­glied des Ver­wal­tungsrates sowohl der Beklagten als auch ein­er weit­eren Gesellschaft der B‑Gruppe war. Unbe­strit­ten war indes, dass die Klägerin und die Beklagte seit dem Jahre 2006 in ein­er geschäftlichen Beziehung standen.

Mit Urteil vom 5. Novem­ber 2018 trat das Han­dels­gericht des Kan­tons Aar­gau auf die Klage nicht ein und ver­wies die Klägerin im Sinne von Art. II Abs. 3 des NYÜ auf das Schiedsver­fahren. Die Klägerin erhob Beschw­erde gegen diesen Entscheid.

Die Beschw­erde­führerin warf der Vorin­stanz vor, sie habe den For­m­man­gel der im Dis­tri­b­u­tion Agree­ment enthal­te­nen Schied­sklausel zu Unrecht gestützt auf das Rechtsmiss­brauchsver­bot auss­er Acht gelassen und damit Art. II Abs. 2 des NYÜ ver­let­zt. Sie rügte, ihre Beru­fung auf den For­m­man­gel (fehlende Unter­schrift der Beschw­erdegeg­ner­in) sei ent­ge­gen dem ange­focht­e­nen Entscheid nicht rechtsmiss­bräuch­lich. Sie führte ins Feld, dass der Grund­satz der Autonomie der Schiedsvere­in­barung im Ver­hält­nis zum Hauptver­trag zu beacht­en sei, wonach das Schick­sal der Schiedsvere­in­barung nicht dem­jeni­gen des Hauptver­trags fol­gt. Der Umstand, dass der (form­los gültige) Hauptver­trag erfüllt wor­den sei, führe nicht ohne Weit­eres dazu, dass die Beru­fung auf die For­mungültigkeit der Schied­sklausel miss­bräuch­lich wäre. Die Beschw­erde­führerin wies auch darauf hin, dass ihre Klageein­leitung vor einem staatlichen Gericht ger­ade zeige, dass sie bere­its zu diesem Zeit­punkt von der Unwirk­samkeit der Schiedsvere­in­barung aus­ge­gan­gen sei. Das Bun­des­gericht fol­gte diesen Argu­menten. Es erk­lärte, dass kein wider­sprüch­lich­es Ver­hal­ten der Beschw­erde­führerin vor­liegen würde, das eine Beru­fung auf den For­m­man­gel der Schiedsvere­in­barung als rechtsmiss­bräuch­lich erscheinen liesse.

Die Vorin­stanz hat­te auf eine abschliessende Prü­fung verzichtet, ob eine Wil­len­sübere­in­stim­mung betr­e­f­fend die Parteien des Ver­trags im Zeit­punkt des Abschlusses des Dis­tri­b­u­tion Agree­ment bestand. Die Vorin­stanz erwog, dass die bei­den Ver­fahrensparteien selb­st dann an die Schiedsvere­in­barung im Dis­tri­b­u­tion Agree­ment gebun­den wären, wenn diese nicht bere­its beim Ver­tragss­chluss zwis­chen ihnen abgeschlossen wor­den wäre. Sie begrün­dete dies damit, dass das Dis­tri­b­u­tion Agree­ment von Beginn an und über Jahre hin­weg im Ein­ver­ständ­nis sämtlich­er Beteiligter von der Beschw­erdegeg­ner­in erfüllt wor­den sei.

Nach der Recht­sprechung des Bun­des­gerichts zu Art. 178 IPRG umfasst die Zuständigkeits­frage auch diejenige nach der sub­jek­tiv­en Trag­weite der Schiedsvere­in­barung. Nach dem Grund­satz der Rel­a­tiv­ität ver­traglich­er Verpflich­tun­gen bindet eine Schied­sklausel in einem Schuld­ver­trag grund­sät­zlich nur die Ver­tragsparteien. Allerd­ings bejaht das Bun­des­gericht in sein­er Recht­sprechung, dass eine Schied­sklausel unter gewis­sen Voraus­set­zun­gen auch Per­so­n­en binden könne, die den Ver­trag nicht unterze­ich­net haben und darin auch nicht erwäh­nt wür­den, wie etwa bei der Abtre­tung ein­er Forderung, bei ein­er Schuldüber­nahme oder bei ein­er Ver­tragsüber­nahme. Auch bei einem Drit­ten, der sich in den Vol­lzug eines Ver­trags mit ein­er Schied­sklausel ein­mis­che, wird in kon­stan­ter Recht­sprechung angenom­men, er habe der Schied­sklausel durch kon­klu­dentes Han­deln zugestimmt.

Das Bun­des­gericht argu­men­tierte, es leuchte nicht ein, weshalb diese Grund­sätze der Aus­dehnung ein­er zwis­chen den ursprünglichen Ver­tragsparteien for­mgültig abgeschlosse­nen Schiedsvere­in­barung auf Dritte, obwohl diese die vorge­se­hene Form nicht einge­hal­ten haben, im Anwen­dungs­bere­ich des New York­er Übereinkom­mens auss­er Betra­cht bleiben müssten. Nach bun­des­gerichtlich­er Recht­sprechung deck­en sich die formellen Voraus­set­zun­gen von Art. II Abs. 2 NYÜ mit den­jeni­gen von Art. 178 Abs. 1 IPRG. Auch der im ange­focht­e­nen Entscheid erwäh­nte Umstand, wonach der Wort­laut von Art. II Abs. 2 NYÜ ver­langt, dass die “Parteien” eine Schiedsvere­in­barung unterze­ich­nen bzw. Briefe oder Telegramme wech­seln, schliesse eine Aus­dehnung der Schied­sklausel auf Dritte nicht aus. Vielmehr sei “von den Parteien unterze­ich­net” (“signed by the par­ties”) dahinge­hend zu ver­ste­hen, dass die Schiedsvere­in­barung von den (ursprünglichen) Ver­tragsparteien im Zeit­punkt des Ver­tragsab­schlusses unterze­ich­net wer­den müsse (d.h. im Sinne von “signed by the par­ties at the time of con­clud­ing the con­tract”), weshalb etwa bei ein­er Über­tra­gung von Recht­en und Pflicht­en aus einem Ver­trag auf eine Drittper­son diese im Hin­blick auf die Bindung an die darin enthal­tene Schied­sklausel keine weit­eren For­mvorschriften zu erfüllen habe. Dies ste­he gemäss Bun­des­gericht im Ein­klang mit der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung, wonach das For­mer­forder­nis von Art. 178 Abs. 1 IPRG nur für die Wil­lenserk­lärun­gen der (ursprünglichen) Parteien der Schiedsvere­in­barung gel­ten würde, während sich die Bindung Drit­ter nach dem anwend­baren materiellen Recht richte.

Gemäss Bun­des­gericht sei daher davon auszuge­hen, dass sich die Abgren­zung zwis­chen formeller und materieller Gültigkeit der Aus­dehnung ein­er Schiedsvere­in­barung auf eine Drittper­son unter der Anwend­barkeit des New York­er Übereinkom­mens nicht abwe­ichend von der beschriebe­nen bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung gestalte. Die Bindung der Beschw­erdegeg­ner­in, die sich in den Vol­lzug des Dis­tri­b­u­tion Agree­ment eingemis­cht habe, betr­e­ffe dem­nach nicht das For­mer­forder­nis der Schiedsvere­in­barung, son­dern beurteile sich nach dem materiellen Recht.

Die Beschw­erdegeg­ner­in habe sich in den Vol­lzug dieser Vere­in­barung eingemis­cht und damit zu erken­nen gegeben, sie habe der darin enthal­te­nen Schied­sklausel zuges­timmt. Die Vorin­stanz sei daher zu Recht davon aus­ge­gan­gen, dass das im ange­focht­e­nen Entscheid fest­gestellte Ver­hal­ten nach der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung zur Bindung an die for­mgültig abgeschlossene Schiedsvere­in­barung führt. Dass nach dem auf die Schiedsvere­in­barung anwend­baren materiellen Recht eine solche Bindungswirkung aus­ge­blieben wäre, habe die Beschw­erde­führerin nicht aufgezeigt.

Die Schiedsvere­in­barung wäre dem­nach selb­st unter der Annahme, dass sie nicht bere­its im Okto­ber 2009 zwis­chen den bei­den Ver­fahrensparteien abgeschlossen wurde, nach Art. II Abs. 2 NYÜ verbindlich. Entsprechend sei die Vorin­stanz im Ergeb­nis zutr­e­f­fend davon aus­ge­gan­gen, dass die von der Beschw­erde­führerin eingeklagten Forderun­gen von der im Dis­tri­b­u­tion Agree­ment enthal­te­nen Schied­sklausel erfasst seien und damit der schieds­gerichtlichen Zuständigkeit unter­liegen wür­den. Sie sei daher zu Recht gestützt auf Art. II Abs. 3 NYÜ auf die Klage nicht eingetreten.