4A_196/2019: Einwendung der in den AVB vorgesehenen Anspruchsverwirkung durch eine Versicherung / Wirkung der Unterzeichnung eines Verjährungsverzichts und Weiterführung der Gespräche mit dem Anspruchsberechtigten

In seinem Urteil vom 10. Juli 2019 befasst sich das Bun­des­gericht mit der Frage des Zusam­men­spiels zwis­chen ein­er Ver­fal­lk­lausel (Art. 46 Abs. 2 VVG) und der geset­zlichen Ver­jährungs­frist von Versicherungsansprüchen.

Dem Urteil lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Am 13. Okto­ber 2014 ereignete sich ein Brand in den Geschäft­sräum­lichkeit­en ein­er GmbH, welche den Schadens­fall Tags darauf bei der Ver­sicherung meldete. Mit Schreiben vom 17. Novem­ber 2015 erk­lärte die Ver­sicherung gegenüber der GmbH, sie werde zufolge divers­er Wider­sprüche und Ungereimtheit­en auf das Schadensereig­nis nicht ein­treten und kein­er­lei Leis­tun­gen erbrin­gen, vor­be­hältlich der Besei­t­i­gung ihrer Zweifel an der Unfrei­willigkeit des Schadensfalls.

Nach ein­er Besprechung und auf entsprechende Anfrage des Rechtsvertreters hin, hielt die Ver­sicherung in einem Schreiben vom 4. März 2016 fol­gen­des fest:

Wir sind bere­it, […] auf die Einrede der Ver­jährung zu verzicht­en, soweit diese bis zum heuti­gen Zeit­punkt nicht schon einge­treten ist. Alle übri­gen Rechte, Einre­den und Ein­wen­dun­gen behal­ten wir uns vor.” 

Am 30. März 2016 hielt die Ver­sicherung aber­mals an der Ablehnung der Entschädi­gungs­forderung fest. In der Zwis­chen­zeit wurde der Konkurs über die GmbH eröffnet.

Nach Abtre­tung der Mas­saforderun­gen gegenüber der Ver­sicherung an den Beschw­erde­führer nach Art. 260 SchKG, erhob dieser mit Eingabe vom 1. Feb­ru­ar 2018 Klage auf Zahlung der Ver­sicherungsleis­tun­gen gegen die Ver­sicherung beim Han­dels­gericht des Kan­tons Aar­gau. Das Han­dels­gericht wies die Klage u.a. mit der Begrün­dung ab, dass die Entschädi­gungs­forderung gemäss den All­ge­meinen Ver­sicherungs-Bedin­gun­gen (ABV) ver­wirkt sei. Die ABV der Ver­sicherung sahen näm­lich vor, dass eine Entschädi­gungs­forderung bei ein­er Ablehnung der Leis­tungspflicht der Ver­sicherung ver­wirkt, wenn der Anspruchs­berechtigte seine Ansprüche nicht innert zwei Jahren nach Ein­tritt des Ereigniss­es gerichtlich gel­tend macht.

Daraufhin erhob der Beschw­erde­führer Beschw­erde beim Bun­des­gericht, welch­es die Beschw­erde abwies.

Das Bun­des­gericht rief zunächst seine bish­erige Prax­is zur Ungewöhn­lichkeit­sregel in Erin­nerung, wonach diese Regel nur dann zur Anwen­dung komme, wenn neben der sub­jek­tiv­en Voraus­set­zung des Fehlens von Branch­en­er­fahrung die betr­e­f­fende Klausel objek­tiv beurteilt einen geschäfts­frem­den Inhalt aufweist. Dies sei dann zu beja­hen, wenn sie zu ein­er wesentlichen Änderung des Ver­tragscharak­ters führt oder in erhe­blichem Masse aus dem geset­zlichen Rah­men des Ver­tragsty­pus fällt. Je stärk­er eine Klausel die Rechtsstel­lung des Ver­tragspart­ners beein­trächtige, desto eher sei sie als ungewöhn­lich zu qual­i­fizieren (E. 2.1).

In dieser Hin­sicht schützte das Bun­des­gericht die Vorin­stanz und bestätigte, dass die zu beurteilende vor­for­mulierte Bes­tim­mung nicht ungewöhn­lich sei (eine zeitliche Beschränkung für den Fall der Ablehnung sei nach ständi­ger Recht­sprechung branchenüblich), selb­st wenn in gewis­sen Aus­nah­me­fällen der Anspruch bere­its vor der Fäl­ligkeit ver­wirken könne, was aber im konkreten Fall nicht vor­liege. Wenn der Bestand eines Anspruchs an die Beobach­tung ein­er Frist geknüpft ist, sei ein schuld­los säu­miger Ver­sicherungsnehmer schliesslich nach Art. 45 Abs. 3 VVG befugt, die entsprechende Hand­lung sofort nach Besei­t­i­gung des Hin­derniss­es nachzu­holen (E. 2.2).

Ausser­dem befand das Bun­des­gericht, dass sich die Ver­sicherung auf die Ein­wen­dung der Anspruchsver­wirkung berufen dürfe, obschon sie einen Ver­jährungsverzicht unterze­ich­net und die Gespräche mit dem Beschw­erde­führer weit­erge­führt habe. Das Bun­des­gericht schützte die Mei­n­ung der Vorin­stanz und qual­i­fizierte die ABV Bes­tim­mung als (zuläs­sige) Ver­fal­lk­lausel (Art. 46 Abs. 2 VVG). Es führte aus, dass eine Ver­fal­lk­lausel und eine geset­zliche Ver­jährungs­frist sich nicht gegen­seit­ig auss­chliessen wür­den, son­dern nebeneinan­der beste­hen und voneinan­der zu unter­schei­den seien. Die zwei­jährige Frist der Ver­fal­lk­lausel bleibe deshalb grund­sät­zlich durch die Erk­lärung, für eine bes­timmte Zeit auf die Einrede der Ver­jährung zu verzicht­en, unbee­in­flusst und laufe weit­er. Aus diesem Grunde müsse der Anspruchs­berechtigte gegebe­nen­falls sowohl die Ver­jährung unter­brechen als auch die für die Wahrung der Ver­wirkungs­frist ver­traglich vorge­se­hene Recht­shand­lung vornehmen. Ein Gericht sei auch ohne parteiliche Ein­wen­dung gehal­ten, die Forderung auf­grund der Recht­san­wen­dung von Amtes wegen abzuweisen, da ein an eine Präk­lu­sions­frist gebun­den­er Anspruch mit Fristablauf an sich unterge­he (E. 3.1).

Schliesslich han­delte die Ver­sicherung nach Ansicht des Bun­des­gerichts nicht rechtsmiss­bräuch­lich (venire con­tra fac­tum pro­pri­um), wenn sie ein­er­seits auf Anfrage des Rechtsvertreters des Beschw­erde­führers hin schriftlich erk­lärte, einst­weilig auf die Einrede der Ver­jährung zu verzicht­en und sich ander­er­seits im anschliessenden Prozess auf den Anspruch­sun­ter­gang berief, zumal die Vorin­stanz den Forderungsver­fall auch von Amtes wegen hätte berück­sichti­gen müssen. Die Ver­sicherung habe sich zudem “[a]lle übri­gen Rechte, Einre­den und Ein­wen­dun­gen” aus­drück­lich vor­be­hal­ten; insofern der anwaltlich vertretene Beschw­erde­führer die Präk­lu­sions- und Ver­jährungs­frist miteinan­der ver­mengt haben sollte, wäre das ihm selb­st zuzuschreiben (E. 3.3).