In diesem Entscheid vom 29. Juli 2019 hatte das Bundesgericht die Beschwerde einer Versicherung im Zusammenhang mit einer dem VVG unterstehenden kollektiven Krankentaggeldversicherung zu beurteilen. Streitig war zwischen den Parteien vor Bundesgericht noch, welche Übergangsfrist die Versicherung dem Arbeitnehmer vor Einstellung ihrer Leistungen zu gewähren hat. Das Bundesgericht bestätigte die Anwendbarkeit der von Art. 21 Abs. 4 ATSG entwickelten Grundsätze auch im Bereich der Taggeldversicherung nach VVG und die Angemessenheit einer Übergangsfrist von 3.5 bzw. 4 Monaten, um mittels eines Berufswechsels eine dem Leiden besser angepasste Tätigkeit aufzunehmen. Die Übergangsfrist dient nicht nur der Umschulung, sondern vielmehr generell der Anpassung und Stellensuche.
Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Arbeitnehmer war seit dem 13. Februar 2014 über seine Arbeitgeberin bei der Beschwerdeführerin kollektiv krankentaggeldversichert. Am 26. Oktober 2014 meldete die Arbeitgeberin eine Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers von 100%. Am 21. Mai 2015 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer. Am 10. November 2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie werde ihre Leistungen per 1. Januar 2016 einstellen (ca. 1.5 Monate).
Am 16. Dezember 2015 unterbreitete die Beklagte eine Schlussabrechnung mit Taggeldleistungen bei einer Arbeitsunfähigkeit von 100% bis 31. Dezember 2015. Daraufhin hielt die Versicherung an der Einstellung der Taggeldleistungen per 31. Dezember 2015 fest.
Etwa ein Jahr später reichte der Arbeitnehmer eine Klage gegen die Versicherung beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ein und verlangte die Zahlung von Krankentaggeldern über den 31. Dezember 2015 hinaus, nämlich für die Zeit vom 1. Januar bis 29. Februar 2016 auf der Basis einer Arbeitsunfähigkeit von 100% und ab 1. März 2016 einer solchen von 40%.
Das Sozialversicherungsgericht hiess die Klage teilweise gut und verpflichtete die Versicherung, dem Arbeitnehmer Krankentaggelder entsprechend einer Arbeitsunfähigkeit von 100% im Sinne einer Übergangsfrist bis am 29. Februar 2016 zu bezahlen. Es hielt fest, dass gemäss der von der Versicherung veranlassten Beurteilung in der angestammten Tätigkeit des Arbeitnehmers keine Arbeitsfähigkeit mehr bestanden habe, in einer den körperlichen Beeinträchtigungen angepassten Tätigkeit hingegen eine volle Arbeitsfähigkeit. Mithin habe die den Taggeldanspruch begründende Arbeitsunfähigkeit in dem Zeitpunkt geendet, in dem vom Arbeitnehmer die Aufnahme einer angepassten Tätigkeit habe erwartet werden können. Gemäss Art. 10 Ziff. 3 lit. a der Allgemeinen Bedingungen für die Kollektiv-Krankenversicherung (Ausgabe 2008) der Versicherung („AB“) habe die versicherte Person zur Schadenminderung ihre bisherige Tätigkeit anzupassen oder eine andere zumutbare Tätigkeit auszuüben, wozu sie unter Ansetzung einer angemessenen Frist aufgefordert werde (E. 3.1). Rechtsprechungsgemäss seien gemäss dem Sozialversicherungsgericht die im Rahmen von Art. 21 Abs. 4 ATSG entwickelten Grundsätze auch im Bereich der Taggeldversicherung nach VVG anwendbar. Für die zu beurteilende Frage – welche Frist für einen (schadensmindernden) Berufswechsel als angemessen gelte – könne zudem auf die Praxis zu Art. 6 Satz 2 ATSG zur im Wesentlichen gleichen Fragestellung zurückgegriffen werden: Wenn von der versicherten Person erwartet werde, dass sie mittels eines Berufswechsels eine ihrem Leiden besser angepasste Tätigkeit aufnehme, sei ihr dafür eine Übergangsfrist von 3–5 Monaten […] bzw. “üblicherweise” 4 Monaten […] einzuräumen.
Das Sozialversicherungsgericht verwarf den Standpunkt der Versicherung, wonach die Übergangsfrist unterschritten werden könne, da dem Arbeitnehmer die Dienste der Arbeitslosenversicherung zur Verfügung stünden (E. 3.1).
Gegen diesen Entscheid erhob die Versicherung Beschwerde vor Bundesgericht. Gegen den Entscheid der Vorinstanz wendete sie u.a. ein, dass der Arbeitnehmer keiner Umschulung bedürfe, da er diese bereits im September 2011 mit sehr gutem Erfolg abgeschlossen habe. Es habe auch kein aufzulösendes Arbeitsverhältnis bestanden, welches die Übergangsfrist rechtfertige. Es wäre vielmehr am Arbeitnehmer gewesen, im Rahmen seiner Schadenminderungspflicht gemäss Art. 61 Abs. 1 VVG (konkretisiert in Art. 10 Ziffer 3 lit. b. AB) seine Ansprüche gegenüber der Arbeitslosenversicherung – der zuständigen Sozialversicherungsstelle – anzumelden.
Das Bundesgericht erwog, dass es sich bei der Bemessung der Übergangsfrist für einen Berufswechsel um einen Ermessensentscheid handle, den das Bundesgericht grundsätzlich frei prüft, wobei es nur in Ausnahmefällen einschreite (E. 3.3.1). Es bestätigte die Ausführungen der Vorinstanz und verwarf die Rüge der Versicherung:
Zusammen mit der Abmahnung zum Berufswechsel muss dem Versicherten eine angemessene Übergangsfrist eingeräumt werden, während derer er sich anpassen und eine neue Stelle finden kann. Wie die Vorinstanz zu Recht festhält, hat sich in der sozialversicherungsrechtlichen Rechtsprechung diesbezüglich eine Frist von 3–5 Monaten etabliert, welche auch im Rahmen von Krankentaggeldversicherungen Gültigkeit beansprucht […]. (E. 3.3.2)
[Die] zu gewährende Übergangsfrist dient nicht nur der Umschulung, sondern vielmehr generell der Anpassung und Stellensuche […]. Aus dem Zweck der Übergangsfrist folgt, dass während dieser Frist Taggelder weiterhin gemäss der Arbeitsunfähigkeit im angestammten Beruf zu leisten sind […]. (E. 3.3.3)
In Bezug auf das Vorbringen der Versicherung, der Arbeitnehmer hätte sich bei der Arbeitslosenversicherung melden müssen, erwog das Bundesgericht, dass nach Art. 28 Abs. 2 AVIG auch private Krankentaggelder von der Arbeitslosenentschädigung abgezogen werden, sodass die Rüge fehlgehe. Die zu gewährende Übergangsfrist von praxisgemäss 3–5 Monaten könne jedenfalls vorliegend nicht mit dem Argument unterschritten werden, die Versicherung hätte den Arbeitnehmer der Arbeitslosenversicherung zuweisen können. Auf jeden Fall mache die Versicherung nicht rechtsgenügend geltend, der Arbeitnehmer hätte den Berufswechsel bzw. die Erzielung von Erwerbseinkommen torpediert (E. 3.3.4).