4D_65/2018: Verfahrenssprache in zweisprachigen Kantonen (amtl. Publ.)

Gegen­stand dieses Urteils bildete ein Ver­fahren um Miet­zin­sher­ab­set­zung, welch­es ein im Kan­ton Fri­bourg wohn­hafter Mieter gegen seine Ver­mi­eterin mit Sitz in Lau­sanne anstrengte. Gegen den Entscheid des Tri­bunal des baux de l’arrondissement de la Sarine reichte der Mieter eine in Deutsch ver­fasste Beschw­erde beim Kan­ton­s­gericht Fri­bourg ein. Die beklagte Ver­mi­eterin machte daraufhin gel­tend, dass ihre Organe der deutschen Sprache nicht mächtig seien, weshalb sie beantragten, dass der Mieter seine Beschw­erde in franzö­sisch einzure­ichen solle. Ein­er entsprechen­den Auf­forderung des Kan­ton­s­gerichts kam der Mieter nicht nach, woraufhin das Kan­ton­s­gericht andro­hungs­gemäss auf dessen Beschw­erde nicht ein­trat. Gegen diesen Nichtein­tretensentscheid erhob der Mieter eine in Deutsch ver­fasste sub­sidiäre Ver­fas­sungs­beschw­erde an das Bun­des­gericht, welch­es diese guthiess. Da der ange­focht­ene Entscheid des Kan­ton­s­gerichts Fri­bourg in franzö­sisch ver­fasst war, erg­ing das Urteil des Bun­des­gericht eben­falls in franzö­sisch (Art. 54 Abs. 1 BGG).

Das Bun­des­gericht zitierte zunächst aus der Ver­fas­sung des Kan­tons Fri­bourg („KV/FR“), in welch­er fest­ge­hal­ten wird, dass franzö­sisch und deutsch die bei­den Amtssprachen des Kan­tons darstellen (Art. 6 Abs. 1 KV/FR) sowie wonach die Sprach­frei­heit garantiert sei und sich jede Per­son in ein­er Amtssprache sein­er Wahl an die Behörde richt­en dürfe (Art. 17 Abs. 2 KV/FR) (E. 2.1.1). Sodann ver­wies das Bun­des­gericht auf die ein­schlägi­gen Bes­tim­mungen aus dem Jus­tizge­setz des Kan­tons Fri­bourg (Art. 115–119), mit welchem unter anderem die Ver­fahrenssprache gemäss Art. 129 ZPO geregelt wird (E. 2.1.2).

Sodann erin­nerte das Bun­des­gericht an seine Erwä­gun­gen in BGE 136 I 149, wo es sich zur Trag­weite von Art. 17 Abs. 2 KV/FR geäussert und entsch­ieden hat­te, dass in einem ver­wal­tungsrechtlichen Ver­fahren ein Ver­fü­gungsadres­sat seine Beschw­erde­schrift unab­hängig von der Ver­fahrenssprache in der Amtsspraches ein­er Wahl ein­re­ichen dürfe. Gestützt auf die Grund­sätze, wonach eine Ver­fas­sungsnorm Vor­rang vor ein­er Geset­zes­norm habe („lex supe­ri­or dero­gat legi infe­ri­ori“) sowie wonach eine jün­gere Norm ein­er älteren vorge­he („lex pos­te­ri­or dero­gat legi pri­ori“), erwog das Bun­des­gericht, dass die kan­tonalen Ver­fahrens­bes­tim­mungen nicht anwend­bar seien, soweit sie im Wider­spruch zur jün­geren Ver­fas­sungs­bes­tim­mung von Art. 17 Abs. 2 KV/FR ste­hen (E. 2.2). Das Kan­ton­s­gericht Fri­bourg wich vor­liegend aus­drück­lich von diesem Urteil ab und begrün­dete dies mit den grund­sät­zlichen Unter­schieden zwis­chen einem ver­wal­tungsrechtlichen und einem zivil­rechtlichen Ver­fahren. Der Kon­flikt zwis­chen der Sprachen­frei­heit bei­der Parteien müsse – so das Kan­ton­s­gericht – zugun­sten der beklagten Partei gelöst wer­den. Da die Organe der Ver­mi­eterin der deutschen Sprache nicht mächtig seien, wäre die beklagte Ver­mi­eterin – würde dem kla­gen­den Mieter ges­tat­tet wer­den, seine Beschw­erde auf deutsch einzure­ichen – gezwun­gen, einen neuen, zweis­prachi­gen Vertreter zu bestellen, der die deutschen Eingaben über­set­zen müsste (E. 2.4.3.2). Das Grun­drecht der Ver­mi­eterin als beklagte Partei recht­fer­tige deshalb eine Ein­schränkung des Grun­drechts des Mieters als kla­gende Partei gemäss Art. 17 Abs. 2 KV/FR (E. 2.3).

Das Bun­des­gericht fol­gte dieser Erwä­gung nicht. Das Grun­drecht gemäss Art. 17 Abs. 2 KV/FR berechtige eine Partei, in einem Zivil­ver­fahren ihre Beschw­erde­schrift vor dem Kan­ton­s­gericht unab­hängig von der Ver­fahrenssprache in ein­er Amtssprache einzure­ichen (E. 2.6). Eine Ein­schränkung dieses Grun­drechts ver­let­ze den Grund­satz der Ver­hält­nis­mäs­sigkeit (E.2.4.3 und E. 2.4.3.3). Sodann beste­he kein hin­re­ichen­des öffentlich­es Inter­esse, ein­er Partei vor einem zweitin­stan­zlichen Gericht die Ver­wen­dung ihrer Mut­ter­sprache zu ver­wehren, was sich aus den Erfahrun­gen auf Bun­de­sebene und in anderen zweis­prachi­gen Kan­to­nen zeige (E. 2.4.3.3).

Zur Begrün­dung führte das Bun­des­gericht unter anderem Fol­gen­des aus: Es äusserte zunächst seine Ver­wun­derung über die Leichtigkeit der Entschei­d­be­grün­dung des Kan­ton­s­gerichts, zumal dieses verkenne, dass ein neuer, zweis­prachiger Vertreter der Ver­mi­eterin lediglich über pas­sive Sprachken­nt­nisse ver­fü­gen müsse. Weit­er erwog das Bun­des­gericht, dass es für eine Partei zwar eine Unanehm­lichkeit darstelle, wenn die Gegen­partei vor zweit­er Instanz ihre Eingaben in ein­er Amtssprache ein­re­icht, die nicht Ver­fahren­sprache ist. Dies sei indessen bei der Inter­essen­ab­wä­gung im Zuge der Prü­fung des Ver­hält­nis­mäs­sigkeit­sprinzips nicht entschei­dend. Die Partei könne sich nach wie vor in ihrer eige­nen Sprache aus­drück­en und die Behörde führe das Ver­fahren weit­er­hin in der Ver­fahrenssprache. An solche Unan­nehm­lichkeit­en müssten sich Ver­fahrensparteien in einem zweis­prachi­gen Kan­ton anpassen. Demge­genüber werde ein­er Partei, hier ins­beson­dere dem Mieter als der gegenüber dem Ver­mi­eter schwächeren Partei, die Möglichkeit genom­men, sich vor ein­er für den ganzen Kan­ton zuständi­gen Behörde in ihrer Mut­ter­sprache zu äussern, wenn ihr Grun­drecht der freien Wahl der Amtssprache eingeschränkt werde. Die Kon­se­quen­zen für eine Partei, die in einem Zivil­ver­fahren – primär beim Ver­fassen der Rechtss­chriften – in Abwe­ichung ihres Rechts gemäss Art. 17 Abs. 2 KV/FR eine andere Sprache ver­wen­den müsse, seien denn auch weitre­ichen­der als für die Gegen­partei, die lediglich über pas­sive Sprachken­nt­nisse ver­fü­gen müsse (E. 2.4.3.2).

Der von einem Teil der Lehre im Nach­gang an BGE 136 I 149 geäusserten Ansicht, wonach Art. 129 ZPO und Art. 67 StPO zwin­gend eine ein­heitliche Sprache ver­lan­gen wür­den, könne – so das Bun­des­gericht weit­er – nicht gefol­gt wer­den. Zunächst ergebe kein Ausle­gungse­le­ment ein solch­es Resul­tat. Im Gegen­teil: Der Wort­laut von Art. 129 ZPO über­lasse die Sprachregelung den Kan­to­nen mit mehr als ein­er Amtssprache gän­zlich sel­ber. Sodann sei es ohne Weit­eres möglich, die Ver­fahrenssprache von der Sprache einzel­ner Prozesshand­lun­gen der Parteien zu tren­nen. Das Bun­des­gericht ver­weist dabei auf die Bes­tim­mungen im BGG sowie ander­er mehrsprachiger Kan­tone (E. 2.5).