4A_602/2018: Eisenbahnhaftpflicht; Genugtuung für Person, die vor den Zug gestossen wurde

A. wurde auf einem Bahn­steig der SBB von B. unter die ein­fahrende S‑Bahn gestossen und dabei schw­er ver­let­zt. B. wurde im Strafver­fahren u.a. wegen ein­er psy­chi­a­trischen Erkrankung für schul­dun­fähig erklärt.

Das Han­dels­gericht Zürich sprach dem Opfer zulas­ten der SBB als Eigen­tümerin der S‑Bahn einen Betrag als Genug­tu­ung zu (Urteil vom 5. Okto­ber 2018, HG170078‑O). Der Tatbe­stand der Gefährdung­shaf­tung gemäss Art. 40b Abs. 1 EBG sei erfüllt, da sich das mit dem Betrieb ein­er Eisen­bahn ver­bun­dene charak­ter­is­tis­che Risiko ver­wirk­licht habe und eine Ent­las­tung oder Kürzung der Genug­tu­ung auf­grund der Drit­tein­wirkung aus­geschlossen sei. Gegen diesen Entscheid erhoben die SBB Beschw­erde in Zivil­sachen, welche das Bun­des­gericht jedoch abwies (Urteil 4A_602/2018 vom 28. Mai 2019).

Das Bun­des­gericht befasste sich ins­beson­dere mit der Frage, ob sich die SBB von der Gefährdung­shaf­tung für den Betrieb der Eisen­bahn auf­grund des Ver­hal­tens von B. im Sinne von Art. 40c Abs. 2 lit. b EBG ent­las­ten kon­nten bzw. ob der adäquate Kausalzusam­men­hang durch grobes Drittver­schulden unter­brochen wor­den war (E. 3). Das Gericht verneinte eine Ent­las­tungsmöglichkeit im vor­liegen­den Fall.

Das höch­ste Gericht liess ins­beson­dere das Argu­ment nicht gel­ten, wonach der Geset­zge­ber neue Ent­las­tungs­gründe zugun­sten der SBB in das EBG aufgenom­men habe. Wie schon die Vorin­stanz aus den Mate­ri­alien geschlossen habe, diene die Ausweitung und offene For­mulierung von Art. 40c Abs. 2 lit. b EBG lediglich dazu, die Ver­ant­wor­tung der Bah­nun­ternehmen für Suizide im Zus­tand der Urteil­sun­fähigkeit auszuschliessen. Im vor­liegen­den Fall sei aber das Ver­hal­ten des urteil­sun­fähi­gen B. nicht mit dem Ver­hal­ten von Per­so­n­en gle­ichzuset­zen, die sich zwecks Selb­st­tö­tung selb­st unter den ein­fahren­den Zug wer­fen (E. 3.4.2).

Zudem kommt das Bun­des­gericht zum Schluss, dass Per­so­n­en, die auf einem Per­ron auf einen Zug warten, von anderen Pas­sagieren aus unter­schiedlichen Grün­den auf die Geleise gestossen wer­den kön­nen und dies nicht der­art vom nor­malen Geschehen abwe­icht, als damit schlichtweg nicht zu rech­nen wäre. Fol­glich trete der Stoss ein­er Drittper­son in den Hin­ter­grund und der adäquate Kausalzusam­men­hang werde dadurch nicht unter­brochen (E. 3.4.1 und 3.4.3). Das Bun­des­gericht ver­weigerte auch eine Reduk­tion der Genug­tu­ung wegen des Drittver­hal­tens (E. 4).