Das Bundesgericht klärte in diesem Urteil, dass ein faktisches Organ einer Aktiengesellschaft nicht kraft dessen Organfunktion im Namen der Gesellschaft Rechtsgeschäfte eingehen könne. Vielmehr müsse geprüft werden, ob das faktische Organ als zivilrechtlicher Vertreter i.S.v. Art. 32 ff. OR handle.
Zusammengefasst lag folgender Sachverhalt vor: Die A. AG und die B. Inc. schlossen im November 2010 drei Verträge über den Verkauf und Rückkauf von (veredelten) Rohstoffen ab. Diese Verträge wurden weder durch die formellen Organe der jeweiligen Gesellschaft ausgehandelt noch durch diese unterzeichnet. Vielmehr handelte die B. Inc. durch den an der Gesellschaft wirtschaftlich Berechtigten. Für die A. AG handelte eine Person, deren Name im gesamten Verfahren nicht erstellt wurde, mit einer bildlichen Unterschrift (“signature figurative”), die aus einer grossen Schleife mit drei kleinen Kreisen bestand. Dieser “mystérieux signataire à la signature figurative” (so die Bezeichnung des Bundesgerichts; nachfolgend mit “geheimnisvoller Unterzeichner” bezeichnet), unterzeichnete die Verträge auf dem Siegel der A. AG (“sur le timbre humide de A.”). Während dem Gerichtsverfahren reichten beide Parteien deren Exemplare der der Verträge ein. Auf den von der A. AG eingereichten Exemplaren war zusätzlich die Unterschrift des einzigen Verwaltungsrats der A. AG angebracht, was gemäss Feststellungen der kantonalen Gerichte nach der Unterzeichnung durch den geheimnisvollen Unterzeichner erfolgte.
Am 28. Mai 2012 unterzeichneten die A. AG und die B. Inc. eine Vereinbarung zwecks Regelung der bei der Erfüllung der drei Verträge entstandenen Schwierigkeiten. In dieser Vereinbarung verpflichtete sich die A. AG, der B. Inc. einen Betrag von USD 2’064’464 zu bezahlen. Für die B. Inc. unterzeichnete der alleinige Geschäftsführer (“unique directeur”), für die A. AG erneut der geheimnisvolle Unterzeichner auf dem Siegel der A. AG, neben welchem der Hinweis “By O.” (dem einzigen Verwaltungsrat der A. AG) aufgeführt war. In der folgenden Korrespondenz zwischen der A. AG und der B. Inc. betreffend den Vollzug der Vereinbarung vom 28. Mai 2012 unterzeichnete ebenfalls wiederholt der geheimnisvolle Unterzeichner die auf dem Briefpapier der A. AG verfassten Schreiben.
Vor den kantonalen Gerichten sowie auch vor Bundesgericht stellte sich die Frage nach der Gültigkeit der namens der A. AG angebrachten bildlichen Unterschrift und damit der Gültigkeit der Schuldanerkennung der A. AG, da sich die A. AG auf Irrtum und Übervorteilung berief und geltend machte, die Vereinbarung vom 28. Mai 2012 sei ungültig. Die kantonalen Gerichte schützten die Klage der B. Inc. und verpflichteten die A. AG, den Betrag von USD 2’064’464 zuzüglich Zinsen sowie abzüglich der von der A. AG geleisteten Teilzahlungen zu bezahlen. Die Genfer Chambre civile de la Cour de justice (nachfolgend Vorinstanz) erwog im Berufungsverfahren, dass der geheimnisvolle Unterzeichner als faktisches Organ der A. AG gehandelt hätte. Gestützt auf die Rechtsprechung im Zusammenhang mit unrechtmässigen Handlungen der Organe im Sinne von Art. 55 Abs. 2 ZGB und Art. 722 OR kam die Vorinstanz zum Schluss, dass eine Aktiengesellschaft für den Abschluss eines Rechtsgeschäfts durch ein faktisches Organ vertreten werden könne (E. 6).
Das Bundesgericht rief zunächst in Erinnerung, dass Aktiengesellschaften durch (i) ihren Verwaltungsrat, Delegierte des Verwaltungsrats oder Direktoren (Art. 718 OR; E. 5.1.), (ii) Prokuristen oder andere Bevollmächtige (Art. 721 OR; E. 5.2), oder (iii) Drittpersonen als zivilrechtliche Vertreter i.S.v. Art. 32 ff. OR vertreten werden können. In casu handelte der geheimnisvolle Unterzeichner weder als Organ i.S.v. Art. 718 OR noch als Prokurist oder Bevollmächtigter i.S.v. Art. 721 OR (E. 5.4).
In der Sache verwarf das Bundesgericht die Auffassung der Vorinstanz, wonach der geheimnisvolle Unterzeichner die A. AG als faktisches Organ gültig vertreten hätte. Es erwog, dass — entgegen der Vorinstanz — die Rechtsprechung im Zusammenhang mit unrechtmässigen Handlungen von (faktischen) Organen im Sinne von Art. 55 Abs. 2 ZGB und Art. 722 OR nicht anwendbar sei auf die Frage der Vertretung einer AG zum Abschluss eines Rechtsgeschäfts (E. 6.2). Vielmehr müsse klar zwischen der Vertretung zum Abschluss von Rechtsgeschäften und der Zurechnung von unerlaubten Handlungen der Gesellschaftsorgane unterschieden werden. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung von Handlungen der Organe beruhe, im Falle der Einschränkung ihrer inneren Befugnisse, auf dem guten Glauben von Dritten (Art. 718a Abs. 2 OR), während die Zurechnung von unerlaubten Handlungen ihrer Organe an die Aktiengesellschaft darauf beruhe, dass die Organe im Rahmen ihrer Organfunktion handeln würden (E. 6.2.1):
L’imputation à la SA des actes juridiques de ses organes ( rechtsgeschäftliche Zurechnung) repose, en cas de limitation des pouvoirs internes de ceux-ci, sur la bonne foi du tiers (art. 718a al. 2 CO), alors que l’imputation des actes illicites de ses organes à la SA se base sur le comportement de l’organe agissant fonctionnellement dans le cadre général de ses attributions d’organe. (…) Le fait d’être liée contractuellement et le fait d’être responsable sont deux choses différentes.
Zuzulassen, dass ein faktisches Organ durch seine Rechtshandlungen die Aktiengesellschaft binden könne, käme — so das Bundesgericht weiter — einer Gesetzesänderung gleich. Ein Mitglied des Verwaltungsrats i.S.v. Art. 718 Abs. 1 OR müsse unabhängig sein und könne sich nicht den Handlungen eines Dritten unterwerfen. Die Lehre halte denn auch fest, dass ein Verwaltungsrat nicht tolerieren dürfe, dass ein faktisches Organ im Namen der Aktiengesellschaft handle (E. 6.2.2).
Gestützt auf diese Erwägungen schloss das Bundesgericht, dass ein Einzel- oder Mehrheitsaktionär, der in die Leitung der Aktiengesellschaft eingreife, nicht den Status eines Organs habe und die Aktiengesellschaft nicht vertraglich i.S.v. Art. 718 OR binden könne. Die Aktiengesellschaft könne indessen für dessen unerlaubten Handlungen haftbar gemacht werden, wenn die Voraussetzungen für das Vorliegen einer faktischen Organschaft i.S.v. Art. 722 OR erfüllt seien (E. 6.2.3):
Il s’ensuit que si un actionnaire unique ou majoritaire s’immisce dans la gestion de la SA, il n’a pas la qualité d’organe et n’oblige pas contractuellement la SA au sens de l’art. 718 CO. La SA peut toutefois être responsable des actes délictuels de celui-ci s’il remplit les conditions d’un organe de fait au sens de l’art. 722 CO
Das Bundesgericht prüfte sodann, ob der geheimnisvolle Unterzeichner die Aktiengesellschaft als zivilrechtlicher Vertreter i.S.v. Art. 32 ff. OR verpflichtet habe. Es erinnerte zunächst daran, in welchen drei Fällen ein Vertreter den Vertretenen (in casu die A. AG) binden könne, nämlich bei (i) der internen Bevollmächtigung i.S.v. Art. 32 Abs. 1 OR (beinhaltend die Duldungs- oder Anscheinsbevollmächtigung), (ii) der Mitteilung der Ermächtigung durch den Vollmachtgeber an einen Dritten i.S.v. Art. 33 Abs. 3 OR, sowie (iii) bei fehlender Bevollmächtigung im Falle einer Genehmigung i.S.v. Art. 38 Abs. 1 OR (E. 7.1). Da die Vorinstanzen von der falschen Auffassung ausgegangen seien, die A. AG sei durch ihr faktisches Organ rechtsgeschäftlich verpflichtet worden, hob das Bundesgericht das vorinstanzliche Urteil auf und wies die Angelegenheit zur Beurteilung zurück, ob eine Vertretung nach Art. 32 ff. OR vorliege (E. 7.2).