4A_554/2013: Verjährung von Genugtuungsansprüchen der Erben von Asbestopfer (amt. Publ.)

A. wohnte von 1961 bis 1972 mit seinen Eltern in einem Miet­shaus der Eter­nit (Schweiz) AG in unmit­tel­bar­er Nähe des Eter­nit-Fab­rikgelän­des, wo faser­för­mige Asbest-Min­er­alien für die Pro­duk­tion von Eter­nit (Asbest-Zement) ver­wen­det wur­den. Im Jahr 2004 wurde bei A. ein malignes Pleu­rame­sothe­liom (Brust­fel­lkrebs) diag­nos­tiziert, das am 30. Okto­ber 2006 zum Tod führte. Nach seinem Tod reicht­en seine Erben beim Kan­ton­s­gericht Glarus Teilk­lage gegen die Eter­nit (Schweiz) AG, gegen E.E., F. E. und gegen die Schweiz­erischen Bun­des­bah­nen SBB AG ein, mit der sie eine Genug­tu­ung gel­tend machten.

Das Kan­ton­s­gericht Glarus wie auch das Oberg­ericht des Kan­tons Glarus wiesen die Klage zufolge Ver­jährung ab. Das Bun­des­gericht sistierte das Ver­fahren im April 2014 bis zum Entscheid der eid­genös­sis­chen Räte zur Änderung des Ver­jährungsrechts. Mit Prä­sidi­alver­fü­gung vom 6. Novem­ber 2018 wurde das Ver­fahren wieder aufgenom­men, da der Geset­zge­ber zwis­chen­zeitlich defin­i­tiv über die Neureglung des Ver­jährungsrechts entsch­ieden hat­te und damit der Grund für die Sistierung dahinge­fall­en war. Das neue Recht wird am 1. Jan­u­ar 2020 in Kraft treten (BBI 2014 235 ff.; BBl 2018 3537 ff.). Bezüglich des vor­liegen­den Fall­es wies das Bun­des­gericht die Beschw­erde ab (Urteil 4A_554/2013 vom 6. Novem­ber 2019).

Das Bun­des­gericht erwog im Kern, dass zwis­chen der schädi­gen­den Hand­lung (1972) und der Klageein­re­ichung (9. Juni 2009) rund 37 Jahre liegen wür­den. Nach schweiz­erischem Recht sei die Ver­jährung ein materiell­rechtlich­es und kein prozess­rechtlich­es Insti­tut. Art. 6 Abs. 1 EMRK gewähre jedem das Recht seine zivil­rechtlichen Ansprüche gerichtlich gel­tend zu machen. Diese Vorschrift ver­möge aber keine Ansprüche zu begrün­den. Voraus­set­zung für die Anwend­barkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK sei somit das Beste­hen eines materiell­rechtlichen Anspruchs nach inner­staatlichem Recht (E. 8.1.2).

Dem EGMR-Urteil Howald Moor ver­möge das Bun­des­gericht nicht zu ent­nehmen, dass absolute Ver­jährungs­fris­ten — im Sinne ein­er generellen materiellen Regel — aus­geschlossen wären und eine Klage noch 37 Jahre nach der behaupteten Schädi­gung zuge­lassen wer­den müsse, obwohl sich die Beklagten auf die Ver­jährung berufen wür­den (E. 8.2.2). Es sei nicht unver­hält­nis­mäs­sig einen Anspruch, der erst 37 Jahren nach der let­zten möglichen Schädi­gung gel­tend gemacht werde, als ver­jährt zu betra­cht­en und die Klage abzuweisen. Bei diesem Ergeb­nis könne offen­bleiben, inwieweit mit dem Entschädi­gungs­fonds für Asbestopfer generell eine der vom EGMR ver­langten “autres solu­tions envis­age­ables” für Schädi­gun­gen geschaf­fen wurde (E. 8.3).