Eine Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen im Zusammenhang mit einer kollektiven Krankentaggeldversicherung ist nicht ungewöhnlich, wenn sie das Erlöschen des Versicherungsschutzes bei Betriebsaufgabe nach Eintritt des versicherten Ereignisses vorsieht.
Dem Urteil des Bundesgerichts vom 2. Dezember 2019 lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Versicherte schloss als Inhaberin des im Handelsregister des Kantons Zürich eingetragenen Einzelunternehmens “C. Taxi, B.” mit der A AG (Versicherung) am 9. September 2009 eine kollektive Krankentaggeldversicherung nach dem Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (VVG) ab. Als versicherte Person wird in der Versicherungspolice einzig ihr Name aufgeführt. Gemäss der Police vom 24. Mai 2016 (gültig vom 10. Mai 2016 bis 1. Januar 2019) war ein Taggeld nach Ablauf einer Wartefrist von 30 Tagen in der Höhe von 100 % des versicherten Verdienstes während einer Leistungsdauer von maximal 730 Tagen als Leistung vereinbart.
Seit dem 23. September 2016 ist die Versicherte krankgeschrieben, was sie der Versicherung am 3. November 2016 meldete. Diese richtete nach Ablauf der vereinbarten Wartefrist Krankentaggelder für den Zeitraum vom 23. Oktober 2016 bis 28. Februar 2017 für eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit aus. Anlässlich einer Besprechung des Aussendienstmitarbeiters der Versicherung mit der Versicherten vom 5. April 2017 gab die Versicherte an, ihre Firma inkl. Auto und Kundenstamm verkauft zu haben. Daraufhin stellte die Versicherung mit Schreiben vom 21. April 2017 die Leistungen per 1. Januar 2017 rückwirkend ein. Gleichzeitig kündigte sie der Versicherten an, die zu viel bezahlten Taggelder separat zurückzufordern. Zur Begründung gab die Versicherung an, dass der Versicherungsschutz aufgrund des Verkaufes der Firma gemäss Art. 9 Ziff. 2 lit. g der Allgemeinen Bedingungen für die Kollektivkrankenkasse (AB) erloschen sei.
Mit Schreiben vom 27. September 2017 hob die Versicherung den Vertrag mit Wirkung ab 1. Januar 2017 auf und erklärte, einen Teil ihrer Rückforderungsansprüche mit der erhaltenen Prämie für das Jahr 2017 zu verrechnen.
Mit Klage vom 27. September 2017 verlangte die Versicherte vor dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich von der Versicherung Taggelder für die Monate März bis Oktober 2017 nebst 5 % Zins. Die Beklagte trug auf Abweisung der Klage an und beantragte widerklageweise, die Klägerin sei zu verpflichten, ihr die für Januar und Februar 2017 ausbezahlten Taggelder abzüglich der zur Verrechnung gestellten Versicherungsprämie für das Jahr 2017 zurückzuerstatten.
Das Sozialversicherungsgericht hiess mit Urteil vom 29. März 2019 die Klage gut und verpflichtete die Beklagte, der Klägerin Taggelder für den Zeitraum vom 1. März 2017 bis 31. Oktober 2017 zu bezahlen. Die Widerklage wies es ab. Es erwog, die Versicherte habe mit dem Verkauf des Fahrzeugs und der Kundendaten ihr Taxiunternehmen im Sinn von Art. 8 Ziff. 1 lit. g AB aufgegeben, womit der Versicherungsschutz erloschen sei. Sie erachtete jedoch Art. 9 Ziff. 2 lit. d AB betreffend Nachleistung insofern als ungewöhnlich, als damit auch die Leistungen infolge einer vor der Betriebsaufgabe eingetretenen Arbeitsunfähigkeit ausgeschlossen werden; dieser Ausschluss sei deshalb gegenüber der Versicherten nicht anwendbar.
Die gegen diesen Entscheid durch die Versicherung erhobene Beschwerde hiess das Bundesgericht teilweise gut, es hob das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich auf und wies die Sache zu neuer Beurteilung der Widerklage der Versicherung an dieses zurück.
Das Bundesgericht wiedergab zunächst den Inhalt der der Allgemeinen Bedingungen für die Kollektivkrankenkasse der Versicherung (E. 3.1)
- 8 AB trägt den Titel “Wann endet der Versicherungsschutz?”. Er zählt verschiedene Beendigungsgründe auf und enthalte in Art. 8 Ziff. 1 lit. g AB folgende Bestimmung:
Für den Betriebsinhaber, die Ehegatten oder Partner gemäss Bundesgesetz über die eingetragene Partnerschaft (PartG) und die übrigen Familienmitglieder des Betriebsinhabers im Sinne der AHV, sofern sie im versicherten Betrieb mitarbeiten und der Betriebsinhaber für sie keine AHV-Beiträge abrechnet, bei Aufgabe oder Unterbruch derjenigen Tätigkeit, die bei Abschluss der Versicherung für die Beurteilung des Risikos massgebend war;
- Besteht bei der Beendigung nach Art. 8 AB Anspruch auf Leistungen, erlischt dieser nach Art. 9 Ziff. 1 AB grundsätzlich mit Erlöschen des Versicherungsschutzes.
- Von dieser Regel sieht Art. 9 Ziff. 2 lit. a AB eine Ausnahme vor, soweit der Versicherungsschutz infolge Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Art. 8 Ziff. 1 lit. c AB) oder mit dem Erlöschen des Vertrages (Art. 8 Ziff. 1 lit. a AB) endet: In diesen Fällen bezahlt die Versicherung das Taggeld, soweit nicht auch gewisse andere in Art. 8 AB genannte Beendigungsgründe vorliegen. Endet der Versicherungsschutz gemäss Art. 8 Ziff. 1 lit. g AB, besteht dagegen in keinem Fall ein Anspruch auf Nachleistung (Art. 9 Abs. 1 Ziff. 2 lit. d AB).
- Jedoch wird dem Versicherten gemäss Art. 17 Ziff. 1 lit. b AB ein Recht zur Fortsetzung des Versicherungsschutzes als Einzelversicherung eingeräumt, wenn der Versicherungsschutz nach Art. 8 Ziff. 1 lit. g AB endet, sofern im Zeitpunkt der Aufgabe oder des Unterbruches der Tätigkeit aufgrund eines versicherten Ereignisses eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 25 % besteht (vgl. dazu auch Urteil 4A_472/2018 vom 5. April 2019 E. 2.1).
Vor Bundesgericht rügte die Versicherung, das Bundesgericht habe bereits im zitierten Urteil 4A_472/2018 festgestellt, dass Art. 9 AB nicht ungewöhnlich sei. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hatte die Versicherung auch bereits im kantonalen Verfahren unter Hinweis auf BGE 127 III 106 und das dem Urteil 4A_472/2018 zugrundeliegende kantonale Urteil (KK.2016.00039) geltend gemacht, Klauseln wie Art. 8 Ziff. lit. g und Art. 9 Ziff. 1 und 2 AB seien nicht ungewöhnlich.
In diesem Zusammenhang nahm das Bundesgericht zum Anlass, die einschlägige Rechtsprechung zur Ungewöhnlichkeitsregel bei Versicherungsverträgen zusammenzufassen (vgl. auch den Beitrag vom 23. Dezember 2019 zum Urteil 4A_232/2019). Sodann analysierte das Bundesgericht die von der Versicherung zitierten Urteile und kam zum Schluss, dass die Vorinstanz die Rechtsprechung des Urteils im Verfahren 4A_472/2018 sowie des Entscheides BGE 127 III 106 nicht in ihre Würdigung einbezogen habe (E. 3.4):
- In BGE 127 III 106 hatte das Bundesgericht festgestellt (E. 3), in einer Kollektivversicherung für Taggelder nach VVG könnten Ansprüche auch nach Erlöschen des Versicherungsverhältnisses geltend gemacht werden. Voraussetzung sei, dass das leistungsbegründende Ereignis während der Dauer des Versicherungsverhältnisses eingetreten sei und keine vertraglichen Abmachungen vorlägen, die das Recht auf Leistungen über die Deckungsdauer hinaus einschränken oder aufheben würden.
- Im Verfahren 4A_472/2018 war dem Betriebsinhaber (beim Betrieb handelte es sich um eine Versicherungsagentur der Versicherung) gekündigt worden, bevor die zufolge einer zuvor eingetretenen Arbeitsunfähigkeit geschuldeten maximalen Taggelder erschöpft waren; strittig war also u.a. die Nachleistung gemäss Art. 9 AB. Das Bundesgericht erkannte, dass unter der Betriebsaufgabe gemäss Art. 8 Ziff. 1 lit. g AB (Ausgabe 2008 wie vorliegend) auch die Aufgabe eines Betriebes (Versicherungsagentur) zufolge Kündigung des Agenturvertrages gegenüber dem Betriebsinhaber falle. Sodann erwog das Bundesgericht, die Betriebsaufgabe als solche sei gemäss Art. 2 Ziff. 2 AB nicht versichertes Ereignis. Unabhängig davon, ob der Betrieb freiwillig oder unfreiwillig aufgegeben werde, würde der bisherige Inhaber als solcher nach Aufgabe des Betriebes auch dann keinen Verdienst mehr erzielen, wenn er gesund wäre. Der durch die Einstellung der Tätigkeit für den Inhaber entstehende Verlust sei insoweit nicht krankheitsbedingt. Die AB machen einen (grundsätzlichen) Unterschied zwischen den gewöhnlichen Arbeitnehmern einerseits und dem Betriebsinhaber andererseits. Das Schicksal der Ansprüche der Arbeitnehmer werde nicht an den Betrieb gekoppelt. Aus der Systematik ergebe sich, dass das krankheitsbedingte Risiko eines Erwerbsausfalls nach Verlassen des Betriebes bei den Arbeitnehmern durch Nachleistung gedeckt bleibe, nicht aber beim Betriebsinhaber. Er könne höchstens unter gewissen Bedingungen in die Einzelversicherung übertreten. Wenn bei Aufgabe der versicherten Tätigkeit grundsätzlich keine Nachleistung erbracht werde, knüpfe der Wegfall der Leistungspflicht nach Eintritt des versicherten Risikos an ein Ereignis an, das im Allgemeinen ausserhalb des Einflussbereichs der Versicherung liege. Schliesslich wurde erwähnt, ähnliche Klauseln würden häufig verwendet.
Das Bundesgericht führte sodann aus, dass im Urteil 4A_472/2018 jedoch nicht thematisiert worden sei, ob Art. 9 Ziff. 2 lit. d AB ungewöhnlich im Sinn der Rechtsprechung sei, da es ohne weiteres vorausgesetzt worden sei. Allerdings habe es sich in diesem Fall bei den Vertragsparteien “um Kenner des Versicherungsvertrags” gehandelt, weshalb das Bundesgericht im vorliegenden Fall der Frage trotzdem nachging (E. 3.4.2). Das Bundesgericht warf der Vorinstanz vor, welche argumentierte, dass es aufgrund von Art. 9 Ziff. 2 lit. d AB der Versicherten “kaum möglich [sei], ihre Ansprüche aus einer bereits eingetretenen Arbeitsunfähigkeit sinnvoll zu wahren “, in ihrer Begründung der Möglichkeit des Übertritts in die Einzelversicherung überhaupt nicht Rechnung getragen zu haben. Das Bundesgericht erwog, dass die AB vorsehen, dass ein Übertritt im Sinne einer Ausnahme möglich sei, wenn im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe bereits aufgrund eines versicherten Ereignisses eine Arbeitsunfähigkeit von 25 % bestehe (Art. 17 Ziff. 1 lit. b AB). Konsequent siehe Art. 17 Ziff. 3 AB umgekehrt vor, dass das Recht zur Fortsetzung des Versicherungsschutzes durch Übertritt in die Einzelversicherung nicht bestehe, wenn die versicherte Person Nachleistungen beziehe. Mit dieser ineinandergreifenden Regelung sei der Vertragscharakter der Taggeldversicherung ohne weiteres gewahrt geblieben. Aus welchen Gründen die Versicherte die 90-tägige Frist zum Wechsel in die Einzelversicherung nicht gewahrt hat, betreffe den Einzelfall und ändere nichts hinsichtlich der fehlenden Ungewöhnlichkeit der besprochenen Klauseln, denn bei der Ungewöhnlichkeit gehe es um die generelle Wirkung.
Schliesslich befasste sich das Bundesgericht mit der Frage, ob die Versicherte wegen ihrer Krankheit ihren Betrieb veräussert hat bzw. veräussern musste (E. 3.5):
- Das Bundesgericht erwog, dass vorliegend ein Einpersonenbetrieb gewesen sei, in dem die Inhaberin selbst die vom Betrieb zu erbringenden Leistungen erbringe. Lege die Betriebsinhaberin bei diesem Betriebskonzept die Arbeit nieder, habe dies zur Folge, dass auch der Betrieb als solches die Leistungserbringung einstelle. Auch darin könne aber weder eine Aufgabe noch ein Unterbruch der Tätigkeit als Betriebsinhaber gesehen werden. Es sei vielmehr die schlichte Konsequenz des Eintritts des versicherten Risikos, beim gegebenen (und von der Versicherung bereits während Jahren versicherten) Betriebsmodell. Von Aufgabe oder Unterbruch der versicherten Tätigkeit könne erst die Rede sein, wenn tatsächlich die Möglichkeit bestehe, dass die Betriebsinhaberin vor Ausschöpfung der maximalen Taggeldleistung die Arbeitsfähigkeit wieder erlangte, und Dispositionen getroffen werden, die es entweder auch bei einer Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit unmöglich machen, die bisherige Tätigkeit wieder aufzunehmen, oder zumindest klar erkennen lassen, dass eine Wiederaufnahme der bisherigen Tätigkeit bei Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr geplant sei. In derartigen Fällen wäre der durch die Einstellung der Tätigkeit für den Inhaber entstehende Verlust insoweit nicht krankheitsbedingt.
- Was mit dem Betrieb während der Zeit geschieht, in der mit dem bestehenden Geschäftsmodell die angebotene Leistung zufolge Eintritts des versicherten Risikos ohnehin nicht erbracht werden kann, beschlage das unternehmerische Risiko und die unternehmerische Freiheit der Betriebsinhaberin. Diese könne eine Vertretung anstellen und den Betrieb mit einem geänderten Betriebsmodell weiterführen. Sie könne dazu aber nicht verpflichtet sein, um ihre Ansprüche gegenüber der Versicherung zu wahren, da diese die Versicherung beim bestehenden Betriebsmodell abgeschlossen hat. Die Inhaberin könne den Betrieb daher auch geschlossen lassen, bis sie die Arbeitsfähigkeit wiedererlangt — der Unterbruch sei Folge des Eintritts des versicherten Risikos und berechtigt nicht zu Leistungskürzungen. Aber auch eine anderweitige Nutzung der für den Betrieb notwendigen Objekte durch die Inhaberin oder einen Dritten sei denkbar, sofern dies einer Wiederaufnahme der Tätigkeit bei Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit nicht entgegenstehe. Dagegen genüge nicht, dass die Betriebsinhaberin jederzeit eine Anstellung bei einem Taxiunternehmen annehmen könnte, da dies keine Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit darstellen würde.
Vor diesem Hintergrund erachtete das Bundesgericht die Auffassung der Vorinstanz, es sei unerheblich dass die Beschwerdegegnerin — die finanziellen Mittel vorausgesetzt — jederzeit in der Lage wäre, sich ein neues Taxiunternehmen aufzubauen oder ihr altes zurückzukaufen, als problematisch. Gemäss Bundesgericht können zwar ein Rückkaufsrecht oder auch der Neukauf der zum Betrieb notwendigen Gegenstände (hier ein Taxi), der aus dem Erlös verkaufter Betriebsobjekte finanziert werde, probate Mittel zur Fortführung des Betriebs darstellen, insbesondere wenn das Beibehalten der zum Betrieb notwendigen Mittel während der Arbeitsunfähigkeit nicht tunlich erscheine. Da die Versicherte aber in ihrer Beschwerdeantwort die Feststellung, sie habe ihren Betrieb aufgegeben und für beide Verkaufsobjekte das vorbehaltene Rückkaufsrecht nicht ausgeübt, nicht – oder zumindest nicht hinreichend – beanstandete, erübrigen sich diesbezügliche Weiterungen und habe es damit sein Bewenden.