4A_484/2018: Doppelt relevante Tatsache; Qualifikation als Arbeitsvertrag; iura novit curia (Art. 57 ZPO)

Im Jahr 2012 wurde X. als per­sön­liche Assis­tentin von Z. angestellt. X. führte mit Z. während 38 Jahren bis zu dessen Tod im April 2014 eine Liebes­beziehung. Für die Anstel­lung zog X. von Liss­abon nach Genf, wo sie mit einem Monats­ge­halt sowie Kost und Logis ent­lohnt wurde. Ausser­dem wurde vere­in­bart, dass X. bei Beendi­gung des Ver­trags eine Entschädi­gung von CHF 36’000 erhal­ten sollte. Nach dem Hin­schied von Z. klagte X. gegen die Erben von Z. und ver­langte die Zahlung des fäl­li­gen Gehalts sowie der Entschädi­gung von CHF 36’000. Die beklagten Erben bracht­en ins­beson­dere vor, der Ver­trag sei nur geschlossen wor­den, um für X. eine Aufen­thalt­ser­laub­nis für die Schweiz erhältlich zu machen.

Das Tri­bunal des prud’hommes Genf hiess die Klage teil­weise gut und verpflichtete die Erben zur Zahlung der Entschädi­gung, verneinte jedoch das Vor­liegen eines Arbeitsver­trages. X. und Z. hät­ten einen Ver­trag sui gener­is geschlossen. Die zweite Instanz trat auf die Beru­fung der Erben nicht ein. Die The­o­rie der dop­pelt rel­e­van­ten Tat­sache sei in diesem Sta­di­um des Ver­fahrens nicht mehr anzuwen­den, weshalb man­gels eines Arbeitsver­trages keine arbeits­gerichtliche Zuständigkeit gegeben sei. Die gegen diesen Entscheid erhobene Beschw­erde hiess das Bun­des­gericht teil­weise gut und wies die Sache zur neuen Entschei­dung an die Vorin­stanz zurück (Urteil 4A_848/2018 vom 10.12.2019).

Das Bun­des­gericht erwog ins­beson­dere, komme das Gericht nach der The­o­rie der dop­pelt rel­e­van­ten Tat­sache ohne Berück­sich­ti­gung der Bestre­itung der Gegen­partei und ohne Beweis­ab­nah­men zum Schluss, es sei nicht zuständig, müsse es einen Nichtein­tretensentscheid fällen. Erachte sich dage­gen das Gericht als zuständig, sei die Begrün­de­theit der Klage zu prüfen und seien dazu die Beweise abzunehmen. Lasse sich die dop­pelt rel­e­vante Tat­sache nicht nach­weisen, müsse das Gericht einen Sachentscheid fällen und die Klage abweisen. So müsse das Arbeits­gericht die Klage abweisen, wenn es bei der Prü­fung der Begrün­de­theit fest­stellt, dass kein Arbeitsver­trag vor­liegt (zum Ganzen E. 5.2).

Mit Bezug auf den vor­liegen­den Fall stellte das Bun­des­gericht fest, die zweite Instanz hätte einen Sachentscheid fällen müssen. Die Vorin­stanz habe das Vor­liegen eines Arbeitsver­trages gestützt auf das Beweis­ergeb­nis nach einem umfassenden Beweisver­fahren verneint und mit diesem Vorge­hen seine Zuständigkeit impliz­it anerkan­nt (E. 5.3).

Das Bun­des­gericht erwog weit­er, im vor­liegen­den Fall sei beson­ders, dass für die Entschädi­gung von CHF 36’000 eine andere Rechts­grund­lage als der behauptete Arbeitsver­trag herange­zo­gen wor­den sei (E. 5.4). Auf­grund des Grund­satzes iura novit curia, wonach das Gericht das Recht von Amtes wegen anzuwen­den hat (Art. 57 ZPO), waren die Arbeits­gerichte gemäss Bun­des­gericht auch zur Prü­fung zuständig, ob die gel­tend gemachte Entschädi­gung von CHF 36’000 auf eine andere Rechts­grund­lage als den Arbeitsver­trag abgestützt wer­den könne (E. 5.5).

Ein Fachgericht könne sich deshalb nicht weigern, die gel­tend gemacht­en Klage­gründe zu prüfen, die mit der umstrit­te­nen Tat­sache in Verbindung ste­hen, auf denen die beson­dere Zuständigkeit des Fachgerichts beruht. Der Grund­satz iura novit curia ste­he der Aufteilung ein­er Zivilk­lage in je nach vorge­brachter Begrün­dung getren­nte Ver­fahren ent­ge­gen (E. 5.4).