1C_586/2019: Türkische Föderation Schweiz / Verbot einer Veranstaltung in Reinach/BL (amtl. Publ.)

Im zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Entscheid vom 3. August 2020 beurteilte das BGer die Recht­mäs­sigkeit eines Ver­bots der von der Türkischen Föder­a­tion Schweiz geplanten Gedenkver­anstal­tung zur Schlacht von Gal­lipoli in einem Saal in Reinach im Kan­ton Basel-Land­schaft. Einen Tag vor dem geplanten Anlass ver­bot die Polizei gestützt auf die polizeiliche Gen­er­alk­lausel sowohl die Gedenkver­anstal­tung als auch alle Gegen­ver­anstal­tun­gen auf dem Gebi­et der Gemeinde Reinach. Zudem unter­sagte die Polizei die Ver­legung der Gedenkver­anstal­tung an einen anderen Ort im Kan­ton Basel-Land­schaft. Zur Begrün­dung führte die Polizei im Wesentlichen aus, dass es sich bei den Ein­ge­lade­nen der geplanten Ver­anstal­tung um Sym­pa­thisan­ten der türkischen Partei der Nation­al­is­tis­chen Bewe­gung und bei den Organ­i­sa­tio­nen und Grup­pierun­gen, die zu Geg­noen­ver­anstal­tun­gen aufriefen, um solche aus dem Bere­ich der Antifa und von Kur­den­be­we­gun­gen han­dle. Angesichts der Mil­i­tanz dieser Grup­pierun­gen und der poli­tis­chen Span­nun­gen beste­he ein konkretes, hohes Poten­zial für gewalt­same Auseinan­der­set­zun­gen, wobei auch mit dem Ein­satz von Waf­fen oder Schla­gin­stru­menten zu rech­nen sei. Es sei deshalb von ein­er grossen Gefahr der öffentlichen Ord­nung und Sicher­heit auszuge­hen. Den Entscheid des Polizei Basel-Land­schaft zog die Türkische Fed­er­a­tion Schweiz bis vor BGer, welch­es die Beschw­erde abweist.

Das BGer misst die Recht­mäs­sigkeit des Ver­bots der Ver­anstal­tung, welche in den Schutzbere­ich der Ver­samm­lungs­frei­heit (Art. 22 BV) fällt, an den Ein­griffsvo­raus­set­zun­gen von Art. 36 BV. Zur geset­zlichen Grund­lage hält das BGer fest, dass sich die kan­tonalen Instanzen auf die polizeiliche Gen­er­alk­lausel stützten. Es sei mit Ver­weis auf die polizeiliche Gen­er­alk­lausel zuläs­sig, eine Ver­samm­lung in einem konkreten Fall zu ver­bi­eten, wenn vor ihrer Durch­führung eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der Teil­nehmer oder Drit­ter aus­ge­he. Dies tre­ffe ins­beson­dere zu, wenn konkrete Hin­weise auf mögliche unfriedliche Gege­nak­tio­nen gewalt­bere­it­er Kreise oder radikaler Anhänger abwe­ichen­der Auf­fas­sun­gen oder ern­stzunehmende Ter­ror­dro­hun­gen vor­lä­gen. Die tat­säch­lichen Fest­stel­lun­gen der Vorin­stanz, welche von ein­er erhe­blichen Gefahr gewalt­samer Zusam­men­stösse aus­ging, seien nachvol­lziehbar und wed­er akten­widrig noch wider­sprüch­lich. Das BGer erachtet sie fol­glich als verbindlich (Art. 105 BGG).

Unter dem Titel der Ver­hält­nis­mäs­sigkeit prüft das BGer, ob es zuläs­sig ist, dass das Ver­bot die Türkische Föder­a­tion Schweiz traf, obwohl von ihr keine Gefahr aus­ging. Das BGer hält dazu fol­gen­des fest:

Die Beschw­erde­führerin ist […] nicht Ver­hal­tensstörerin. Es erscheint aber auch fraglich, ob sie als unbeteiligte Dritte ange­se­hen wer­den kann, wovon das Kan­ton­s­gericht aus­ging. Da die Gefährdung der öffentlichen Sicher­heit und Ord­nung indi­rekt von ihrer Ver­anstal­tung aus­gelöst wurde, ist die Ver­anstal­terin Zweck­ver­an­lasserin und hat damit eher als Zus­tandsstörerin zu gel­ten. Dafür genügt, dass sie durch die geplante Ver­anstal­tung die Gefährdung der Polizeigüter durch andere bewirk­te […], und zwar grund­sät­zlich unab­hängig davon, ob sie selb­st eine Ver­ant­wor­tung für die Gefährdungslage trifft. […]. Das Ver­bot ver­mochte sich dem­nach gemäss § 17 Abs. 1 PolG gegen die Beschw­erde­führerin als Zus­tandsstörerin zu richt­en. [E. 6.4.]

Zur Rüge der Türkischen Föder­a­tion Schweiz, wonach die Polizei die Durch­führung der Ver­anstal­tung hätte schützen müssen, sagt das BGer, dass sich

[d]ie Schutzpflicht des Staates […] an den Kapaz­itäten und konkreten tat­säch­lichen Möglichkeit­en der Behör­den, namentlich der Polizeikräfte, zu messen [hat]. Wie das Kan­ton­s­gericht zu Recht fes­thält, wäre im vor­liegen­den Fall die direk­te physis­che Präsenz der Polizei mit entsprechen­den Inter­ven­tion­s­möglichkeit­en grund­sät­zlich geeignet gewe­sen, der Gefährdungslage wirk­sam zu begeg­nen. Ein erfol­gver­sprechen­der Ein­satz hätte jedoch auf­grund des erkan­nten Eskala­tionspoten­zials ein umfan­gre­ich­es Sicher­heits­dis­pos­i­tiv mit starken Polizeikräften vor Ort erfordert. Auf­grund des am fraglichen Abend ange­set­zten Fuss­ball­match­es, der als Hochrisikopar­tie eingestuft war, sah sich die Polizei auss­er Stande, inner­halb eines Tages die erforder­lichen Ein­satzkräfte zu mobil­isieren. Das ist nachvol­lziehbar. [E. 7.5.]

Zusam­men­fassend erachtet das BGer das Ver­bot als ver­hält­nis­mäs­sig, weshalb es die Beschw­erde abweist.