Im zur amtlichen Publikation vorgesehenen Entscheid vom 3. August 2020 beurteilte das BGer die Rechtmässigkeit eines Verbots der von der Türkischen Föderation Schweiz geplanten Gedenkveranstaltung zur Schlacht von Gallipoli in einem Saal in Reinach im Kanton Basel-Landschaft. Einen Tag vor dem geplanten Anlass verbot die Polizei gestützt auf die polizeiliche Generalklausel sowohl die Gedenkveranstaltung als auch alle Gegenveranstaltungen auf dem Gebiet der Gemeinde Reinach. Zudem untersagte die Polizei die Verlegung der Gedenkveranstaltung an einen anderen Ort im Kanton Basel-Landschaft. Zur Begründung führte die Polizei im Wesentlichen aus, dass es sich bei den Eingeladenen der geplanten Veranstaltung um Sympathisanten der türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung und bei den Organisationen und Gruppierungen, die zu Gegnoenveranstaltungen aufriefen, um solche aus dem Bereich der Antifa und von Kurdenbewegungen handle. Angesichts der Militanz dieser Gruppierungen und der politischen Spannungen bestehe ein konkretes, hohes Potenzial für gewaltsame Auseinandersetzungen, wobei auch mit dem Einsatz von Waffen oder Schlaginstrumenten zu rechnen sei. Es sei deshalb von einer grossen Gefahr der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen. Den Entscheid des Polizei Basel-Landschaft zog die Türkische Federation Schweiz bis vor BGer, welches die Beschwerde abweist.
Das BGer misst die Rechtmässigkeit des Verbots der Veranstaltung, welche in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV) fällt, an den Eingriffsvoraussetzungen von Art. 36 BV. Zur gesetzlichen Grundlage hält das BGer fest, dass sich die kantonalen Instanzen auf die polizeiliche Generalklausel stützten. Es sei mit Verweis auf die polizeiliche Generalklausel zulässig, eine Versammlung in einem konkreten Fall zu verbieten, wenn vor ihrer Durchführung eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der Teilnehmer oder Dritter ausgehe. Dies treffe insbesondere zu, wenn konkrete Hinweise auf mögliche unfriedliche Gegenaktionen gewaltbereiter Kreise oder radikaler Anhänger abweichender Auffassungen oder ernstzunehmende Terrordrohungen vorlägen. Die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, welche von einer erheblichen Gefahr gewaltsamer Zusammenstösse ausging, seien nachvollziehbar und weder aktenwidrig noch widersprüchlich. Das BGer erachtet sie folglich als verbindlich (Art. 105 BGG).
Unter dem Titel der Verhältnismässigkeit prüft das BGer, ob es zulässig ist, dass das Verbot die Türkische Föderation Schweiz traf, obwohl von ihr keine Gefahr ausging. Das BGer hält dazu folgendes fest:
Die Beschwerdeführerin ist […] nicht Verhaltensstörerin. Es erscheint aber auch fraglich, ob sie als unbeteiligte Dritte angesehen werden kann, wovon das Kantonsgericht ausging. Da die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung indirekt von ihrer Veranstaltung ausgelöst wurde, ist die Veranstalterin Zweckveranlasserin und hat damit eher als Zustandsstörerin zu gelten. Dafür genügt, dass sie durch die geplante Veranstaltung die Gefährdung der Polizeigüter durch andere bewirkte […], und zwar grundsätzlich unabhängig davon, ob sie selbst eine Verantwortung für die Gefährdungslage trifft. […]. Das Verbot vermochte sich demnach gemäss § 17 Abs. 1 PolG gegen die Beschwerdeführerin als Zustandsstörerin zu richten. [E. 6.4.]
Zur Rüge der Türkischen Föderation Schweiz, wonach die Polizei die Durchführung der Veranstaltung hätte schützen müssen, sagt das BGer, dass sich
[d]ie Schutzpflicht des Staates […] an den Kapazitäten und konkreten tatsächlichen Möglichkeiten der Behörden, namentlich der Polizeikräfte, zu messen [hat]. Wie das Kantonsgericht zu Recht festhält, wäre im vorliegenden Fall die direkte physische Präsenz der Polizei mit entsprechenden Interventionsmöglichkeiten grundsätzlich geeignet gewesen, der Gefährdungslage wirksam zu begegnen. Ein erfolgversprechender Einsatz hätte jedoch aufgrund des erkannten Eskalationspotenzials ein umfangreiches Sicherheitsdispositiv mit starken Polizeikräften vor Ort erfordert. Aufgrund des am fraglichen Abend angesetzten Fussballmatches, der als Hochrisikopartie eingestuft war, sah sich die Polizei ausser Stande, innerhalb eines Tages die erforderlichen Einsatzkräfte zu mobilisieren. Das ist nachvollziehbar. [E. 7.5.]
Zusammenfassend erachtet das BGer das Verbot als verhältnismässig, weshalb es die Beschwerde abweist.