2C_372/2020: institutionelle Unabhängigkeit von Anwälten (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht bestätigte in seinem neuen Leiturteil zur insti­tu­tionellen Unab­hängigkeit von Anwäl­ten, dass ein Anwalt als Angestell­ter ein­er Kap­i­talge­sellschaft nur in das Anwalt­sreg­is­ter einge­tra­gen wer­den könne, wenn sämtliche Gesellschafter und Organe der Arbeit­ge­berin eben­falls im Anwalt­sreg­is­ter einge­tra­gene Anwälte seien. Gle­ichzeit­ig aber präzisierte es, dass die kan­tonale Auf­sicht­skom­mis­sion nicht befugt sei, ein­er Anwalts­ge­sellschaft respek­tive deren allfäl­li­gen nicht-anwaltlichen Gesellschafter verbindlich anzuord­nen, bes­timmte Anpas­sun­gen in den Statuten und/oder der Gesellschafter­struk­tur vorzunehmen.

Hin­ter­grund des Urteils: Ein Anwalt war als alleinger Aktionär und Ver­wal­tungsrat sein­er von ihm gegrün­de­ten Gesellschaft im Anwalt­sreg­is­ter des Kan­tons Freiburg einge­tra­gen. Die Auf­sicht­skom­mis­sion wollte ihn verpflicht­en, die Statuten sein­er Gesellschaft dahinge­hend anzu­passen, dass für den Fall, dass eine nicht im Anwalt­sreg­is­ter einge­tra­gene Per­son Aktien der Gesellschaft erwer­ben sollte, und die Gesellschaft dem Erwer­ber nicht anbi­ete, die Aktien zum tat­säch­lichen Wert zu übernehmen, dieser Erwer­ber verpflichtet sein solle, seine Aktien innert eines Jahres an einen Drit­ten zu über­tra­gen, der in einem kan­tonalen Anwalt­sreg­is­ter einge­tra­gen ist und somit Aktionär der Anwalts­ge­sellschaft sein könne (E. A). Der Anwalt und die Gesellschaft wehrten sich bis vor Bun­des­gericht gegen die entsprechende Ver­fü­gung der Auf­sicht­skom­mis­sion (E. B‑C). Das Bun­des­gericht liess die Frage offen, ob auch die Gesellschaft beschw­erdele­git­imiert sei, da es die Beschw­erde des zweifel­sohne beschw­erdele­git­imierten Anwalts aus anderen Grün­den guthiess (E. 1.2).

Das Bun­des­gericht erin­nert und bestätigte zunächst seine Recht­sprechung zur struk­turellen oder insti­tu­tionellen Unab­hängig von Anwäl­ten i.S.v. Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA. Dieses wesentliche Prinzip der Anwalt­stätigkeit, welch­es sowohl hin­sichtlich der Gerichte und der Parteien als auch des Klien­ten garantiert sein müsse, stelle sich­er, dass der Anwalt sich voll und ganz der Vertre­tung der Inter­essen sein­er Klien­ten wid­men könne, ohne durch sach­fremde Umstände bee­in­flusst zu wer­den. Ins­beson­dere erin­nerte das Bun­des­gericht daran, dass eine Anwalts­ge­sellschaft nicht die Form ein­er juris­tis­chen Per­son aus­ländis­chen Rechts annehmen könne, die im Besitz von aus­ländis­chen, nicht in der Schweiz zuge­lasse­nen Recht­san­wälte sei. Im Gegen­teil müssten sämtliche Aktionäre und Mit­glieder des Ver­wal­tungsrats aus Per­so­n­en beste­hen, die in einem Anwalt­sreg­is­ter in der Schweiz einge­tra­gen seien (E. 3.1).

Vor­liegend kri­tisierte die Auf­sicht­skom­mis­sion sowie das Kan­ton­s­gericht Fri­bourg, dass auf­grund der aktuellen Statuten der Anwalts­ge­sellschaft es nicht voll­ständig aus­geschlossen sei, dass nicht in einem kan­tonalen Anwalt­sreg­is­ter einge­tra­gene Per­so­n­en Aktionäre wer­den und bleiben kön­nten. Dies würde zumin­destens zutr­e­f­fen, falls eine solche Per­son die Aktien durch Erb­folge, Erbteilung, Auflö­sung des Güter­standes oder Zwangsvoll­streck­ung erwer­ben und das Kau­fange­bot der Gesellschaft ablehnen würde, sowie für den Fall, dass die Gesellschaft einem solchen Erwer­ber kein Kau­fange­bot für die Aktien unter­bre­ite (E. 3.4).

Das Bun­des­gericht fol­gte dieser Kri­tik indessen nicht. Es erin­nerte daran, dass jed­er Anwalt, der sich in ein Anwalt­sreg­is­ter ein­tra­gen wolle, aufzeigen müsse, dass er die entsprechen­den Voraus­set­zun­gen nach Art. 8 BGFA erfülle und diese auch während der Dauer seines Ein­trags erfüllen müsse, um nicht gestützt auf Art. 9 BGFA aus dem Reg­is­ter gelöscht zu wer­den (E. 4.1). Diese Grund­sätze wür­den inbeson­dere für die Voraus­set­zung der struk­turellen Unab­hängigkeit i.S.v. Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA gel­ten und deren Ein­hal­tung müsse durch die Auf­sicht­skom­mis­sion überwacht wer­den. Die Auf­sicht­skom­mis­sion könne indessen, so das Bun­des­gericht weit­er, nicht unmit­tel­bar anord­nen, dass eine Anwalts­ge­sellschaft und/oder ihre etwaigen nicht-anwaltlichen Gesellschafter bes­timmte Anpas­sun­gen inner­halb der Gesellschaft und der Gesellschafter­struk­tur selb­st vornehmen, um die struk­turelle Unab­hängigkeit der in der Gesellschaft täti­gen Recht­san­wälte und damit deren Ein­tra­gung in das Anwalt­sreg­is­ter sicherzustellen. Die Auf­sicht­skom­mis­sion könne vielmehr höch­stens ver­lan­gen, dass der Recht­san­walt, dessen Stre­ichung aus dem Anwalt­sreg­is­ter erwogen werde, seine Sit­u­a­tion so rasch wie möglich durch eigenes Ein­greifen in die Organ­i­sa­tion sein­er Anwalt­skan­zlei regle, voraus­ge­set­zt natür­lich, dass ein solch­es Ein­greifen in seinem Ein­fluss­bere­ich liege.

Vor­liegend ste­he, so das Bun­des­gericht, fest, dass der Anwalt seine Tätigkeit als Angestell­ter der Anwalts­ge­sellschaft ausübe, deren alleiniger Aktionär und Ver­wal­tungsrat er ist. Er erfülle damit aktuell unbe­strit­ten­er­massen sämtliche, von der Recht­sprechung gestell­ten Anforderun­gen. Die von der Auf­sicht­skom­mis­sion ver­langte Anpas­sung der Statuten würde demge­genüber einzig darauf abzie­len, zu ver­hin­dern, dass nicht im Anwalt­sreg­is­ter einge­tre­gene Per­so­n­en in ein­er hypo­thetis­chen Zukun­ft Gesellschafter der Gesellschaft des Anwalts bleiben, nach­dem solche Per­so­n­en Aktien durch Erb­folge, Auflö­sung des Güter­standes oder Zwangsvoll­streck­ung erwor­ben hät­ten. Auf diese Weise solle eine Gefahr gemildert wer­den, die in Wirk­lichkeit jeden in ein­er Anwalt­skan­zlei angestell­ten Recht­san­walt bedro­he, da sie in den Regeln über die Aktienge­sellschaft enthal­ten sei. Gemäss Art. 685b Abs. 4 und 7 OR i.V.m. Art. 685c Abs. 2 OR sei es denn auch gar nicht möglich, den Erwer­ber von Aktien ein­er Aktienge­sellschaft ex lege und die Beibehal­tung des Eigen­tums durch nicht-anwaltliche Per­so­n­en statu­tarisch zu ver­hin­dern, selb­st wenn die Gesellschaft solchen Per­so­n­en den Kauf dieser Aktien zu deren tat­säch­lichem Wert anbi­ete. Sodann bleibe die Tat­sache, dass die Ein­führung ein­er statu­tarischen Verpflich­tung für allfäl­lige nicht-anwaltliche Aktionäre, ihre Aktien auf einen in einem Anwalt­sreg­is­ter einge­tra­ge­nen Anwalt zu über­tra­gen — soweit eine solche Verpflich­tung zivil­rechtlich angesichts der abschliessenden Regelung betr­e­f­fend die Beschränkung der Über­trag­barkeit von Name­nak­tien (Art. 685a ff. OR) über­haupt zuläs­sig sei -, nicht nur die Organ­i­sa­tion­sau­tonomie der Gesellschaft, son­dern auch die Frei­heit ihrer nicht-anwaltlichen Aktionäre, deren Ver­hal­ten im Voraus fest­gelegt werde, beschränke. Solche Aktionäre wür­den ins­beson­dere die Möglichkeit ver­lieren, ihre Aktien zu behal­ten, den Gesellschaft­szweck zu ändern oder die Gesellschaft zu liq­ui­dieren, während sie unter Umstän­den gezwun­gen wären, ihre Aktien zu einem Preis unter dem tat­säch­lichen Wert zu verkaufen (E. 4.3).

In der Prax­is ste­hen Anwäl­ten, so das Bun­des­gericht weit­er, ver­schiedene ver­tragsrechtliche Instru­mente zur Ver­fü­gung, um das Risiko zu ver­hin­dern, dass nicht-anwaltliche Per­so­n­en Aktionäre ein­er Anwalts­ge­sellschaft wer­den. Inbeson­dere kön­nten sie ein gemein­sames Eigen­tum an den Aktien oder ein Vorkauf­s­recht bzw. eine gegen­seit­ige Rück­kaufverpflich­tung vorse­hen. Solche Lösun­gen seien bei ein­er Anwalts­ge­sellschaft mit einem Anwalt als Alleinak­tionär nicht möglich. In ein­er solchen Kon­stel­la­tion seien die Risiken ein­er Ver­let­zung der struk­turellen Unab­hängigkeit des Anwalts indessen wenig bedeu­tend. Ist z.B. der alleinige Gesellschafter ein­er Anwalt­skan­zlei der einzige Mitar­beit­er, der im Anwalt­sreg­is­ter einge­tra­gen ist, stelle die Über­tra­gung der Aktien im Todes­fall kein Prob­lem dar, weil die sich nun­mehr im Besitz der Erben befind­liche Gesellschaft keine im Anwalt­sreg­is­ter einge­tra­ge­nen Anwälte mehr beschäftige. Tat­säch­lich dürfte sich, so das Bun­des­gericht, das Prob­lem der struk­turellen Unab­hängigkeit des Anwalts nur in zwei Fällen stellen: Wenn der Alleinge­sellschafter ein­er Anwalts­ge­sellschaft, in der mehrere Anwälte tätig sind, ver­sterbe und die Erben die Kan­zlei mit den ehe­ma­li­gen Mitar­beit­ern weit­er­führen wollen, dabei aber Gesellschafter bleiben wür­den, oder wenn der Alleinge­sellschafter infolge ein­er Auflö­sung des Güter­standes oder ein­er Zwangsvoll­streck­ung nur einen Teil sein­er Aktien an eine nicht im Anwalt­sreg­is­ter einge­tra­gene Per­son ver­liere. In diesen Sit­u­a­tio­nen definiere das BGFA jedoch klar und abschliessend die zu tre­f­fend­en Mass­nah­men: Die Anwalt­skom­mis­sion müsse die Anwälte in Anwen­dung von Art. 9 BGFA aus dem Anwalt­sreg­is­ter stre­ichen, wenn sie sich nicht so schnell wie möglich für eine Änderung ihrer Struk­tur entschei­den wür­den. Dabei sei anzumerken, so das Bun­des­gericht weit­er, dass die Auf­sicht­skom­mis­sion und das Kan­ton­s­gericht Fri­bourg durch die ver­langte Nom­i­nal­frist von einem Jahr für den nicht-anwaltlichen Aktionär, um seine Aktien zu verkaufen, von der falschen Prämisse aus­ge­hen wür­den, dass Anwälte ein Jahr lang im Anwalt­sreg­is­ter einge­tra­gen bleiben kön­nten, während sie bei ein­er Gesellschaft angestellt wären, deren Gesellschafter nicht alle im Anwalt­sreg­is­ter einge­tra­gen seien. In einem solchen Fall müssten die Anwälte vielmehr innert kurz­er Frist aus dem Reg­is­ter gestrichen wer­den, da sie ihre Tätigkeit in ein­er Struk­tur ausüben wür­den, welche die Anforderun­gen an die struk­turelle Unab­hängigkeit i.S.v. Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA nicht erfülle (E. 4.4).

Gestützt auf diese Erwä­gun­gen hob das Bun­des­gericht das Urteil des Kan­ton­s­gericht auf, wom­it die Auf­forderung an den Anwalt, die Statuten sein­er Gesellschaft zu ändern, ent­falle (E. 5).