4A_619/2020: Beschränkung des Verfahrens auf die Frage der Zuständigkeit, doppelrelevante Tatsachen (amtl. Publ.)

Gemäss Bun­des­gericht stellt der Entscheid eines Gerichts, das Ver­fahren nicht auf die Frage der Zuständigkeit zu beschränken, stellt kein Zwis­ch­enentscheid über die Zuständigkeit i.S.v. Art. 92 BGG dar, son­dern kann lediglich als ander­er Zwis­ch­enentscheid i.S.v. Art. 93 BGG ange­focht­en wer­den. Hin­ter­grund war ein Ver­fahren, welch­es eine Bank im Kan­ton Waadt gegen eine rus­sis­che Gesellschaft ein­geleit­et hat­te. Die Beklagte beantragte, das Ver­fahren auf die Frage der Zuständigkeit zu beschränken. Sie begrün­dete dies damit, dass keine Zuständigkeit der Schweiz­er Gerichte am Erfol­gsort ein­er uner­laubten Hand­lung (Art. 129 IPRG) gegeben sei. Unter Ver­weis auf die The­o­rie der dop­pel­rel­e­van­ten Tat­sachen wies die Cham­bre pat­ri­mo­ni­ale can­tonale den Antrag der Beklagten ab. Das Tri­bunal can­ton­al wies die Beschw­erde der Beklagten ab.

Zunächst rief das Bun­des­gericht seine Recht­sprechung zu dop­pel­rel­e­van­ten Tat­sachen in Erin­nerung (E. 2). Die Tat­sachen seien ein­fachrel­e­vant, wenn sie lediglich im Hin­blick auf die Zuständigkeit mass­gebend seien. Diese Tat­sachen müssten im Sta­di­um der Zuständigkeit­sprü­fung bewiesen wer­den, sofern die beklagte Partei die Unzuständigkeit­seinrede erhebe und die Vor­brin­gen des Klägers bestre­ite (E. 2.1.1). Demge­genüber seien Tat­sachen dop­pel­rel­e­vant, wenn die für die Zuständigkeit des Gerichts mass­geben­den Tat­sachen eben­falls für die Begrün­de­theit der Klage mass­gebend seien. Im Rah­men der Zuständigkeit­sprü­fung müssten die dop­pel­rel­e­van­ten Tat­sachen nicht bewiesen wer­den; über sie werde auf Grund­lage der Behaup­tun­gen und Anträge des Klägers entsch­ieden. Dabei müsse das Gericht prüfen, ob diese behaupteten Tat­sachen (welche als erstellt gel­ten) schlüs­sig seien, das heisst ob aus ihnen rechtlich auf den vom Kläger gel­tend gemacht­en Gerichts­stand geschlossen wer­den könne (E. 2.1.2). Die The­o­rie der dop­pel­rel­e­van­ten Tat­sachen werde aus­nahm­sweise dann nicht angewen­det, wenn sich der Kläger rechtsmiss­bräuch­lich ver­halte, beispiel­sweise weil er die Klage in ein­er Art und Weise ein­re­iche, mit der ihre wirk­liche Natur ver­schleiert werde oder weil die klägerischen Behaup­tun­gen offen­sichtlich falsch seien. Die The­o­rie der dop­pel­rel­e­van­ten Tat­sachen komme überdies nicht zum Zug, wenn die Zuständigkeit eines Schieds­gerichts bestrit­ten sei, denn eine Partei solle nicht dadurch einen Nachteil erlei­den, dass sich ein solch­es Gericht über stre­it­ige Rechte und Pflicht­en äussere, wenn diese nicht von ein­er gülti­gen Schiedsvere­in­barung gedeckt seien. Die The­o­rie komme fern­er auch dann nicht zur Anwen­dung, wenn sich ein Staat auf gerichtliche Immu­nität berufe (E. 2.2).

Daraufhin ver­warf das Bun­des­gericht die Darstel­lung der Beklagten, wonach der Entscheid der Cham­bre pat­ri­mo­ni­ale can­tonale als Zwis­ch­enentscheid über die Zuständigkeit i.S.v. Art. 92 Abs. 1 BGG ange­focht­en wer­den könne. Vielmehr habe, so das Bun­des­gericht, die Cham­bre pat­ri­mo­ni­ale can­tonale entsch­ieden, das Ver­fahren nicht auf die Frage der Zuständigkeit zu beschränken. Zwar habe sie in Anwen­dung der The­o­rie der dop­pel­rel­e­van­ten Tat­sachen fest­gestellt, dass die von der Klägerin behaupteten Tat­sachen den Schluss auf eine rechtswidrige Hand­lung zu ihrem Nachteil zuliessen. Damit habe sie jedoch nicht endgültig über ihre Zuständigkeit entsch­ieden. Der Entscheid der Cham­bre pat­ri­mo­ni­ale can­tonale, mit welchem sie sich weigert, das Ver­fahren auf die Frage der Zuständigkeit zu beschränken, stelle damit keinen Zwis­ch­enentscheid über die Zuständigkeit i.S.v. Art. 92 Abs. 1 BGG, son­dern einen anderen Zwis­ch­enentscheid i.S.v. Art. 93 BGG dar (E. 3).

Zudem habe, ent­ge­gen der Beklagten, der Zwis­ch­enentscheid der Cham­bre pat­ri­mo­ni­ale can­tonale keinen nicht wieder gutzu­machen­den Nachteil i.S.v. Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG verur­sacht (E. 4). Das Bun­des­gericht erin­nerte daran, dass diese Voraus­set­zung erfüllt sei, wenn die beschw­erde­führende Partei einem Nachteil rechtlich­er Art aus­ge­set­zt sei. Dies sei der Fall, wenn ein für den Beschw­erde­führer gün­stiger Endentscheid den Nachteil nicht gän­zlich behebe. Hinge­gen gelte ein wirtschaftlich­er Schaden oder rein sach­lich­er Schaden nicht als nicht wieder gutzu­machen­den Nachteil (E. 4.1). Vor­liegend habe die Beklagte keinen solchen Nachteil erlit­ten. Sie habe grund­sät­zlich keinen Anspruch auf einen eigen­ständi­gen Zwis­ch­enentscheid über die Zuständigkeit. Vielmehr liege eine mögliche Beschränkung des Ver­fahrens auf die Frage der Zuständigkeit im grossen Ermessen des Gerichts betr­e­f­fend die Ver­fahrens­führung. Darüber hin­aus bringe die Beklagte keine beson­deren Umstände vor, welche gestützt auf die Recht­sprechung einen Anspruch auf einen solchen Zwis­ch­enentscheid begrün­den kön­nten. Schliesslich erlei­de vor­liegend die Beklagte gar keinen nicht wieder gutzu­machen­den Nachteil. Sollte die dop­pel­rel­e­vante Tatsc­a­he nicht zutr­e­f­fen, würde die Klage gegen die Beklagte materiell abgewiesen. Komme das Gericht demge­genüber zum Schluss, dass eine uner­laubte Hand­lung vor­liege, würde sie die Voraus­set­zun­gen der Klage prüfen. Die Beklagte könne dann das Vor­liegen der dop­pel­rel­e­van­ten Tat­sache in ein­er Beru­fung gegen den Entscheid bestre­it­en (E. 4.2).