4F_7/2020: Revisionsgesuch wegen nachträglichen, erheblichen Tatsachen oder Beweismittel (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht äusserte sich in diesem Urteil zu den Anforderun­gen für eine Revi­sion gegen ein früheres Bun­des­gericht­surteil auf­grund nachträglich­er Ent­deck­ung erhe­blich­er neuer Tat­sachen und Beweis­mit­tel (Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG).

Das Urteil erg­ing vor fol­gen­dem Hin­ter­grund: B. ver­langte gerichtlich die Ein­beru­fung ein­er ausseror­dentlichen Gen­er­alver­samm­lung der A. AG. Die A. AG stellte sich auf den Stand­punkt, B. ver­füge nicht über die Stel­lung eines Aktionärs und entsprechend sei das Gesuch abzuweisen. Die kan­tonalen Gerichte hiessen das Gesuch gut. Dabei erwog das Oberg­ericht, dass bei Inhab­er­ak­tien nach Art. 689a Abs. 2 OR diejenige Per­son die damit ver­bun­de­nen Mit­glied­schaft­srechte ausüben könne, die sich als deren Besitzer ausweise, indem sie die Aktien vor­lege. Wür­den die Inhab­er­ak­tien, wie vor­liegend, nur buch­mäs­sig geführt, so trete an die Stelle der Aktienurkunde die Bescheini­gung der Depot­stelle, bei welch­er die Inhab­er­ak­tien einge­bucht seien. Dabei sei auf­grund den von B. ein­gere­icht­en Unter­la­gen, namentlich ein Bank-Depotauszug sowie ein Bankschreiben, von dessen Inhab­er­schaft an den Aktien auszuge­hen. Das Bun­des­gericht wies eine dage­gen erhobene Beschw­erde ab (BGer 4A_134/2020). Rund zwei Monate später reichte die A. AG beim Bun­des­gericht ein Gesuch um Revi­sion dieses Bun­des­gericht­surteils ein. Sie habe nachträglich erhe­bliche Tat­sachen und Beweis­mit­tel ent­deckt, die sie im früheren Ver­fahren nicht habe beib­rin­gen kön­nen (Revi­sion­s­grund nach Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG). Nach der Fäl­lung des bun­des­gerichtlichen Entschei­ds hätte sie im Rah­men der Aktenein­sicht im Strafver­fahren gegen B. erfahren, dass sich die strit­ti­gen Inhab­er­ak­tien bere­its im Zeit­punkt des erstin­stan­zlichen Entschei­des nicht mehr auf dem Depot von B. befun­den hät­ten. Vielmehr habe B. noch während des erstin­stan­zlichen Ver­fahrens die Inhab­er­ak­tien an seinen Sohn über­tra­gen. B. sei daher nicht befugt gewe­sen, die Ein­beru­fung der ausseror­dentlichen Gen­er­alver­samm­lung zu ver­lan­gen. Diese neu ent­deck­ten Tat­sachen unter­legte die A. AG mit neu ent­deck­ten Beweismitteln.

Das Bun­des­gericht prüfte zunächst, ob das Revi­sion­s­ge­such zu Recht am Bun­des­gericht gestellt wurde, oder ob die A. AG dieses bei der Voris­tanz hätte ein­re­ichen müssen. Diese Frage stelle sich vor dem Hin­ter­grund, dass das Bun­des­gericht an den Sachver­halt der Vorin­stanz gebun­den sei (Art. 105 Abs. 1 BGG) sowie neue Tat­sachen und Beweis­mit­tel nur vorge­bracht wer­den dürften, soweit der ange­focht­ene Entscheid dazu Anlass gebe (Art. 99 Abs. 1 BGG). Es ver­wies zunächst auf die in der Lehre zu dieser Frage vertrete­nen Auf­fas­sun­gen (E. 3.1) und erwog anschliessend, dass entschei­dend sei, ob sich das Bun­des­gericht im Aus­gangsver­fahren materiell mit der Sache befasst hätte, mithin ob es auf die Beschw­erde in Zivil­sachen einge­treten sei oder nicht (E. 3.2). Ist das Bun­des­gericht auf die Beschw­erde einge­treten, führe die Gutheis­sung oder die Abweisung auf der Grund­lage der im ange­focht­e­nen Entscheid fest­gestell­ten Tat­sachen dazu, dass der Entscheid des Bun­des­gerichts an die Stelle des ange­focht­e­nen kan­tonalen Entschei­ds trete. In solchen Fällen sei das Revi­sions­begehren grund­sät­zlich beim Bun­des­gericht zu stellen. Eine Aus­nahme gelte, wenn auss­chliesslich Aspek­te aufge­grif­f­en wür­den, die vor Bun­des­gericht nicht (mehr) Stre­it­ge­gen­stand bilde­ten. In diesem Fall habe der Gesuch­steller nach Erlass des Bun­des­gericht­surteils mit seinem Revi­sion­s­ge­such an die kan­tonale Instanz zu gelan­gen (E. 3.2.1). Ist das Bun­des­gericht nicht auf die Beschw­erde einge­treten, erset­ze sein Urteil den ange­focht­e­nen Entscheid nicht. Dies­falls sei das Revi­sion­s­ge­such an die zuständi­ge kan­tonale Vorin­stanz zu richt­en (E. 3.2.2).

Bezüglich sein­er Kog­ni­tion erwog das Bun­des­gericht, dass es — die Zuständigkeit voraus­ge­set­zt — prüfe, ob der gel­tend gemachte Revi­sion­s­grund gegeben sei. Dafür habe es unter anderem zu beurteilen, ob die neu ent­deck­te Tat­sache bzw. das neu ent­deck­te Beweis­mit­tel erhe­blich sei. In diesem Rah­men befasse sich das Bun­des­gericht mit den neu ent­deck­ten Tat­sachen und Beweis­mit­teln, auch wenn es den Sachver­halt im vor­ange­gan­genen Beschw­erde­v­er­fahren nur mit beschränk­ter Kog­ni­tion hätte über­prüfen kön­nen. Hinge der Anwen­dungs­bere­ich von Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG von der Kog­ni­tion im vor­ange­hen­den Beschw­erde­v­er­fahren ab, würde der Gesuch­steller oft ohne Revi­sion­srechtsmit­tel daste­hen (E. 3.3). Beja­he das Bun­des­gericht die Voraus­set­zun­gen des Revi­sion­s­grunds nach Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG, hebe es das Urteil auf, das Gegen­stand des Revi­sion­s­ge­suchs ist, und urteile in der Folge über die ursprüngliche Beschw­erde. Dabei weise es die Sache in aller Regel an die kan­tonale Instanz zur Neubeurteilung zurück, weil das Bun­des­gericht grund­sät­zlich nicht selb­st eine neue Würdi­gung der tat­säch­lichen Sit­u­a­tion vornehme. Das Bun­des­gericht könne indessen im wieder aufgeroll­ten Beschw­erde­v­er­fahren auf eine Rück­weisung verzicht­en und selb­st in der Sache entschei­den, wenn der mass­gebende Sachver­halt ohne Weit­eres fest­ste­he (E. 3.4).

Für eine Revi­sion auf­grund nachträglich ent­deck­ter Tat­sachen bzw. Beweis­mit­tel müssten, so das Bun­des­gericht weit­er, die fol­gen­den fünf Voraus­set­zun­gen gegeben sein (E. 4.1–4.2), welche vor­liegend alle­samt erfüllt seien (E. 5.1–5.6):

  1. Der Gesuch­steller beruft sich auf eine neue Tat­sache respek­tive das neue Beweis­mit­tel dient dem Beweis ein­er vorbe­stande­nen Tat­sache, also eines unecht­en Novums.
    Diese Anforderung war vor­liegend erfüllt: Die A. AG habe ent­deckt, dass sich die strit­ti­gen Inhab­er­ak­tien im Zeit­punkt des erstin­stan­zlichen Entschei­des nicht mehr auf dem Depot von B. befun­den haben. Aus den von der A. AG ein­gere­icht­en neuen Unter­la­gen sei ersichtlich, dass B. die Bank zehn Tage nach der Ein­leitung des ersti­natn­zlichen Ver­fahrens ersucht hat­te, die Inhab­er­ak­tien auf das Depot seines Sohnes zu trans­ferieren. Sodann habe die Empfänger­bank bestätigt, dass sie die Aktien der A. AG in das Depot des Sohnes von B. einge­bucht habe (E. 5.1)
  2. Diese Tat­sache resp. das neue Beweis­mit­tel ist erhe­blich, d.h. die Tat­sache ist geeignet, die tat­säch­liche Grund­lage des ange­focht­e­nen Urteils zu verän­dern und bei zutr­e­f­fend­er rechtlich­er Würdi­gung zu ein­er anderen Entschei­dung zu führen resp. das Beweis­mit­tel ist geeignet, eine Änderung des Urteils zugun­sten des Gesuch­stellers zu bewirken.
    Auch diese Voraus­set­zung erachtete das Bun­des­gericht als erfüllt (E. 5.2.3). Vor­liegend bestritt B. die neuen Tat­sachen und Beweis­mit­tel nicht, son­dern machte gel­tend, dass diese nicht erhe­blich seien, da für die Prü­fung der Aktionär­seigen­schaft einzig auf den Zeit­punkt der Klageein­re­ichung abzustellen sei. Diese Auf­fas­sung ver­warf das Bun­des­gericht. Es ver­weis dabei auf seine im Zusam­men­hang mit dem Recht auf gerichtliche Ein­set­zung auf Son­der­prü­fung ergan­gene Recht­sprechung, wonach das Quo­rum, welch­es die zur Stel­lung des Gesuchs um Son­der­prü­fung mass­gebende Aktionärs­min­der­heit definiere, zu den Voraus­set­zun­gen der Aktivle­git­i­ma­tion gehöre. Die Aktivle­git­i­ma­tion als materiell­rechtliche Voraus­set­zung eines bun­desrechtlichen Anspruchs müsse (auch noch) im Zeit­punkt des gerichtlichen Entschei­ds über die Ein­set­zung des Son­der­prüfers gegeben sein (BGE 133 III 180, E. 3.4). Gle­ich­es gelte, so das Bun­des­gericht, für die Ein­beru­fung ein­er Gen­er­alver­samm­lung im Sinne von Art. 699 Abs. 4 OR. Auch hier gehöre die Aktionär­seigen­schaft zu den Voraus­set­zun­gen der Aktivle­git­i­ma­tion, die nicht bloss im Zeit­punkt der Ein­re­ichung des Gesuchs beim Gericht, son­dern bis zur Urteils­fäl­lung vor­liegen müssten (E. 5.2.1). Auch das von B. vorge­brachte Argu­ment, sein Sohn halte die Aktien nur treuhän­derisch, würde nichts an der Erhe­blichkeit ändern. Auch ein allfäl­liger Treuhand­ver­trag, selb­st wenn von einem solchen aus­ge­gan­gen wer­den würde, ändere nichts daran, dass B. mit der Über­tra­gung der Inhab­er­ak­tien auf das Depot seines Sohnes die Aktionärsstel­lung ver­loren hätte. Die fiduziarische Recht­süber­tra­gung führe dazu, dass der Fiduziar (Treuhän­der) das volle Eigen­tum am Treugut erwerbe und er gegenüber dem Fiduzianten (Treuge­ber) nur oblig­a­torisch verpflichtet sei, dieses in bes­timmter Weise zu gebrauchen. Wür­den Aktien treuhän­derisch über­tra­gen, werde der Treuhän­der somit Eigen­tümer der Aktien und damit auss­chliesslich­er Träger der Gesellschaft­srechte. Gle­ich­es gelte, wenn die Inhab­er­ak­tien nicht als Urkunde dem Treuhän­der über­tra­gen wür­den, son­dern — wie vor­liegend — ihm die in den Buch­ef­fek­ten verkör­perte Recht­spo­si­tion zu Voll­recht auf seinem Effek­tenkon­to gut­geschrieben werde. Auch bei Buch­ef­fek­ten führe die fiduziarische Recht­süber­tra­gung dazu, dass der Fiduziar Voll­rechtsin­hab­er der Buch­ef­fek­te werde und gegenüber dem Fiduzianten nur oblig­a­torisch verpflichtet sei, diese in bes­timmter Weise zu gebrauchen (E. 5.2.2).
  3. Die Tat­sache resp. das Beweis­mit­tel existierte bere­its, als das bun­des­gerichtliche Urteil gefällt wurde (unecht­es Novum); die Tat­sache muss sich mithin bis zum Zeit­punkt ver­wirk­licht haben, als im Hauptver­fahren noch tat­säch­liche Vor­brin­gen respek­tive das Ein­brin­gen des Beweis­mit­tels prozes­su­al zuläs­sig waren. Echte Noven wür­den nach Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG aus­drück­lich ausgeschlossen.
    Auch diese Anforderung war vor­liegend erfüllt: Zum Zeit­punkt der Ein­buchung der Inhab­er­ak­tien im Depot des Sohnes von B. hät­ten die Parteien noch Eingaben im erstin­stan­zlichen Ver­fahren ein­gere­icht. Die neuen Tat­sachen und Beweis­mit­tel hät­ten sich somit zu einem Zeit­punkt ver­wirk­licht, als sie noch im erstin­stan­zlichen Hauptver­fahren hät­ten vor- und einge­bracht wer­den kön­nen (Art. 229 Abs. 1 ZPO) (E. 5.3).
  4. Die Tat­sache resp. das Beweis­mit­tel muss nachträglich, also nach diesem Zeit­punkt, ent­deckt wor­den sein.
    Vor­liegend war unbe­strit­ten und aus­gewiesen, dass die A. AG als Pri­vatk­lägerin erst im Anschluss an die ersten Ein­ver­nah­men, welche nach dem zu rev­i­dieren­den Urteil des Bun­des­gerichts stat­tfan­den, Aktenein­sicht im Strafver­fahren beantra­gen kon­nte und ihr die Akten auch erst dann zugestellt wur­den. Die Tat­sachen und Beweis­mit­tel wur­den damit rund zwei Monate nach der Fäl­lung des zu rev­i­dieren­den Bun­des­gericht­surteils ent­deckt, wom­it auch diese Voraus­set­zung erfüllt sei (E. 5.4)
  5. Der Gesuch­steller kon­nte die Tat­sache respek­tive das Beweis­mit­tel im früheren Ver­fahren trotz hin­re­ichen­der Sorgfalt, mithin unver­schuldet nicht vorbringen.
    Auch diese Voraus­set­zung erachtete das Bun­des­gericht vor­liegend als erfüllt. Ins­beson­dere fol­gte es dem Ein­wand von B. nicht, die A. AG hätte früher von der Über­tra­gung der Inhab­er­ak­tien in das Depot seines Sohnes erfahren kön­nen. Das Bun­des­gericht erin­nert zunächst an seine in diesem Zusam­men­hang ergan­gene Recht­sprechung. Dabei wies es ins­beson­dere darauf hin, dass dem Gesuch­steller keine Nach­läs­sigkeit vorzuw­er­fen sei, wenn die Gegen­partei rel­e­vante Umstände unter­drücke, von welchen der Gesuch­steller keine Ken­nt­nis habe und auch keine haben musste (E. 5.5.2). Vor­liegend habe B. zehn Tage nach der Ein­leitung des Gesuchs sein­er Bank den Über­tra­gungs-Auf­trag erteilt, sich allerd­ings den­noch im weit­eren Prozess unter Hin­weis auf vorherige Urkun­den auf den Stand­punkt gestellt, Aktionär zu sein. B. habe damit im vorgängi­gen Ver­fahren nicht nur unter­drückt, dass er die Inhab­er­ak­tien an seinen Sohn über­tra­gen hat­te, son­dern habe darüber­hin­aus nach der Über­tra­gung der Aktien die unrichtige Angabe gemacht, Inhab­er der Aktien zu sein. Diese falsche Behaup­tung habe er mit ver­al­teten Bankauszü­gen unter­mauert. Unter diesen Umstän­den könne der A. AG keine Nach­läs­sigkeit vorge­wor­fen wer­den, wenn sie im vorgängi­gen Prozess keine weit­eren Nach­forschun­gen über die Inhab­er­schaft von anderen Per­so­n­en an den Aktien getätigt hat­te. Im Übri­gen habe B. nicht nachvol­lziehbar dar­ge­tan, gestützt auf welche Indizien die A. AG im ursprünglichen Ver­fahren an der Inhab­er­schaft von B. an den Aktien hätte zweifeln und dies­bezüglich hätte Nach­forschun­gen täti­gen müssen (E. 5.5.3).

Vor­liegend waren somit sämtliche Voraus­set­zun­gen für eine Revi­sion gestützt auf Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG erfüllt. Entsprechend hob das Bun­des­gericht sein früheres Urteil auf. Darüber hin­aus kon­nte es auf die Rück­weisung verzicht­en, die bei Gutheis­sung eines Revi­sion­s­ge­suchs wegen neu ent­deck­ter Tat­sachen und Beweis­mit­tel in der Regel gilt. Der neue Sachver­halt sei von B. anerkan­nt wor­den und hätte ohne Weit­eres dem neuen Entscheid zugrunde gelegt wer­den kön­nen. Es ste­he somit fest, dass B. im mass­ge­blichen Zeit­punkt nicht mehr Aktionär der A. AG gewe­sen sei. Ihm fehle es somit an der Aktionärsstel­lung und damit an der Aktivle­git­i­ma­tion, weshalb sein Gesuch um Ein­beru­fung ein­er Gen­er­alver­samm­lung der A. AG im Sinne von Art. 699 Abs. 4 OR abzuweisen sei (E. 7).