2C_1040/2018, 2C_1041/2018: Zugang zu Verfahrensakten der Weko (amtl. Publ.)

Im Nach­gang an die Ver­fü­gung der Weko in der Unter­suchung betr­e­f­fend Sub­mis­sion­s­ab­sprachen im Strassen- und Tief­bau im Kan­ton Aar­gau beantragte der Kan­ton Aar­gau volle Aktenein­sicht in diejeni­gen Ver­fahren­sak­ten, in welchen der Kan­ton als Auf­tragge­ber beteiligt war, mithin in die Ver­fü­gung der WEko inklu­sive der dazuge­hören­den Akten. Die Weko hiess das Gesuch teil­weise gut, woraufhin eines der betrof­fe­nen Unternehmen erfol­gre­ich Beschw­erde beim Bun­desver­wal­tungs­gericht erhob.

Das Bun­des­gericht bestätigte indessen die von der Weko ver­fügte Aktenein­sicht. Es erwog, dass die Weko berechtigt ist, gestützt auf Art. 19 Abs. 1 DSG dem Kan­ton Aar­gau Ein­sicht in die Akten des kartell­rechtlichen Sank­tionsver­fahren zu gewähren. Die Bekan­nt­gabe der Per­so­n­en­dat­en war, so das Bun­des­gericht, zuläs­sig, da die Dat­en für den Empfänger im konkreten Einzelfall zur Erfül­lung sein­er geset­zlichen Auf­gabe unent­behrlich sind. Wed­er müsse das Sank­tionsver­fahren recht­skräftig abgeschlossen sei, noch müsse darin ein Kartell­rechtsver­stoss fest­gestellt wor­den sein. Eben­so sei nicht voraus­ge­set­zt, dass das Sank­tionsver­fahren recht­skräftig abgeschlossen sei.

Das Gesuch betr­e­ffe, so das Bun­des­gericht, einen konkreten Einzelfall, da der Kan­ton Aar­gau die Bekan­nt­gabe der Dat­en betr­e­f­fend diejeni­gen Ver­gabev­er­fahren beantragt, in welchen er als Auf­tragge­ber beteiligt war. Es han­dle sich dem­nach um ein Gesuch zur Datenein­sicht in einem konkreten Kartel­lver­wal­tungsver­fahren vor der Weko, wodurch der Kreis der Per­so­n­en durch die Sank­tionsver­fü­gung beschränkt sei (E. 5.2).

Das Gesuch diene sodann der Erfül­lung geset­zlichen Auf­gabe. Das Bun­des­gericht ver­wies auf das Ein­sichts­ge­such des Kan­tons Aar­gau, wo ins­beson­dere auf die Prü­fung von zivil­rechtlichen Schaden­er­satzansprüchen sowie die Prü­fung, ob gewisse Fir­men gestützt auf das Aar­gau Sub­mis­sions­dekret von laufend­en oder zkün­fti­gen Sub­mis­sio­nen auszuschliessen seien. Diese Aspek­te betr­e­f­fen, so das Bun­des­gericht, das Gebot der der wirtschaftlichen Auf­gaben­er­fül­lung sowie die ver­fas­sungsmäs­sige Verpflich­tung auf einen sparsamen und wirtschaftlichen Finanzhaushalt, wozu auch die Gel­tend­machung von Guthaben des Staates gegenüber Drit­ten gehöre (E. 5.3.3).

Schliesslich seien die Dat­en für die Erfül­lung der geset­zlichen Auf­gabe unent­behrlich. Unent­behrlich meine, so das Bun­des­gericht, (abso­lut) notwendig, unbe­d­ingt erforder­lich. Unent­behrlich für die Erfül­lung ein­er Auf­gabe seien Dat­en somit dann, wenn ohne diese die geset­zliche Auf­gabe nicht erfüllt wer­den könne (E. 5.4.2).  Mit den Dat­en solle ein Zweck ver­fol­gt wer­den, mithin eine geset­zliche Auf­gabe erfüllt wer­den. Dass die geset­zliche Auf­gabe tat­säch­lich mit der Bekan­nt­gabe der Dat­en erfüllt werde, sei indessen nicht voraus­ge­set­zt. Insofern müsse aus Sicht der die Dat­en bekan­nt geben­den Behörde die Erfül­lung der geset­zlichen Auf­gabe nur möglich und nicht gewiss sein (E. 5.4.3). Diese Ausle­gung entspreche der Inten­tion von Art. 19 Abs. 1 lit. a DSG, die Amt­shil­fe zu ermglichen. Diese Bes­tim­mung, wie auch die in Art. 19 Abs. 1 lit. b‑d DSG aufge­lis­teten Szenar­ien, seien Ersatz für die fehlende Rechts­grund­lage und wür­den alle Abstriche an der von Art. 19 Abs. 1 Ingress DSG vorge­se­henen Strenge bilden. Diese Sub­sti­tute seien deshalb nicht strenger als das Orig­i­nal. Der Begriff “unent­behrlich” dürfe daher nicht so ver­standen wer­den, dass nachgewiesen wer­den müsste, dass mit den Dat­en die öffentliche Auf­gabe prak­tisch sich­er erfüllt wer­den könne (E. 5.4.4). Auch eine ver­fas­sungskon­forme Betra­ch­tung von Art. 19 Abs. 1 DSG stütze diese Auf­fas­sung (E. 5.4.5). Unent­behrlich seien die Dat­en zudem nicht erst dann, wenn recht­skräftig über die Wet­tbe­werb­swidrigkeit der Ver­gabev­er­fahren entsch­ieden wor­den sei, von denen die Dat­en beantragt wür­den. Das Daten­schutzge­setz sei gemäss Art. 2 Abs. 2 lit. c DSG par­al­lel zu einem erstin­stan­zlichen Ver­wal­tungsver­fahren anwend­bar (E. 5.4.7). Wed­er müsse das Sank­tionsver­fahren recht­skräftig abgeschlossen sei, noch müsse darin ein Kartell­rechtsver­stoss fest­gestellt wor­den sein. Die Daten­bekan­nt­gabe ist dem­nach auch möglich, wenn die Auf­gaben­er­fül­lung lediglich möglich sei, d.h. auch wenn ungewiss sei, ob die Auf­gaben­er­fül­lung im konkreten Einzelfall tat­säch­lich erfolge bzw. erfol­gen könne (E. 5.4.8.1). Dem Bun­desver­wal­tungs­gericht warf das Bun­des­gericht in diesem Zusam­men­hang vor, sich unzuläs­siger­weise sowohl an die Stelle des Kan­tons Aar­gau als auch an die Stelle des Zivil­gerichts geset­zt zu haben. Es sei vielmehr auss­chliesslich die Auf­gabe des Kan­tons Aar­gau darüber zu befind­en, ob über­haupt und gegeben­falls wann, wie und mit welchen Mit­teln ein Ver­fahren angestrengt werde. Sodann nehme das Bun­desver­wal­tungs­gericht einen unzuläs­si­gen Stand­punkt ein, wenn es impliz­it davon aus­ge­he, dass der Zivil­richter an kartel­lver­wal­tungsrechtliche Entschei­de gebun­den sei (E. 5.4.8.2). Eben­so nicht voraus­ge­set­zt sei, dass das Sank­tionsver­fahren recht­skräftig abgeschlossen sei. Das Bun­des­gericht begrün­det dies damit, dass Kartell­rechts­fälle äusserst kom­plex seien, weshalb die Behand­lung der Fälle durch die drei Instanzen häu­fig länger dauere als die absolute Ver­jährungs­frist von zehn Jahren (vgl. Art. 127 OR). Auch wenn die rel­a­tive Ver­jährungs­frist auch bei unklaren Umstän­den unter­brochen wer­den könne, ändere dies nichts daran, dass jemand, der von Sub­mis­sion­skartellen betrof­fen sei, vielfach erst nach Ablauf der absoluten Ver­jährungs­frist wisse, dass er effek­tiv ein Geschädigter sei. Insofern wür­den viele Schaden­er­satzk­la­gen ins Leere laufen, da die Ansprüche als ver­jährt betra­chtet wür­den. Es würde aber das Recht auf freien Zugang zum Gericht nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK ver­let­zen, wenn ein Betrof­fen­er über­haupt keine Möglichkeit erhält, seine Schaden­er­satz­forderung vor einem Gericht gel­tend zu machen (E. 5.4.8.3).