2C_500/2020: Offenlegung von Vergleichsvorschlägen, Verletzung von Art. 12 lit. a BGFA

Das Bun­des­gericht entsch­ied in diesem Urteil, dass ein Anwalt, der durch aktives Han­deln störend in die Wahrheits­find­ung des Gerichts ein­greift, gegen Art. 12 lit. a BGFA verstösst.

Gegen­stand war ein Schreiben eines Anwalts, welch­es einen Ver­gle­ichsvorschlag enthielt. Nach­dem das Eini­gungsver­fahren ergeb­nis­los ver­laufen war, reichte der Gege­nan­walt (Beschw­erde­führer) dieses Schreiben im anschliessenden Schriften­wech­sel als “Auszug aus Schreiben […]” beze­ich­nete Beilage ein, in welch­er ver­schiedene Teile abgedeckt waren. Die Auf­sicht­skom­mis­sion ver­warnte daraufhin den Beschwerdeführer.

Vor Bun­des­gericht machte der Beschw­erde­führer zunächst gel­tend, dass der Anwalt, indem er den Ver­gle­ichsvorschlag bere­its vor ihm dem Zivil­gericht zugestellt habe, die Ver­traulichkeit aufge­hoben hätte. Ausser­dem habe das Zivil­gericht ihm den Ver­gle­ichsvorschlag zugestellt und die Ver­traulichkeit damit nochmals aufge­hoben (E. 4.1). Die Auf­sicht­skom­mis­sion stellte sich demge­genüber auf den Stand­punkt, dasss ein Anwalt einen Ver­gle­ichsvorschlag der anwaltlich vertrete­nen Gegen­partei nur mit aus­drück­lich­er Zus­tim­mung an das Gericht weit­er­leit­en dürfe. Auch eine bloss auszugsweise Offen­le­gung sei ohne eine solche Zus­tim­mung nicht zuläs­sig (E. 4.2). Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst an seine im Zusam­men­hang mit der Ver­traulichkeit von Ver­gle­ichs­ge­sprächen ergan­gene Recht­sprechung (E. 4.3–4.5). Anschliessend wies es darauf hin, dass im Schei­dungsver­fahren kein Schlich­tungsver­fahren stat­tfinde und auf­grund der Lehre die Natur der Eini­gungsver­hand­lung vage sei (E. 4.7). Angesichts dieser vielschichti­gen, noch nicht höch­strichter­lich gek­lärten und in der Lehre umstrit­te­nen Natur der Eini­gungsver­hand­lung könne dem Beschw­erde­führer keine Ver­let­zung der Ver­traulichkeit im Sinne ein­er qual­i­fizierten Norm- bzw. Sorgfaltswidrigkeit, mithin eines bedeut­samen Ver­stoss gegen die Beruf­spflicht­en, und damit kein Ver­stoss gegen Art. 12 lit. a BGFA vorge­wor­fen wer­den. Ob, wie vom Beschw­erde­führer gel­tend gemacht, vor­liegend keine zu schützende Ver­traulichkeit mehr bestanden hätte und er spätestens mit dem Emp­fang des Ver­gle­ichsvorschlags durch das Zivil­gericht von der Verpflich­tung, den (durch den Anzeiger zu den Akten des Ver­fahrens gere­icht­en) Ver­gle­ichsvorschlag ver­traulich zu behan­deln, befre­it gewe­sen sei, liess das Bun­des­gericht offen (E. 4.8).

Am Beschw­erde­führer haften blieb indessen der Vor­wurf, das Zivil­gericht in die Irre geführt zu haben. Die Auf­sicht­skom­mis­sion hat­te dies damit begrün­det, dass der Beschw­erde­füher mit der
Abdeck­ung der Ein­leitung des Schreibens ver­tuscht hätte, dass es sich bei den nach­fol­gen­den Aus­führun­gen nur um unpräjudizielle Erk­lärun­gen im Rah­men von Ver­gle­ichsver­hand­lun­gen gehan­delt habe. Er habe das entsprechende Schreiben durch die Abdeck­un­gen in eine unbe­d­ingte Schul­dan­erken­nung über CHF 700’000 “umfunk­tion­iert” (E. 5.2). Das Bun­des­gericht schützte diese Begrün­dung (E. 5.5). Bei der Wahl der Mit­tel sei der Anwalt, so das Bun­des­gericht, auf geset­zeskon­forme Mit­tel beschränkt. In diesem Sinne sei es dem Anwalt unter anderem unter­sagt, zu Beweiszweck­en Urkun­den zu fälschen. Darüber hin­aus sei es — auch unter­halb ein­er strafrechtlichen Ver­ant­wortlichkeit — nicht mit der Verpflich­tung zur sorgfälti­gen und gewis­senhaften Beruf­sausübung vere­in­bar, wenn der Anwalt “pos­i­tiv störend” in die Wahrheits­find­ung ein­greife, d.h. bewusst durch aktives Han­deln das Gericht in die Irre führe. Umgekehrt sei er jedoch nicht gehal­ten, falsche Annah­men des Gerichts richtig zu stellen, wenn dies dem Klien­ten­in­ter­esse diene, oder auf für den Klien­ten ungün­stige Sachver­halt­se­le­mente hinzuweisen (E. 5.4). Vor­liegend habe der Beschw­erde­führer auf­sicht­srechtlich unzuläs­sig gehan­delt. Zwar habe die Auf­sicht­skom­mis­sion nicht fest­gestellt, ob das Zivil­gericht auf­grund der genan­nten Antwort­beilage let­ztlich tat­säch­lich getäuscht wor­den sei. Dies könne jedoch bei der Beurteilung der Ver­let­zung der Beruf­spflicht­en, jeden­falls in vor­liegen­der Kon­stel­la­tion, keine Rolle spie­len (E. 5.5).