4A_428/2020: Beginn der neuen Verjährung bei Abschluss des Rechtstreits vor der befassten Instanz (Art. 138 Abs. 1 OR)

Das Bun­des­gericht klärte in diesem Urteil, dass ein Rechtsstre­it vor der befassten Instanz abgeschlossen im Sinne von Art. 138 Abs. 1 OR sei, und die Ver­jährung damit von Neuem zu laufen begin­nt, wenn der Instanzen­zug aus­geschöpft sei. Die Ver­jährung beginne damit von Neuem zu laufen, wenn die befasste Instanz einen Endentscheid gefällt habe, der nicht mehr durch Beru­fung oder Beschw­erde ange­focht­en wer­den könne. Wurde Beru­fung oder Beschw­erde gegen einen Entscheid ein­gelegt, dann beginne die Ver­jährung nicht von Neuem, und zwar unab­hängig davon, wer das Rechtsmit­tel ergrif­f­en habe. Die Ver­jährung beginne auch dann nicht von Neuem, wenn das Bun­des­gericht die Sache an die Vorin­stanz zurück­weise, da in dieser Kon­stel­la­tion der Instanzen­zug noch nicht aus­geschöpft sei, weil auch gegen den neuen Entscheid der Vorin­stanz wieder die üblichen Rechtsmit­tel offen ste­hen würde. Keinen Ein­fluss auf die Ver­jährung hät­ten demge­genüber ausseror­dentliche Rechtsmit­tel wie die Revi­sion oder die Erläuterung, da andern­falls ein Ver­jährungsauf­schub auf unbes­timmte Zeit möglich wäre (E. 7.3).

Hin­ter­grund des Urteils war die Einrede der Ver­jährung, welche die Beschw­erde­führerin vor dem Bun­des­gericht erhoben hat­te. Unbe­strit­ten war, dass die Ver­jährung des eingeklagten Anspruchs noch nicht ein einge­treten war, als das erstin­stan­zliche Urteil erg­ing. Allerd­ings machte sie gel­tend, dass gemäss Art. 138 Abs. 1 OR die vor­liegend mass­ge­bliche ein­jährige Ver­jährungs­frist mit dem erstin­stan­zlichen Urteil wieder zu laufen begonnen habe. Da eine weit­ere Unter­brechung der Ver­jährung unter­lieben sei, sei die Ver­jährung einge­treten, bevor die Rechtsmit­telin­stanz sein Urteil gefällt habe (E. 5.1). Die Beschw­erdegeg­ner­in stellte sich demge­genüber auf den Stand­punkt, dass die Ver­jährung erst von Neuem zu laufen beginne, wenn das erstin­stan­zliche Urteil recht­skräftig gewor­den sei. Dies sei auf­grund des Weit­erzugs an die Rechtsmit­telin­stanz und her­nach an das Bun­des­gericht noch nicht geschehen (E. 5.2).

Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst an die alte Fas­sung von Art. 138 Abs. 1 OR, wonach die Ver­jährung “im Ver­laufe des Rechtsstre­ites mit jed­er gerichtlichen Hand­lung der Parteien und mit jed­er Ver­fü­gung oder Entschei­dung des Richters” von Neuem beginne. Unter diese Bes­tim­mung sei es daher möglich gewe­sen, dass die Forderung unter der Hand des Gerichts ver­jährt sei (E. 5.3.1). Im Zuge der Inkrat­tre­tung der ZPO sei Art. 138 Abs. 1 OR in die heutige Form angepasst wor­den. Das Gesetz kläre indessen nicht, wann der “Abschluss des Rechtsstre­its vor der befassten Instanz” ein­trete und die Ver­jährung von Neuem zu laufen beginne (E. 5.3.2 und E. 6). Sowohl die bish­erige Recht­sprechung des Bun­des­gerichts (E. 6.1.1 und 6.1.2) als auch die Mate­ri­alien (E. 6.3.1) wür­den hin­sichtlich dieser Frage keinen Auf­schluss bieten. Sodann ver­wies es auf die Revi­sion des Oblig­a­tio­nen­rechts, mit welch­er die Ver­jährungs­fris­ten im Haftpflichtrecht ver­längert und mit dem Ver­trags- und Bere­icherungsrecht har­mon­isiert wur­den. In diesem Zusam­men­hang habe der Voren­twurf eine Revi­sion von Art. 138 Abs. 1 OR vorge­se­hen. Gemäss Bericht zum Voren­twurf solle eine Forderung nicht mehr während eines Rechtsmit­telver­fahrens ver­jähren. Offen­sichtlich sei — so das Bun­des­gericht — davon aus­ge­gan­gen wor­den, dass dies auch unter dem rev­i­dierten Art. 138 Abs. 1 OR noch möglich gewe­sen wäre. Allerd­ings habe der Voren­twurf auf ein Urteil ver­wiesen, welch­es noch unter der alten Fas­sung von Art. 138 Abs. 1 OR ergan­gen sei. Unbe­se­hen dieses Verse­hens sei indessen begrüsst wor­den, dass die Ver­jährung erst nach Abschluss des gerichtlichen Ver­fahrens neu zu laufen beginne, da damit eine Prozess­falle beseit­igt werde. Im späteren Entwurf sei dann keine Änderug von Art. 138 Abs. 1 OR mehr vorge­se­hen gewe­sen (E. 6.3.2).

Sodann wies das Bun­des­gericht auf die ver­schiede­nen, in der Lehre zur Frage, wann der “Abschluss des Rechtsstre­its vor der befassten instanz” ein­trete, hin. Dabei wird entwed­er auf den Zeit­punkt der (formellen) Recht­skraft bzw. auf das Ende der Recht­shängigkeit, auf den Zeit­punkt der Eröff­nung des Endentschei­ds (es sei denn bei deklara­torischen Entschei­den wie Abschrei­bungsentschei­den), wobei der Begriff der Klage auch Rechtsmit­tel umfasse, oder auf das Auss­chöpfen des Instanzen­zugs abgestellt (E. 6.4).

Anschliessend erwog das Bun­des­gericht, dass diejenige Lösung dem Sinn und Zweck von Art. 138 Abs. 1 OR gerecht werde, wonach der Rechtsstre­it vor der befassten Instanz abgeschlossen sei, wenn ihr Endentscheid nicht mehr durch Beru­fung oder Beschw­erde ange­focht­en wer­den könne. Nur bei dieser Lösung sei eine Ver­jährung der Forderung unter der Hand des Gerichts aus­geschlossen (E. 7.2.3). Die anderen bei­den Ansicht­en bieten, so das Bun­des­gericht, keine zufrieden­stel­lende Lösung: Würde auf den Ein­tritt der formellen Recht­skraft abgestellt, könne dies bedeuten, dass die Ver­jährung von Neuem zu laufen beginne, obwohl die Forderung noch von ein­er Rechtsmit­telin­stanz zu beurteilen sei. Zudem sei nicht immer ein­deutig, ob und wann die formelle Recht­skraft ein­trete. Bei dieser Ausle­gung könne die Forderung während laufend­en Rechtsmit­telver­fahren ver­jähren, was der ratio legis des rev­i­dierten Art. 138 Abs. 1 OR nicht gerecht werde (E. 7.2.1). Auch das Abstellen auf die Entschei­deröff­nung sei nicht zufrieden­stel­lend, da auch nach dieser Auf­fas­sung Forderun­gen unter der Hand des Richters ver­jähren kön­nten. Nach dieser Auf­fas­sung beginne die Ver­jährung neu, auch wenn der Rechtsstre­it vor eine Rechtsmit­telin­stanz weit­erge­zo­gen werde. Die Vertreter dieser Auf­fas­sung wür­den dem Prob­lem, dass die Ver­jährung während dem Rechtsmit­telver­fahren laufe, dadurch begeg­nen, indem auch Rechtsmit­tel gegen Endentschei­de als Klage im Sinne von Art. 135 Ziff. 2 OR qual­i­fizieren wür­den. Allerd­ings kön­nten, so das Bun­des­gericht, auch Schuld­ner das Rechtsmit­tel erheben. Das Rechtsmit­tel des Schuld­ners könne jedoch die Ver­jährung nicht unter­brechen. Das Bun­des­gericht räumt indessen ein, dass diese Ausle­gung nicht rest­los mit dem Wort­laut von Art. 138 Abs. 1 OR gemäss deutsch­er und ital­ienis­ch­er Fas­sung vere­in­bar sei (E. 7.4).