4A_449/2020: Rechtskraft bei rein betragsmässig beschränkten Teilklagen

Das Bun­des­gericht klärte in diesem Urteil, dass die recht­skräftige Abweisung ein­er Teilk­lage, mit welch­er die kla­gende Partei einen einzig betragsmäs­sig beschränk­ten Teil ein­er Forderung gel­tend mache, grund­sät­zlich das spätere Ein­kla­gen eines weit­eren Teil­be­trags der­sel­ben Forderung auss­chliesse.

Hin­ter­grund war die Klage ein­er Stiftung vor dem Han­dels­gericht Zürich, mit welch­er eine Bank zur Zahlung von CHF 100’000 hätte verurteilt wer­den sollen. Die Bank machte gel­tend, das Bezirks­gericht Zürich habe bere­its recht­skräftig über die iden­tis­che Klage entsch­ieden. Damals habe die ange­bliche Ver­mö­gensver­wal­terin der Stiftung mit­tels Teilk­lage den von der Stiftung behaupteten Anspruch gegen die Bank gel­tend gemacht. Das Bezirks­gericht habe die Klage infolge fehlen­der Aktivle­git­i­ma­tion der Ver­mö­gensver­wal­terin, man­gels direk­ter Schädi­gung der­sel­ben und infolge Ver­jährung allfäl­liger ver­traglich­er oder ausserver­traglich­er Ansprüche vol­lum­fänglich abgewiesen. Das Han­dels­gericht trat daraufhin auf die Klage nicht ein, da eine abgeurteilte Sache vorliege.

Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst daran, dass sich die Iden­tität von Stre­it­ge­gen­stän­den im Hin­blick auf diese neg­a­tive Wirkung der materiellen Recht­skraft nach den Klageanträ­gen und dem behaupteten Lebenssachver­halt, mithin dem Tat­sachen­fun­da­ment, auf das sich die Klage­begehren stützen wür­den, beurteile. Daraus folge, dass sich die materielle Recht­skraft nicht nur auf die
vom Gericht geprüfte Anspruchs­grund­lage beziehe. Auch wenn die Klage infolge ein­er unvoll­ständi­gen Prü­fung abgewiesen werde, könne der Kläger zufolge der materiellen Recht­skraft des Entschei­ds später an kein anderes Gericht gelan­gen, um die noch nicht geprüfte Rechts­grund­lage anzu­rufen. Ausser­dem beziehe sich die Recht­skraft nach dem Grund­satz der Präk­lu­sion auf den indi­vid­u­al­isierten Anspruch schlechthin und schliesse Angriffe auf sämtliche Tat­sachen aus, die im Zeit­punkt des Urteils bere­its bestanden hät­ten, unab­hängig davon, ob sie den Parteien bekan­nt gewe­sen, von diesen vorge­bracht oder vom Gericht beweis­mäs­sig als erstellt erachtet wor­den wären (E. 3).

Die Beschw­erde­führerin rügte zunächst, das Han­dels­gericht beja­he zu Unrecht die Iden­tität der Stre­it­ge­gen­stände der bei­den Ver­fahren. Im Übri­gen wür­den auch die an den Ver­fahren beteiligten Parteien nicht übere­in­stim­men. Das Bun­des­gericht ver­warf diese Rügen und bestätigte die Fest­stel­lung des Han­dels­gerichts, wonach bei­de Ver­fahren densel­ben Lebenssachver­halt zum Gegen­stand gehabt hät­ten und sich die Stiftung das Urteil des Bezirks­gerichts Zürich ent­ge­gen­hal­ten lassen müsse.

Das Han­dels­gericht hat­te erwogen, sowohl beim früheren Ver­fahren als auch bei der vor­liegen­den Klage han­dle es sich jew­eils um schlichte Teil­forderungskla­gen aus einem Gesam­tanspruch von CHF 5’000’000. Die ange­bliche Forderung gehe in bei­den Ver­fahren auf eine Zahlung von CHF 5’000’000 von einem Kon­to auf ein Num­mernkon­to bei der beklagten Bank zurück, von wo der Betrag — gemäss Aus­führun­gen der jew­eili­gen Klägerin — ent­ge­gen auf­tragsrechtlich­er Instruk­tio­nen, ent­ge­gen bankspez­i­fis­ch­er Auskun­fts- und Aufk­lärungspflicht­en sowie genereller Sorgfalt­spflicht­en und ent­ge­gen den gel­tenden geld­wäschereige­set­zlichen Vorschriften “abver­fügt” wor­den sei. Sodann habe die Stiftung, so das Han­dels­gericht weit­er, mit ihren Aus­führun­gen das Vor­liegen des iden­tis­chen Lebenssachver­halts mehrfach selb­st bestätigt. Schliesslich habe sie nicht aufgezeigt, inwiefern mit der Beru­fung auf eine abwe­ichende Haf­tungs­grund­lage dem Han­dels­gericht ein völ­lig ander­er Sachver­halt zur Beurteilung unter­bre­it­et würde (E. 5.2.1). Die entsprechen­den Rügen der Stiftung qual­i­fizierte das Bun­des­gericht als appel­la­torische Kri­tik. Sodann sei die Kri­tik unbe­grün­det. Nur weil die Stiftung ihre Ansprüche in der zweit­en Klage auf eine neue Rechts­grund­lage (in casu Art. 101 OR) stütze, entste­he, so das Bun­des­gericht, kein neuer Stre­it­ge­gen­stand. Wenn die Stiftung argu­men­tiere, sie habe vor dem Han­dels­gericht auch neue Tat­sachen­be­haup­tun­gen aufgestellt, verkenne sie im Übri­gen, dass zum beurteil­ten Lebenssachver­halt nicht nur ger­ade die in der Klage vorge­bracht­en Tat­sachen zählen wür­den, son­dern let­ztere vielmehr ein Feld von Tat­sachen absteck­en wür­den, im Rah­men dessen bei son­stiger Präk­lu­sion Vor­brin­gen erstat­tet wer­den müssten (E. 5.2.2.). Sodann hat­te das Han­dels­gericht erwogen, dass die Stiftung nicht aufgezeigt hätte, inwiefern ihr eine von der bere­its beurteil­ten Forderung unab­hängige, eigene Forderung zuste­he. In ihrer Klage­be­grün­dung spreche sie zwar von ein­er ange­blichen Geschädigten­stel­lung infolge “Legalzession/Subrogation” und “Ver­tragszes­sion”, beze­ichne aber weit­er­hin die Ver­mö­gensver­wal­terin bisweilen als aktivle­git­imiert und geschädigt. Sodann mache die Stiftung gel­tend, die Ver­mö­gensver­wal­terin habe ihr die Forderung rück- bzw. weit­erzediert. Damit bestätige die Stiftung, so das Han­dels­gericht, selb­st, dass sie vor­liegend ger­ade nicht eine vom Erst­prozess unab­hängige, eigene Forderung gel­tend mache. Durch die Abtre­tung eines recht­skräftig beurteil­ten Anspruchs an eine Drittpartei könne die Iden­tität der Partei und damit die Wirkung der Recht­skraft nicht ent­fall­en oder umgan­gen wer­den (E. 5.3.1). Auf die dies­bezüglichen Rügen der Stiftung trat das Bun­des­gericht nicht ein (E. 5.3.2).

Gestützt auf diesen Sachver­halt erwog das Bun­des­gericht, dass sich die Recht­skraft des Urteils des Bezirks­gerichts, welch­es eben­falls eine echte Teilk­lage zum Gegen­stand hat­te, nicht lediglich auf den damals beurteil­ten Teilanspruch erstrecke. Vielmehr schliesse, wie das Han­dels­gericht richtig entsch­ieden habe, die recht­skräftige Abweisung der ersten Teilk­lage spätere iden­tis­che Kla­gen über andere Anspruchteile aus.

Das Bun­des­gericht erin­nerte daran, dass die Recht­skraftwirkung einesUrteils nur für den beurteil­ten Teil­be­trag, nicht jedoch bezüglich der Gesamt­forderung ein­trete, weil die Dis­po­si­tion­s­maxime (Art. 58 Abs. 1 ZPO) die Zuständigkeit des Gerichts auf den eingeklagten Betrag begren­ze. Darüber hin­aus könne das Urteils­dis­pos­i­tiv keine Wirkung ent­fal­ten. Die Urteils­gründe — seien sie tat­säch­lich­er oder rechtlich­er Natur — seien für ein späteres Ver­fahren über die Rest­forderung nicht verbindlich, auch wenn sich in diesem diesel­ben Fra­gen stellen wür­den (E. 6.2). Zu Recht befür­worte, so das Bun­des­gericht weit­er, allerd­ings ein gewichtiger Teil der Lehre für den Fall der Abweisung der Teilk­lage eine weit­erge­hende Recht­skraftwirkung, sofern die eingeklagte Teil­forderung bloss betragsmäs­sig beschränkt bzw. indi­vid­u­al­isiert wor­den sei. Diese Auf­fas­sung beruhe auf der Über­legung, dass die kla­gende Partei mit ein­er der­ar­ti­gen Teilk­lage gel­tend mache, es sei min­destens der eingeklagte Teil­be­trag geschuldet (soge­nan­nter Sock­el­be­trag). Mit der darauf­fol­gen­den Teilk­lage mache sie dage­gen einen den Sock­el­be­trag über­steigen­den Rest­be­trag gel­tend, wofür sie behaupten müsse, die Gesamt­forderung sei gröss­er als der Sock­el­be­trag. Bere­its auf­grund des Dis­pos­i­tivs des ersten Entschei­ds, der die Teilk­lage (gesamt oder teil­weise) abweise, ste­he aber fest, dass dies nicht der Fall sei und daher der geforderte Rest­be­trag nicht geschuldet sei (E. 6.3 und 6.4). Beschränke die kla­gende Partei ihr Klage­begehren wie vor­liegend einzig betragsmäs­sig, dürfe das Gericht dieses nur abweisen, wenn es zur Erken­nt­nis gelangt sei, dass der kla­gen­den Partei aus dem behaupteten Sachver­halt über­haupt keine Forderung zuste­he, es mithin die gesamte von der kla­gen­den Partei behauptete Forderung geprüft hätte. Bei der Ausle­gung des Urteils­dis­pos­i­tivs (auf Klage­ab­weisung) sei diesem Prü­fung­sum­fang Rech­nung zu tra­gen, mit der Folge, dass die Recht­skraft eine zweite Klage über einen weit­eren Teil der­sel­ben Forderung auss­chliesse. Eine erneute Beurteilung wider­spräche dem Grund­satz der Ein­ma­ligkeit des Rechtss­chutzes, der in Art. 59 Abs. 2 lit. e ZPO zum Aus­druck komme. Dies müsse unab­hängig davon gel­ten, in welch­er Ver­fahren­sart und von welchem Gericht die erste Teilk­lage auf­grund ihres Stre­itwerts beurteilt wor­den sei und welche Rechtsmit­tel gegen den Entscheid über die Teilk­lage offenge­s­tanden seien (E. 6.4.2).

Dieses Ver­ständ­nis sei, so das Bun­des­gericht weit­er, vor­be­halt­los mit der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung zur Recht­skraft bei Teilk­la­gen vere­in­bar (E. 6.4.3). So ver­weis es auf BGer 4A_194/2012, wo  es erwogen hat­te, dass bei ein­er Teilgutheis­sung ein­er Teilk­lage, wenn der Entscheid in Recht­skraft erwachse, fest­ste­he, dass der Beklagte dem Kläger aus dem im Prozess gel­tend gemacht­en Sachver­halt diesen Betrag schulde und nicht mehr. Demge­genüber hät­ten die Entschei­de, in denen der Grund­satz der beschränk­ten Recht­skraft eines Urteils über eine Teilk­lage sta­tu­iert werde, über­wiegend den Fall der Gutheis­sung der Teilk­lage zum Gegen­stand, für den die Nicht­bindung weit­ge­hend unbe­strit­ten sei. Sodann habe das Bun­des­gericht in BGer 4A_13/2017 erwogen, dass eine kla­gende Partei nicht daran gehin­dert sei, in ein­er neuen Klage andere Schaden­sposten gel­tend zu machen, wenn die Teilk­lage abgewiesen wer­den sollte. Die damals zu beurteilende Teilk­lage sei indessen nicht betragsmäs­sig auf einen Teil der Gesamt­forderung, son­dern vielmehr auf einzelne Schaden­sposten begren­zt gewe­sen. Unter diesen Umstän­den müsse das Gericht aber — im Gegen­satz zum hier inter­essieren­den Fall ein­er einzig betragsmäs­sig beschränk­ten Klage — auch für eine Abweisung nicht den Gesamtschaden, son­dern lediglich die eingeklagten Schaden­sposten prüfen. Es finde daher in einem solchen Fall ohne Weit­eres der Grund­satz Anwen­dung, dass das erste Urteil das zweite Ver­fahren über die weit­eren Schaden­sposten nicht präjudiziere.