4A_529/2020: negative Feststellungswiderklage bei Teilklage; Bestätigung der Rechtsprechung (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht bestätigt in diesem Urteil seine Recht­sprechung, wonach bei unecht­en oder echt­en Teilk­la­gen unab­hängig vom Erforder­nis der gle­ichen Ver­fahren­sart gemäss Art. 224 Abs. 1 ZPO eine neg­a­tive Fest­stel­lungswiderk­lage erhoben wer­den kann, wenn die Teilk­lage eine Ungewis­sheit zur Folge hat, die es recht­fer­tigt, im Sinne von Art. 88 ZPO die Fest­stel­lung des Nichtbe­stands ein­er Forderung oder eines Rechtsver­hält­niss­es zu ver­lan­gen. Offen liess das Bun­des­gericht indessen die Frage, wie weit das Fest­stel­lungsin­ter­esse der beklagten Partei in der­ar­ti­gen Fällen all­ge­mein reiche.

Hin­ter­grund war die Teilk­lage ein­er Verun­fall­ten (Beschw­erde­führerin) über CHF 30’000 zuzüglich Zins als Anteil des in einem bes­timmten Zeitraum ent­stande­nen Erwerb­saus­fallschadens, woraufhin die eingeklagte Haftpflichtver­sicherung eine Widerk­lage mit dem Antrag erhob, es sei festzustellen, dass sie kein­er­lei Leis­tun­gen aus dem Unfall­ereig­nis schulde. In prozes­sualer Sicht stellte die Ver­sicherung den Antrag, das Ver­fahren an das für das ordentliche Ver­fahren zuständi­ge Gericht zu über­weisen. Der Einzel­richter gab diesem Antrag statt.

Das Bun­des­gericht wies, ohne vorgängig Vernehm­las­sun­gen einzu­holen, die Beschw­erde der Verun­fall­ten ab. Es ver­wies zunächst auf seine bish­erige Recht­sprechung zu Art. 224 Abs. 1 ZPO. So erin­nerte es zunächst an BGE 143 III 506, wonach es grund­sät­zlich nicht zuläs­sig sei, im vere­in­facht­en Ver­fahren eine Widerk­lage zu erheben, die auf­grund ihres Stre­itwerts von über CHF 30’000 in den Gel­tungs­bere­ich des ordentlichen Ver­fahrens falle. Abwe­ichen­des gelte jedoch für soge­nan­nte neg­a­tive Fest­stel­lungswiderk­la­gen, bei welchen Art. 224 Abs. 1 ZPO der in Reak­tion auf eine echte Teilk­lage erhobe­nen neg­a­tiv­en Fest­stel­lungswiderk­lage nicht ent­ge­gen­ste­he, auch wenn deren Stre­itwert die Anwend­barkeit des ordentlichen Ver­fahrens zur Folge habe. Haupt- und Widerk­lage seien dies­falls zusam­men im ordentlichen Ver­fahren zu beurteilen. Sodann ver­wies das Bun­des­gericht auf BGE 145 III 299, wo es präzisierte, dass die Aus­nahme vom Erforder­nis der gle­ichen Ver­fahren­sart gemäss Art. 224 Abs. 1 ZPO nicht auf den Fall ein­er soge­nan­nten echt­en Teilk­lage beschränkt sei, son­dern all­ge­mein dann gelte, wenn die Teilk­lage eine Ungewis­sheit zur Folge habe, die es recht­fer­tige, im Sinne von Art. 88 ZPO die Fest­stel­lung des Nichtbe­stands ein­er Forderung oder eines Rechtsver­hält­niss­es zu ver­lan­gen (E. 2.1).

Diese Recht­sprechung sei, so das Bun­des­gericht weit­er, auch im Per­so­n­en­schaden­recht anwend­bar. Aus den vor­ge­nan­nten Urteilen ergebe sich keine entsprechende Beschränkung. Vielmehr habe BGE 143 III 506 einen Per­so­n­en­schaden zum Gegen­stand gehabt und das Bun­des­gericht habe die darin begrün­dete und in BGE 145 III 299 präzisierte Recht­sprechung sei­ther auch im Haftpflichtrecht angewen­det. Es beste­he kein Anlass, von dieser Recht­sprechung abzuwe­ichen. Ent­ge­gen der Beschw­erde­führerin ver­bi­ete diese Recht­sprechung es nicht, zunächst nur einen Teil eines Gesamtschadens gerichtlich gel­tend zu machen. Vielmehr bedeute die Recht­sprechung, dass die mit ein­er Teilk­lage kon­fron­tierte beklagte Partei, wenn sie über ein hin­re­ichen­des Rechtss­chutz­in­ter­esse ver­füge, unab­hängig von der in Art. 224 Abs. 1 ZPO sta­tu­ierten Voraus­set­zung der gle­ichen Ver­fahren­sart eine neg­a­tive Fest­stel­lungswiderk­lage erheben könne. Offen liess das Bun­des­gericht in diesem Zusam­men­hang die Frage, wie weit das Fest­stel­lungsin­ter­esse der beklagten Partei in der­ar­ti­gen Fällen all­ge­mein reiche. Die Beschw­erde­führerin hat­te gel­tend gemacht, dass die Ver­sicherung kein schutzwürdi­ges Inter­esse an ein­er neg­a­tiv­en Fest­stel­lungsklage auf Nichtbeste­hen der gesamten Schaden­er­satzpflicht habe, wenn wie vor­liegend die kla­gende Partei im Haftpflicht­prozess bloss einzelne Schaden­sposten ein­klage. Die Frage, ob die Ver­sicherung vor­liegend ein Rechtss­chutz­in­ter­esse an der von ihr erhobe­nen Widerk­lage auf Fest­stel­lung habe, dass sie der Beschw­erde­führerin aus dem Unfall­ereig­nis kein­er­lei Leis­tun­gen schulde, sei nach der verbindlichen Fest­stel­lung der Vorin­stanz nicht Gegen­stand des Beru­fungsver­fahrens gewe­sen und könne daher man­gels Auss­chöp­fung des kan­tonalen Instanzen­zugs vom Bun­des­gericht nicht über­prüft wer­den (E. 2.2)

Eben­so sei, so das Bun­des­gericht, kein Grund erkennbar, ent­ge­gen BGE 145 III 299 zu unter­schei­den, ob die neg­a­tive Fest­stel­lungswiderk­lage in Reak­tion auf eine echte oder eine unechte Teilk­lage erhoben werde. Ins­beson­dere bezwecke der Bun­desrat mit der Änderung der ZPO nicht, die Recht­sprechung abzuän­dern, son­dern im Gegen­satz aus­drück­lich, die bun­des­gerichtliche Recht­sprechung im Gesetz nachzuführen. Die Aus­nahme vom Erforder­nis der gle­ichen Ver­fahren­sart gemäss Art. 224 Abs. 1 ZPO gelte somit all­ge­mein dann, wenn die Teilk­lage eine Ungewis­sheit zur Folge habe, die es recht­fer­tige, die Fest­stel­lung des Nichtbe­stands ein­er Forderung oder eines Rechtsver­hält­niss­es zu ver­lan­gen; die Unter­schei­dung zwis­chen echt­en und unecht­en Teilk­la­gen ent­falle in diesem Zusam­men­hang. Entsprechend liess das Bun­des­gericht offen, ob es sich bei der Klage der Beschw­erde­führerin um eine echte oder unechte Teilk­lage han­dle (E. 2.3).