4A_516/2020: Verstoss gegen den Ordre public und/oder den Grundsatz ne extra petitia bei Zusprechen der Entschädigung in einer instabilen Währung trotz anderslautendem Antrag der Kläger?

Im Entscheid 4A_516/2020 vom 8. April 2021 befasste sich das Bun­des­gericht mit der Frage, ob das Schieds­gericht den materiellen Ordre pub­lic und/oder den Grund­satz ne extra peti­tia ver­let­zt hat­te, indem es Inve­storen eine Entschädi­gung in syrisch­er Lira (SYP) statt wie beantragt in US-Dol­lar zuge­sprochen hat­te, was zur Folge hat­te, dass die Inve­storen die erhe­bliche Abw­er­tung auf­grund der Infla­tion tra­gen mussten.

Drei türkische Aktionäre sowie deren Aktienge­sellschaft nach türkischem Recht (nach­fol­gend: die Inve­storen) beschlossen Mitte der 2000er Jahre, in den Zementsek­tor in Syrien zu investieren. Zu diesem Zweck errichteten sie zwei syrische Gesellschaften, von denen sie Mehrheit­sak­tionäre waren und die wiederum Ende der 2000er Jahre Zement­fab­riken erricht­en liessen. 2011 brach der Bürg­erkrieg in Syrien aus. In der Folge ver­loren die Inve­storen die Nutzung und die Kon­trolle über ihre Fabriken.

2016 leit­eten die Inve­storen in Genf ein ICC-Schiedsver­fahren ein. Sie beantragten die Bezahlung von Schaden­er­satz in Höhe mehrerer Mil­lio­nen US-Dol­lar. Die Inve­storen stützen ihren Anspruch auf Artikel 4 BIT Syrien-Ital­ien, der unab­hängig von der Ver­ant­wortlichkeit des Gast­staates eine angemessene Entschädi­gung für Schä­den vor­sah, die auf­grund eines Krieges oder eines ähn­lichen Ereigniss­es ent­standen waren, in Verbindung mit der Meist­begün­s­ti­gungsklausel in Artikel III Ziff. 2 BIT Türkei-Syrien.

Das Schieds­gericht war zum Schluss gekom­men, dass die Fort­set­zung der kom­merziellen Aktiv­itäten der Inve­storen seit dem 1. April 2012 (d.h. dem Datum, an dem Syrien die Kon­trolle über die Regio­nen ver­loren hat­te, in denen sich die Fab­riken befan­den) aus Sicher­heits­grün­den unmöglich gewor­den war. Daraus war den Inve­storen ein Schaden in Höhe des Werts ihrer Beteili­gun­gen an den bei­den syrischen Gesellschaften ent­standen. Das Schieds­gericht hat­te die Entschädi­gung auf rund SYP 2 Mia. fest­ge­set­zt, zzgl. Zins­eszins von 10% seit dem 1. April 2012 bis zum Urteil­szeit­punkt, was rund SYP 2.5 Mia. entsprach. Mit Urteil vom 31. August 2020 wurde Syrien dementsprechend zur Bezahlung von ins­ge­samt rund SYP 4.5 Mia. verurteilt (zzgl. Zins­eszins von 10% ab Urteils­da­tum). Das Schieds­gericht räumte den Inve­storen die Möglichkeit ein, die Entschädi­gung in US-Dol­lar zum Wech­selkurs am Tag der Bezahlung zu verlangen.

Gegen diesen Schiedsspruch erhoben die Inve­storen Beschw­erde vor Bun­des­gericht. Sie rügten, dass die Enteig­nung ohne angemessene Entschädi­gung den materiellen Ordre pub­lic ver­let­ze. Dafür beriefen sie sich u.a. auf die Recht­sprechung des EGMR zur Eigen­tums­garantie. Das Urteil des Schieds­gerichts habe zur Folge, dass die Inve­storen die Abw­er­tung der syrischen Lira zu tra­gen hät­ten. Weit­er habe das Schieds­gericht den Grund­satz ne extra peti­tia ver­let­zt, indem es die Entschädi­gung in syrisch­er Lira statt wie von den Inve­storen beantragt in US-Dol­lar fest­gelegt hatte.

Das Bun­des­gericht führte zunächst aus, dass es keine gefes­tigten inter­na­tionalen Regeln gebe betr­e­f­fend die Währung, in der die Entschädi­gung festzuset­zen sei, auss­er dass die Gerichte in der Regel eine frei kon­vertier­bare Währung wählten. Teil­weise werde die Währung in den BITs fest­gelegt, z.B. die Währung der Nation­al­ität des Investors oder des Gast­staates. Die Gerichte wählten meis­tens die Währung der Nation­al­ität des Klägers und seien generell der Ansicht, dass der Investor die Abw­er­tung der Währung des Gast­staates zwis­chen dem Zeit­punkt des Schaden­sein­tritts und des Schiedsspruchs nicht zu tra­gen habe.

Anschliessend rief das Bun­des­gericht in Erin­nerung, dass die EMRK-Grund­sätze zwar berück­sichtigt wer­den kön­nten, um den Begriff des Ordre pub­lic zu konkretisieren. Die Ver­let­zung der EMRK sei jedoch grund­sät­zlich kein Beschw­erde­grund nach Art. 190 IPRG. Der EGMR betone zudem, dass kein absolutes Recht auf eine voll­ständi­ge Entschädi­gung beste­he. Somit könne dem Ein­wand der Inve­storen, dass der Ordre pub­lic eine Entschädi­gung garantiere, die in einem vernün­fti­gen Ver­hält­nis zum Mark­twert des enteigneten Gutes ste­ht, nicht gefol­gt wer­den. Ohne­hin bedeute die Tat­sache, dass die Inve­storen defin­i­tiv ihrer Investi­tio­nen beraubt wor­den seien, nicht notwendi­ger­weise, dass die Grund­sätze zur Enteig­nung anzuwen­den seien.

Das Bun­des­gericht führte weit­er aus, dass der Ordre pub­lic nach Artikel 190 IPRG nur ver­let­zt sei, wenn die Entschädi­gung unter Berück­sich­ti­gung aller konkreten Umstände in einem so krassen Missver­hält­nis zum Wert der ver­lore­nen Investi­tion ste­he, dass ein schock­ieren­der Ver­stoss gegen die wesentlich­sten Grund­sätze der Recht­sor­d­nung vorliege.

Vor­liegend entsprach der Schaden in Höhe von rund SYP 2 Mia. am 1. April 2012 rund USD 35 Mio. Zu diesem Betrag könne der Realzins addiert wer­den, wodurch die Entschädi­gung USD 42 Mio. betra­gen hätte. Demge­genüber erhiel­ten die Inve­storen samt Zins­eszins von 10% rund USD 9 Mio., d.h. nur 21 % der Entschädi­gung, die sie erhal­ten hät­ten, wenn als Aus­gangswert der Betrag in US-Dol­lar im Zeit­punkt des Schaden­sein­tritts gewählt wor­den wäre.

Das Bun­des­gericht hielt jedoch fest, dass sämtliche Umstände zu berück­sichti­gen seien um festzustellen, ob der Ordre pub­lic ver­let­zt sei. So hät­ten die Inve­storen die Wahl des US-Dol­lars als Währung nicht näher begrün­det. Auch seien sie bewusst das Risiko einge­gan­gen, in Syrien zu investieren und hät­ten die Erträge stets in syrische Lira erhal­ten. Zudem hafte ein Staat in ein­er Aus­nahme­si­t­u­a­tion wie im Falle eines Krieges nicht im gle­ichen Aus­mass wie im Falle ein­er wider­rechtlichen Hand­lung. Fern­er befinde sich Syrien auf­grund des lang andauern­den Kon­flik­ts immer noch in ein­er ausseror­dentlich schwieri­gen Sit­u­a­tion. Diese Umstände liessen die Höhe der Entschädi­gung nicht als einen schock­ieren­den Ver­stoss gegen die Recht­sprinzip­i­en erscheinen. Somit liege keine Ver­let­zung des Ordre pub­lic vor.

Anschliessend prüfte das Bun­des­gericht, ob der Grund­satz ne extra peti­tia ver­let­zt sei. Das Bun­des­gericht hielt fest, dass das Zus­prechen der Entschädi­gung in syrisch­er Lira tech­nisch gese­hen ein ali­ud sei. Allerd­ings könne die Frage offen­bleiben, ob das Schieds­gericht die Entschädi­gung in ein­er anderen Währung als der gemäss Rechts­begehren geforderten zus­prechen könne. Denn das Schieds­gericht müsste bei ein­er Rück­weisung die Klage in USD abweisen, weil das Bun­des­gericht entsch­ieden hat, dass die Wahl der Entschädi­gung in SYP nicht zu bean­standen ist bzw. dass die Beschw­erde der Inve­storen in diesem Punkt unbe­grün­det war. Dem­nach fehle den Inve­storen das schutzwürdi­ge Inter­esse an der Aufhe­bung des Schiedsspruchs (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG), da ungewiss sei, ob eine Aufhe­bung des Entschei­ds einen für sie vorteil­hafteren Entscheid nach sich ziehen würde. Der Beschw­erde­grund sei daher unzulässig.

Ver­fasst von Francesca Borio / Michael Feit