4A_571/2020: Mieterausweisung; Hinterlegung bereits fälliger Mietzinse (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht klärte in diesem Urteil, dass die Hin­ter­legung von bere­its fäl­li­gen Miet­zin­sen respek­tive das Zufall­en nicht gültig hin­ter­legter Miet­zinse an die Ver­mi­eterin gemäss Art. 259h Abs. 1 OR nicht mit ein­er rechtzeit­i­gen Zahlung gle­ichzuset­zen sei, die eine Zahlungsverzugskündi­gung auss­chliessen würde.

Zum Hin­ter­grund: Der Mieter machte Män­gel gel­tend und set­zte dem Ver­mi­eter Frist zu deren Behe­bung an, unter Andro­hung, kün­ftige Miet­zinse bis zur Män­gel­be­he­bung bei der Schlich­tungsstelle zu hin­ter­legen. Die Män­gel wur­den nicht behoben. Kurze Zeit später mah­nte der Ver­mi­eter den Mieter zur Bezahlung der fäl­li­gen Miet­zinse für die ver­gan­genen zwei Monate und set­zte dem Mieter eine Zahlungs­frist unter Andro­hung der Kündi­gung wegen Zahlungsverzug. Daraufhin hin­ter­legte der Mieter diese bere­its fäl­li­gen Mietezinse bei der Schlich­tungsstelle, woraufhin der Ver­mi­eter den Mietver­trag wegen Zahlungsrück­stän­den kündigte und den Mieter ausweisen wollte. Die kan­tonalen Gerichte hiessen das Ausweisungs­begehren gut. Das Bun­des­gericht wies die dage­hen erhobene Beschw­erde ab.

Das Bun­des­gericht wies zunächst auf die Voraus­set­zun­gen für eine gültige Hin­ter­legung von Miet­zin­sen i.S.v. Art. 259g Abs. 1 OR hin, unter anderem dass die Hin­ter­legung auss­chliesslich in Zukun­ft fäl­lige Miet­zinse betr­e­f­fen würde. Seien diese Voraus­set­zun­gen erfüllt, gel­ten die Miet­zinse mit der Hin­ter­legung als bezahlt (Art. 259g Abs. 2 OR) (E. 3.3.1). Die herrschende Lehre schliesse die Erfül­lungswirkung bei ein­er fehler­haften Hin­ter­legung grund­sät­zlich aus. Werde ein bere­its fäl­liger Miet­zins hin­ter­legt, trete die Befreiungswirkung von Art. 259g Abs. 2 OR dieser Ansicht zufolge nicht ein. Demge­genüber gelte gemäss einem Teil der Lehre und Recht­sprechung der Miet­zins bei Hin­ter­legung innert der vom Ver­mi­eter ange­set­zten Zahlungs­frist von Art. 257d Abs. 1 OR als bezahlt, was eine ausseror­dentliche Kündi­gung wegen Zahlungsverzugs auss­chliesse (E. 3.3.2).

Zur Ausle­gung von Art. 259g Abs. 2 OR: Der Wort­laut, so das Bun­des­gericht, von Art. 259g Abs. 2 OR beant­worte nicht ein­deutig, ob auch die Hin­ter­legung bere­its fäl­liger Miet­zinse schuldtil­gend wirke. Eine Hin­ter­legung sei auch in diesem Fall möglich. Allerd­ings genüge sie dies­falls nicht den Voraus­set­zun­gen von Art. 259g Abs. 1 OR (E. 3.3.2.2). Sodann ver­wies das Bun­des­gericht auf die Botschaft, wo mehrfach aus­drück­lich erwäh­nt werde, dass die Hin­ter­legung bere­its fäl­liger Miet­zinse aus­geschlossen sein solle. Mit der Ein­führung des Rechts zur Hin­ter­legung kün­ftig fäl­lig wer­den­der Miet­zinse solle gemäss Botschaft unter anderem ver­mieden wer­den, “dass illiq­uide, schikanös han­del­nde Mieter dieses Recht ein­set­zen kön­nen”. Diesem Zweck würde ent­ge­gen­ste­hen, wenn die Erfül­lungswirkung durch die Hin­ter­legung bere­its fäl­liger Miet­zinse ein­treten würde; zumin­d­est wenn der Mieter den Miet­zins nur hin­ter­lege, um den Ver­mi­eter zu schikanieren. Sodann, so in der Botschaft weit­er, präzis­ere Art. 259g Abs. 2 OR, dass hin­ter­legte Miet­zinse als bezahlt gel­ten wür­den. Damit werde deut­lich, dass nach dem Willen des Geset­zge­bers Abs. 2 OR als auf Art. 259g Abs. 1 OR auf­bauend zu betra­cht­en sei, mithin die Hin­ter­legung lediglich dann befreiend wirke, wenn die Voraus­set­zun­gen von Art. 259g Abs. 1 OR, und damit unter anderem die fehlende Fäl­ligkeit, gegeben seien (E. 3.3.2.3). Die Ausle­gung unter Berück­sich­ti­gung der Geset­zessys­tem­atik führe zu dem­sel­ben Ergeb­nis: Art. 259g Abs. 2 OR regle die Wirkung der Hin­ter­legung, sofern deren Voraus­set­zun­gen gemäss Art. 259g Abs. 1 OR erfüllt seien (E. 3.3.2.4). Schliesslich, so das Bun­des­gericht, bezwecke das Hin­ter­legungsrecht, das Inkas­sorisiko von Mieter und Ver­mi­eter zu reduzieren. Ander­er­seits ermögliche die Hin­ter­legung dem Mieter ein — im Ver­gle­ich zur direk­ten Anrufung des Gerichts — leicht ver­füg­bares Druck­mit­tel, um den Ver­mi­eter zum Tätig­w­er­den zu bewe­gen. Indem Art. 259g Abs. 2 OR die Erfül­lungswirkung vorse­he, werde gle­ichzeit­ig ver­hin­dert, dass der untätige Ver­mi­eter den Mietver­trag wegen Zahlungsverzugs kündi­gen könne (E. 3.3.2.5). Im Ergeb­nis sei damit festzuhal­ten, dass der Ein­tritt der Erfül­lungswirkung nach Art. 259g Abs. 2 OR ver­lange, dass die Voraus­set­zun­gen von Art. 259g Abs. 1 OR erfüllt seien. Hin­ter­lege ein Mieter im Zeit­punkt der Hin­ter­legung bere­its fäl­lige Miet­zinse, bewirke die Hin­ter­legung keine Tilgung der Miet­zinss­chuld (E. 3.3.2.6).

Anschliessend erwog das Bun­des­gericht, dass das Zufall­en hin­ter­legter Miet­zinse an den Ver­mi­eter nach Art. 259h OR von Art. 259g Abs. 2 OR zu unter­schei­den sei. Art. 259h OR regle die Frage der Her­aus­gabe der hin­ter­legten Miet­zinse und nicht die Erfül­lungswirkung bei der Hin­ter­legung. Hin­ter­lege der Mieter, zu Recht oder ungerecht­fer­tigt, Miet­zinse und mache seine Ansprüche nicht innert der Frist gel­tend, habe die Hin­ter­legung­stelle die hin­ter­legten Beträge von Amtes wegen an den Ver­mi­eter zu über­weisen. An der — bei gegebe­nen Voraus­set­zun­gen — bere­its vorher einge­trete­nen Erfül­lungswirkung von Art. 259g Abs. 2 OR ändere dies nichts, genau­so wie das blosse Zufall­en der hin­ter­legten Miet­zinse nicht die Erfül­lung der Miet­zinss­chuld bewirke, wenn die Voraus­set­zun­gen der Hin­ter­legung nicht erfüllt seien. In diesem Fall sei die Schuld erst getil­gt, wenn der Ver­mi­eter die hin­ter­legte Summe aus­ge­händigt oder auf seinem Kon­to gut­geschrieben erhal­ten hätte (E. 3.3.4).