Im Urteil 4A_125/2021 vom 22. April 2021 befasste sich das Bundesgericht mit einem tragischen «Schläucheln»-Unfall, der zu einem schweren Schädel-Hirntrauma eines 9‑jährigen Knaben führte, und insbesondere mit der Frage, ob die Cevi-Leiterpersonen ihre Sorgfaltspflichten verletzt haben.
Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Anlässlich eines von der Cevi-Jungschar U durchgeführten Snow-Weekends vom 4. bis 6. Februar 2005 in V kam es am Sonntag, 6. Februar 2005, beim sogenannten «Schläucheln» — dabei wird mit einem luftgefüllten Gummiring («Schlauch») eine schneebedeckte Unterlage hinuntergerutscht — zu einem Unfall. Der zum Unfallzeitpunkt knapp 9‑jährige A (Kläger) «schläuchelte» einen ungesicherten Hang hinunter und kollidierte mit einem Betonwasserschacht. Er zog sich dabei ein schweres Schädel-Hirntrauma zu, dessen Folgen ihn bis heute beeinträchtigen.
Im Rahmen der von der Staatsanwaltschaft Graubünden eröffneten Strafuntersuchung ergab sich, dass am Snow-Weekend 30 Schüler und 9 Leiterpersonen teilnahmen. Der hauptverantwortliche Leiter, C (Beklagter 2), hatte für die Tätigkeit nicht weit entfernt vom Lagerhaus im freien Gelände zwei Bahnen im Schnee ausgehoben. Diese wiesen einen seitlichen Schutz (Schneemauer) auf und liefen in einem flachen Teil aus. Die Kinder wurden instruiert, auf diesen Bahnen mit den aufgeblasenen «Schläuchen» hinunterzurutschen. Bei jeder Bahn waren zwei bis drei Leiterpersonen anwesend. Nachdem ein Teil der Kinder auf diesen Bahnen nicht mehr «schläucheln» wollte, wurden sie aufgefordert, zum Lagerhaus zurückzukehren. In der Folge begannen die Kinder unter Aufsicht der Leiterinnen, D, B (Beklagte 1) sowie der Hilfsleiterin E, auf der vom Lagerhaus nach V führenden Strasse hinunterzurutschen, wobei sie aufgrund des geringen Gefälles kein hohes Tempo erreichten. Der Strassenrand wies zudem einen durchgehenden ca. 50 cm hohen Schneewall auf und verunmöglichte gemäss Polizeirapport ein unbeabsichtigtes Hinausrutschen.
Als der Kläger die Strasse wieder hochlief, stieg er auf halber Strecke über den Schneewall und wollte F und seinem Bruder G folgen, die den dortigen steilen Abhang bereits hinuntergerutscht waren. Obschon ihm die Beklagte 1, Hilfsleiterin E sowie andere Kinder zuriefen, dass er diesen Hang nicht hinunterrutschen dürfe bzw. sich wieder auf die Strasse begeben solle, setzte er sich auf den Schlauch und rutschte los. Da er vor dem sich unterhalb dieses Hanges befindenden Stall nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte, kollidierte er kopfvoran mit einem dort deponierten Betonwasserschacht und blieb bewusstlos liegen.
Mit Verfügung vom 24. August 2006 stellte die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung ein. Sie verneinte eine strafrechtlich relevante Sorgfaltspflichtverletzung seitens der Leiterpersonen des Snow-Weekends, was vom Kantonsgericht auch bestätigt wurde.
Am 14. September 2015 beantragte der Kläger beim damaligen Bezirksgericht Hinterrhein (heute: Regionalgericht Viamala), die Beklagten seien unter solidarischer Haftung zu verpflichten, ihm CHF 70’000 nebst Zins zu bezahlen. Mit Urteil vom 9. November 2016 wies das Regionalgericht die Klage ab. Eine dagegen gerichtete Berufung wies das Kantonsgericht von Graubünden ab.
Dagegen erhob der Kläger Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht. Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
Im vorliegenden Fall gingen die Vorinstanzen von einem Auftragsverhältnis (Art. 394 ff. OR) aus. Umstritten war die Frage, ob den Beklagten im Zusammenhang mit dem Unfall des Klägers eine unfallkausale Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen ist (E. 4).
Umstritten waren insbesondere die Sorgfaltspflichten der Leiterpersonen im Zusammenhang mit der Aktivität des «Schläuchelns» (E.4.2). Die Vorinstanz verneinte eine Verletzung der Sorgfaltspflichten der Leitpersonen und erwog, es sei explizit gesagt worden, wo habe «geschläuchelt» werden dürfen. Daraus ergebe sich, dass ausserhalb der extra präparierten Bahnen nicht habe «geschläuchelt» werden dürfen. Daran ändere auch nichts, dass gewissen Kindern zu einem späteren Zeitpunkt (unter entsprechender Aufsicht) erlaubt worden sei, auf der Strasse zu «schläucheln». Diese sei im Übrigen verhältnismässig flach und daher ungefährlich gewesen. Zudem habe der Strassenrand einen Schneewall aufgewiesen. Auch hier habe eine explizite Erlaubnis der zuständigen Aufsichtsperson vorgelegen. So habe die Beklagte 1 ausgesagt, es sei von ihr entschieden worden, auch auf der Strasse zu «schläucheln». Eine generelle Erlaubnis, jeden beliebigen Hang hinunterzurutschen, habe damit eindeutig nicht vorgelegen. Dies werde auch durch die Tatsache bestätigt, dass auch Pfarrer H und andere Kinder – nebst den Leiterinnen – F, G und dem Kläger zugerufen hätten, sie dürften den fraglichen Hang nicht hinunterrutschen. Eine vorgängig geäusserte Mahnung, auf der Strasse zu bleiben bzw. den talseitigen Hang nicht zu befahren, sei unter diesen Umständen nicht nötig gewesen. Als beobachtet worden sei, dass die Kinder dennoch die Strasse verlassen hätten, seien sie umgehend ermahnt und zurückgerufen worden. Soweit der Kläger sich in diesem Zusammenhang auf den Standpunkt stelle, die Warnung des Postautochauffeurs, nicht auf dem etwas weiter oben rechts liegenden Hang zu «schläucheln», hätte Anlass dazu geben müssen, ein generelles Verbot des «Schläuchelns» auf dem Hang auszusprechen, sei dieser Auffassung nicht zu folgen. Massgebend sei das von der Beklagten 1 gegenüber dem Kläger geäusserte Verbot. Es sei nicht ersichtlich, weshalb dies nicht hätte ausreichend sein sollen. Aufgrund der Akten sei erstellt, dass ihm von mehreren Seiten eindringlich zugerufen worden sei. Dass F und G die Anweisung der Leiterpersonen (möglicherweise) erst gehört hätten, nachdem sie losgefahren seien, ändere nichts daran, dass der Kläger seinerseits vor Antritt der Fahrt die Anweisung, den Unfallhang nicht zu befahren, wahrgenommen habe. Vor diesem Hintergrund spiele auch keine Rolle, dass F gegenüber G (und eben gerade nicht gegenüber dem Kläger) erklärt habe, sie hätten bereits im vorangehenden Jahr den Unfallhang «hinunterschläucheln» dürfen (E. 4.2.1). Aus dem Umstand, dass die Beklagte 1 das «Schläucheln» auf der Strasse ausdrücklich erlaubt habe, nicht geschlossen werden, sie habe damit das «Schläucheln» am Unfallhang in relevanter Weise begünstigt und dadurch eine Gefahrensituation geschaffen, die schliesslich zum Unfall geführt habe (E. 4.2.2). Der Unfall hätte nur dann verhindert werden können, wenn die Möglichkeit bestanden hätte, den Kläger auch physisch an einem «Ausreissen» zu hindern, was bedingt hätte, dass sich jedes Kind zu jedem Zeitpunkt in greifbarer Nähe einer Leiterperson aufgehalten hätte. Eine solche Überwachung wäre jedoch bei Kindern im Alter von 8–13 Jahren übertrieben und nicht zumutbar, weil dies nahezu eine 1:1‑Betreuung voraussetzen würde (E. 4.2.3).
Vor Bundesgericht rügte der Kläger u.a. eine Verletzung von Art. 394 und 398 Abs. 2 OR. Das Mass der Sorgfalt sei aber nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Erforderlich sei die Sorgfalt, die eine gewissenhafte beauftragte Person in der gleichen Lage bei der Besorgung der ihr übertragenen Geschäfte anzuwenden pflege. Es sei zu prüfen, wie eine solche Person das Lager organisiert, wie sie die Kinder instruiert und beaufsichtigt und was sie (auch vorausschauend) unterlassen hätte. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass bei einem Lager mit Kindern im Alter zwischen 8 und 15 Jahren, in dem Outdoor-Tätigkeiten mit einem gewissen Gefährdungspotential durchgeführt würden, die erforderliche Sorgfalt strenger sei als bei nicht gefahrgeneigten Tätigkeiten und älteren Jugendlichen. Das Bundesgericht verwarf die Ansicht des Klägers und erwog, dass die von ihm ins Feld geführten vorinstanzlichen Erwägungen im Zusammenhang mit dem Vorwurf der mangelnden Überwachung erfolgten. Es bestätigte die Meinung der Vorinstanz, dass es übertrieben und nicht zumutbar ist, bei Kindern im Alter von 8–13 Jahren zu fordern, dass sich jedes Kind in greifbarer Nähe einer Leiterperson befindet (E. 4.3).
Der Kläger sah ferner eine Sorgfaltspflichtverletzung darin, dass vom Konzept, wonach nur auf den dafür speziell präparierten Pisten «geschläuchelt» werden sollte, abgewichen worden sei und machte geltend, eine gewissenhafte Person wäre nicht von diesem Konzept abgewichen oder hätte – falls aus wichtigen Gründen vom festgelegten Konzept hätte abgewichen werden müssen – den Teilnehmenden unmissverständliche Anweisungen erteilt, insbesondere ein ausdrückliches Verbot, die Strasse zu verlassen (willkürliche Beweiswürdigung). Das Bundesgericht bestätigte die Beweiswürdigung der Vorinstanz und wies den Willkürvorwurf zurück: Es lag keine generelle Erlaubnis vor, jeden beliebigen Hang hinunterzurutschen. Der Kläger macht selbst nicht geltend, dass das «Schläucheln» auf der Strasse gefährlich gewesen wäre. Die Ungeeignetheit der Strasse zum «Schläucheln» bezieht sich nicht auf die Gefährlichkeit, sondern vielmehr auf die mangelnde Attraktivität. Es ist aber nicht willkürlich, wenn die Vorinstanz aus der mangelnden Attraktivität der Strasse zum «Schläucheln”» nicht eine Eigendynamik ableitet, die das «Schläucheln» auf den Hängen bzw. den Unfall begünstigt hat.
Nach Ansicht des Bundesgerichts stellte der Kläger die vorinstanzliche Feststellung nicht hinreichend in Frage, dass der Kläger seinerseits vor Antritt der Fahrt die konkrete Mahnung, den Unfallhang nicht zu befahren, wahrgenommen habe. Der Kläger legte vor diesem Hintergrund nicht dar, was ein vorgängiges ausdrückliches Verbot, den besagten Hang hinunterzufahren, geändert hätte. Wenn er das konkret ihm gegenüber ausgesprochene Verbot, den Hang hinunterzufahren, mitbekommen hat, sich aber gleichwohl dazu entschloss, diesem nicht Folge zu leisten, ist gemäss Bundesgericht nicht ersichtlich, weshalb er einer vorgängig – das heisst vor dem «Schläucheln» auf der Strasse – geäusserten (expliziten) Anweisung, auf der Strasse zu bleiben bzw. den talseitigen Hang nicht zu befahren, Folge geleistet hätte. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass es jedenfalls insgesamt kein Bundesrecht verletzte, wenn die Vorinstanz nicht davon ausging, dass vorgängig ein ausdrückliches Verbot hätte ausgesprochen werden müssen, die Strasse zu verlassen bzw. auf den entsprechenden Hängen zu «schläucheln» (E. 4.4).