4A_558/2020: natürlicher Kausalzusammenhang im Haftpflichtrecht

Im Urteil 4A_558/2020 vom 18. Mai 2021 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage des natürlichen Kausalzusammenhangs auseinander und liess die Frage, ob der natürliche Kausalzusammenhang auch im Haftpflichtrecht wegfallen kann (status quo sine vel ante), ausdrücklich offen.

Diesem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Der Kläger B erlitt einen nicht selb­stver­schulde­ten Autoun­fall im Rah­men sein­er Arbeit­stätigkeit, anlässlich welch­es ein Auto  von hin­ten mit einem Delta v (die vom Zusam­men­stoss her­beige­führte Geschwindigkeit­sän­derung), von 7 bis 13 km/h in sein Auto hineinprallte.

Die Arbeit­ge­berin des Klägers informierte die UVG-Unfal­lver­sicherung D über den Unfall und meldete eine Nack­en­ver­let­zung mit Schleud­er­trau­ma der Hal­swirbel­säule. In der Folge leis­tete die Unfallsver­sicherung Kranken­taggelder bis zum Ende des befris­teten Arbeitsver­trages. Die Unfal­lver­sicherung und B schlossen eine Vere­in­barung ab, in welch­er sie fes­thiel­ten, dass der natür­liche Kausalzusam­men­hang zwis­chen den Störun­gen und dem Unfall ab diesem Datum nicht mehr besteht.

B bezog in der Folge Arbeit­slose­nentschädi­gung und es wurde ihm auf­grund ein­er diag­nos­tizierten Fibromyal­gie (die auf eine psy­chol­o­gis­che Ursache zurück­zuführen ist) eine halbe IV-Rente zugesprochen.

Der Unfal­lverur­sach­er war bei der A SA (Beklagte) haftpflichtversichert.

Gegen die A SA reichte der Kläger eine Klage in Höhe von über CHF 1.3 Mio. beim Gen­fer Gericht ein unter dem Titel Erweb­saus­fall (aktuell und kün­ftig), Renten­schaden, Haushaltschaden aktuell und kün­ftig), Genug­tu­ung sowie vor­prozes­suale Kosten.

Zwis­chen den Parteien ist unbe­strit­ten, dass eine Rechtswidrigkeit vor­liegt. Die Beklagte bestre­it­et jedoch das Vor­liegen eines natür­lichen Kausalzusam­men­hangs zwis­chen dem Unfall und den Störungen.

In der Folge beschränk­te das Gen­fer Gericht den Ver­fahrens­ge­gen­stand auf die Frage des natür­lichen Kausalzusam­men­hangs und holte ein poly­diszi­plinäres Gutacht­en ein. Der Gutachter stellte eine anhal­tende somato­forme Schmerzstörung (F45.4) und eine mit­telschwere Depres­sion mit soma­tis­chem Syn­drom (F.32.11) fest und bejahte den natür­lichen Kausalzusam­men­hang zwis­chen dem Unfall und den Störun­gen, dies obschon die Störun­gen teil­weise erst einige Jahre nach dem Unfall formell (psy­chi­a­trisch) behan­delt wur­den und degen­er­a­tive Wirbel­säu­len­erkrankun­gen möglicher­weise bere­its vor dem Unfall bestanden. Gestützt auf das Gutacht­en bejahte das Gen­fer Gericht den natür­lichen Kausalzusam­men­hang und behielt sich weit­ere ver­fahrenslei­t­ende Entschei­de vor.

Gegen diesen Vorentscheid (Art. 93 BGG) erhob die Beklagte Beru­fung, die vom Gen­fer Oberg­ericht abgewiesen wurde. Daraufhin erhob die Beklagte Beschw­erde in Zivil­sachen beim Bun­des­gericht. Das Bun­des­gericht wies die Beschw­erde ab, soweit es darauf eintrat.

Vor Bun­des­gericht rügte die Beklagte u.a. eine Ver­let­zung von Art. 41 OR und Art. 58 SVG und machte gel­tend, dass die Vorin­stanz den natür­lichen Kausalzusam­men­hang zu Unrecht bejaht habe.

Zunächst rief das Bun­des­gericht seine kon­stante Recht­sprechung zum natür­lichen Kausalzusam­men­hang in Erin­nerung: Für die Bejahung des natür­lichen Kausalzusam­men­hanges genügt es ‚dass das schädi­gende Ereig­nis zusam­men mit anderen Bedin­gun­gen die kör­per­liche oder geistige Integrität des Klägers beein­trächtigt hat, der Unfall fol­glich nicht weggedacht wer­den kann, ohne dass auch die einge­trete­nen gesund­heitlichen Störun­gen ent­fie­len (con­di­tio sine qua non) (E. 7.1).

Sodann fasste das Bun­des­gericht einen Entscheid aus dem Jahr 2010 zusam­men, in welchem das Bun­des­gericht fes­thielt, dass der Begriff des natür­lichen Kausalzusam­men­hangs im Haftpflichtrecht und im Sozialver­sicherungsrecht iden­tisch sei (Urteil 4A_65/2009 vom 17. Feb­ru­ar 2010, E. 5.1). In der Unfal­lver­sicherung sei allerd­ings das Konzept des sta­tus quo sine vel ante entwick­elt wor­den. Im Haftpflichtrecht genüge es, wenn der natür­liche Kausalzusam­men­hang zwis­chen dem schädi­gen­den Ereig­nis und dem Schaden zum Zeit­punkt des Ereigniss­es fest­ste­he, was in jen­em Entscheid der Fall war, da das gerichtliche Gutacht­en fest­gestellt habe, dass der Unfall die gesund­heitlichen Störun­gen des Klägers verur­sacht habe und er seit­dem voll­ständig und dauer­haft arbeit­sun­fähig gewor­den sei; dies reichte aus, um einen natür­lichen Kausalzusam­men­hang zwis­chen dem Unfall und dem Schaden zu beja­hen. Dies bedeutete jedoch nicht, dass eine vorbeste­hende Gesund­heitss­chädi­gung (kon­sti­tu­tionelle Prädis­po­si­tion) des Opfers im Haftpflichtrecht über­haupt nicht berück­sichtigt wird; sie wird im Rah­men der Schadens­berech­nung (Art. 42 OR) oder der Her­ab­set­zungs­gründe (Art. 44 OR) berück­sichtigt, wenn diese zur Entste­hung des Schadens oder zu dessen Ver­schlim­merung beige­tra­gen hat. Das Bun­des­gericht stellte dabei fest, dass dieses Urteil zu Diskus­sio­nen in der Lehre geführt hat­te und dass es sich in diesem Zusam­men­hang die Frage stellte, ob der natür­liche Kausalzusam­men­hang ein für alle Mal gegeben ist oder ob dieser auch im Haftpflichtrecht ent­fall­en kann, wenn der Ver­sicher­er dessen Weg­fall mit dem erforder­lichen Beweis­mass der über­wiegen­den Wahrschein­lichkeit nach­weist. Das Bun­des­gericht liess diese Frage vor­liegend jedoch aus­drück­lich offen (E. 7.2).

Gemäss Bun­des­gericht führte die Beklagte im vor­liegen­den Fall  — so oder anders — nicht hin­re­ichend Ele­mente ins Feld , um den Weg­fall des natür­lichen Kausalzusam­men­hangs zu beja­hen. Im Gegen­teil verneint der Gutachter diese Hypothese: Auf die Frage, ob die beim Kläger fest­gestell­ten kör­per­lichen Ver­let­zun­gen bzw. Beschw­er­den auch ohne den Unfall aufge­treten wären und wenn ja, zu welchem Zeit­punkt (sta­tus quo sine) und ob der Kläger nach Auftreten dieser Ver­let­zun­gen psy­chis­che Störun­gen der gle­ichen Art entwick­elt hätte, wie er sie jet­zt hat, antwortete der Gutachter auf der Grund­lage sämtlich­er medi­zinis­chen Angaben und unter Berück­sich­ti­gung von Fremde­in­flüssen und kon­sti­tu­tionellen Prädis­po­si­tio­nen wie fol­gt : Die Entwick­lung fortschre­i­t­en­der Schmerzen im Zusam­men­hang mit degen­er­a­tiv­en Verän­derun­gen der Wirbel­säule (die möglicher­weise vor dem Unfall bestanden) wäre nicht geeignet gewe­sen, der­ar­tige Auswirkun­gen auf die psy­chis­che Funk­tions­fähigkeit des Beklagten zu bewirken. Dabei bestätigte der Gutachter, dass die degen­er­a­tiv­en Beein­träch­ti­gun­gen, unter denen der Kläger lei­det, allein nicht zu den diag­nos­tizierten psy­chis­chen Störun­gen geführt hät­ten, sodass ein sta­tus quo sine vel ante auf psy­chi­a­trisch­er Ebene nicht in Betra­cht kommt (E. 7.3).

Das Bun­des­gericht hielt jedoch aus­drück­lich fest, dass die Frage des adäquat­en Kausalzusam­men­hangs damit nicht beant­wortet wurde, und dass die Bejahung des natür­lichen Kausalzusam­men­hangs nicht automa­tisch zur Bejahung des adäquat­en Kausalzusam­men­hangs führt (E. 8):

«La présente procé­dure n’a pas pour objet la ques­tion de la causal­ité adéquate. Il con­vient néan­moins de relever que l’ad­mis­sion d’un lien de causal­ité naturelle entre l’ac­ci­dent du 26 août 1998 et les diag­nos­tics posés (épisode dépres­sif moyen avec syn­drome soma­tique et syn­drome douloureux somato­forme per­sis­tant) ne per­met pas de retenir automa­tique­ment l’ex­is­tence d’un lien de causal­ité adéquate entre ceux-ci.»