4A_155/2021: Ausstandsbegehren gegen einen Sachverständigen (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht hielt vor­liegend fest, dass der Entscheid über ein Aus­stands­begehren ein­er Partei gegen einen Sachver­ständi­gen allein durch das­jenige Gerichtsmit­glied gefällt wer­den dürfe, an welch­es in Anwen­dung von Art. 124 Abs. 2 ZPO die Prozessleitung delegiert wurde. Sodann stellte das Bun­des­gericht klar, dass in Anwen­dung von Art. 49 Abs. 2 ZPO auch der zu ernen­nende Sachver­ständi­ge zu einem Aus­stands­ge­such Stel­lung nehmen müsse, auss­er das Gesuch erscheine rechtsmiss­bräuch­lich oder offen­sichtlich unbegründet.

Hin­ter­grund war ein Stre­it zwis­chen einem Architek­ten­büro und ein­er Gemeinde über das Architek­ten­hono­rar, im Zuge dessen die Gericht­spräsi­den­ten einen Sachver­ständi­gen ernan­nte und dabei die von der Gemeinde geäusserten Zweifel betr­e­f­fend dessen Unparteilichkeit (der zu ernen­nende Sachver­ständi­ge war Vizepräsi­dent der Inter­na­tionalen Vere­ini­gung der Architek­ten (UIA) sowie ehre­namtlich­es Mit­glied der SIA) für nicht beachtlich erachtete. Gegen diesen Zwis­ch­enentscheid erhob die Gemeinde Beschw­erde vor Bun­des­gericht, wo sie drei Rügen vorbrachte:

Ver­stoss gegen Art. 50 Abs. 1 ZPO, indem der Entscheid über das Aus­stands­begehren nicht vom Gesamt­gericht erfol­gt sei, da die Del­e­ga­tion der Prozessleitung (Art. 124 Abs. 2 ZPO) nicht Entschei­de über Aus­stands­begehren miter­fasse: Das Bun­des­gericht wies diese Rüge ab. Es erwog unter Hin­weis auf Art. 4 Abs. 1 ZPO, dass das kan­tonale Recht ins­beson­dere die funk­tionelle Zuständigkeit regle und damit bes­timme, von welchem Gericht­sor­gan eine bes­timmte Prozesshand­lung auszuge­hen habe. Sodann erin­nerte das Bun­des­gericht daran, dass gemäss der Recht­sprechung Art. 50 Abs. 1 ZPO keine bun­desrechtliche Regelung der funk­tionellen Zuständigkeit über den Aus­stand­sentscheid bein­halte (E. 4.3). Eben­so enthalte keine andere bun­desrechtliche Vorschrift, namentlich Art. 183 Abs. 1 ZPO, eine solche Anforderung, dass Aus­stands­begehren über Sachver­ständi­ge durch das Gesamt­gericht zu beurteilen und zu entschei­den seien. So sei eine Del­e­ga­tion der Beweis­ab­nahme möglich, wen­ngle­ich aus wichti­gen Grün­den eine Partei die Beweis­ab­nahme durch das urteilende Gesamt­gericht ver­lan­gen könne (Art. 155 Abs. 1 und 2 ZPO). Eben­so könne gestützt auf Art. 124 Abs. 2 ZPO der Erlass der Beweisver­fü­gung (Art. 154 ZPO) an ein Gerichtsmit­glied delegiert wer­den. Auch die Ernen­nung eines Sachver­ständi­gen, so das Bun­des­gericht weit­er, stelle eine prozesslei­t­ende Ver­fü­gung dar, deren Erlass delegiert wer­den könne. Der Begriff “Gericht” in Art. 183 ZPO beziehe sich daher nicht auf das Gesamt­gremi­um. Im Rah­men der Ernen­nung eines Sachver­ständi­gen werde auch über vorge­brachte Aus­stands­gründe entsch­ieden. Dies ändere indessen nichts daran, dass der Entscheid über die Ernen­nung eines Sachver­ständi­gen und damit logis­cher­weise über die Aus­stands­gründe eine prozesslei­t­ende Ver­fü­gung darstelle, und dass dieser Entscheid an ein Gerichtsmit­glied delegiert wer­den könne. Zudem erscheine es auch kon­se­quent, dass das Gerichtsmit­glied, dem die Prozessleitung delegiert wurde, auch über Ablehnungs­begehren gegen einen Sachver­ständi­gen entschei­de, wenn erst nach dessen Ernen­nung ein Aus­stands­grund gegen diesen vorge­bracht wird. Diese Lösung habe sodann auch prak­tis­che Gründe, da ein Entscheid des Gesamt­gerichts das Ver­fahren ver­langsamen und kom­pliziert­er machen würde, falls sich das Gesamt­gericht bere­its in diesem Ver­fahren­sta­di­um kon­sti­tu­ieren müsse (E. 4.4).

Ver­stoss gegen Art. 47 Abs. 1 ZPO, da die Richter auf das Vor­liegen eines Aus­stands­grunds hät­ten erken­nen müssen: Auch mit dieser Rüge drang die Beschw­erde führende Gemeinde nicht durch. Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst an die in der Lehre und Recht­sprechung zum Aus­stands­grund, falls ein Sachver­ständi­ger in der Sache ein per­sön­lich­es Inter­esse habe (Art. 47 Abs. 1 lit. a ZPO) oder aus anderen Grün­den, ins­beson­dere wegen Fre­und­schaft oder Fein­schaft mit ein­er Partei oder ihrer Vertre­tung, befan­gen sein kön­nte (Art. 47 Abs. 1 lit. f ZPO) (E. 5.2). Anschliessend erwog es, dass gestützt auf diese Grund­sätze zur Unparteilichki­et des Sachver­ständi­gen auf­grund der über ihn vor­liegen­den Infor­ma­tio­nen über seine Verbindung zur Inter­na­tionalen Vere­ini­gung der Architek­ten (Union Inter­na­tionale des Archi­tectes, UIA) nicht ersichtlich sei, wie die Funk­tio­nen, welche der Sachver­ständi­ge früher im Rah­men der UIA innege­habt hätte, Grund­lage für einen Aus­stand bilden kön­nten (E. 5.3.1). Auch mit Bezug auf die Verbindung des Sachver­ständi­gen zur SIA sei, so das Bun­des­gericht, davon auszuge­hen, dass kein Aus­stands­grund vor­liege. Die Gemeinde hat­te in diesem Zusam­men­hang ins­beson­dere mit Ver­weis auf die von der Weko durchge­führte Vor­abklärung zu den Ord­nun­gen für Leis­tun­gen und Hon­o­rare des SIA darauf hingewiesen, dass das beklagte Architek­ten­büro ein zusät­zlich­es Hon­o­rar gestützt auf die bausum­menab­hängige Hon­o­rar­ermit­tlung ver­lange. Dem vom Gericht ernan­nten Sachver­ständi­gen fehle es als Mit­glied des SIA an der geforderten Unab­hängigkeit, sich von ein­er solchen Meth­ode zu dis­tanzieren, zumal er sie in den vie­len Jahren, in denen er den Vor­sitz der Gruppe “Architek­ten” inner­halb des SIA innhat­te, unter­stützt hätte. Für das Bun­des­gericht reichte dies nicht aus. Ein­er­seits scheine der Sachver­ständi­ge in die dama­li­gen Ver­hand­lun­gen mit der Weko nicht involviert gewe­sen zu sein. Ander­er­seits könne aus den vom Gericht gestell­ten Frage nicht auf die fehlende Unab­hängigkeit geschlossen wer­den. Der Sachver­ständi­ge habe sich ins­beson­dere zu den vom beklagten Architek­ten­büro erbracht­en Dien­stleis­tun­gen zu äussern, diese in Bezug auf die Umset­zungsphasen der Ord­nung SIA 102/2003 zu set­zen und die Auswirkun­gen der ver­schiede­nen Änderun­gen festzuhal­ten. Zudem solle er angeben, ob der Gesamt­be­trag der aus­gestell­ten und noch auszustel­len­den Rech­nun­gen dem Wert der Arbeit­en und Aus­gaben des beklagten Architek­ten­büros entsprechen wür­den (E. 5.3.2).

Ver­stoss gegen Art. 49 Abs. 2 ZPO, da das Gericht eine Stel­lung­nahme des Sachver­ständ­ni­gen zum Aus­stands­begehren hät­ten ein­holen müssen: Diese Bes­tim­mung diene, so das Bun­des­gericht, der Abklärung des Sachver­halts, indem der betrof­fe­nen Per­son die Gele­gen­heit gegebene werde, das Vor­liegen eines Aus­stands­grun­des zu akzep­tieren oder zu bestre­it­en. Vom Ein­holen ein­er Stel­lung­nahme könne indessen gemäss Recht­sprechung höch­stens abge­se­hen wer­den, wenn das Aus­stands­ge­such als rechtsmiss­bräuch­lich oder offen­sichtlich unbe­grün­det erscheine. Auf­grund dessen Zwecks müsse diese Bes­tim­mung ana­log angewen­det wer­den, wenn es um ein Aus­stands­begehren gegen einen vom Gericht zu ernen­nen­den Sachver­ständi­gen gehe. Vor­liegend habe die Vorin­stanz zu Unrecht von der Ein­hol­ung ein­er Stel­lung­nahme abge­se­hen. Zwar habe der Sachver­ständi­ge bere­its erk­lärt, dass er sich in keinem Inter­essenkon­flikt mit ein­er der bei­den Parteien befinde. Indessen habe er sich nicht ein­deutig zu den von der Gemeinde vorge­bracht­en Aus­stands­grün­den geäussert. Das Gericht könne daher nicht über das Aus­stands­begehren entschei­den, ohne die betrof­fene Per­son anzuhören (E. 5.4). Aus diesem Grund sei die ange­focht­ene Ver­fü­gung aufzuheben und die Sache an die Vorin­stanz zurück­zuweisen, damit diese gestützt auf Art. 49 Abs. 2 ZPO eine Stel­lung­nahme des Sachver­ständi­gen ein­hole und den Anspruch der Parteien auf rechtlich­es Gehört gewähre (E. 6).