Im Urteil 6B_1437/2020 vom 22. September 2021 setzte sich das Bundesgericht mit der Mittäterschaft beim Straftatbestand der Vergewaltigung im Sinne von Art. 190 StGB auseinander. Hintergrund des Urteils war der Schuldspruch einer männlichen Person wegen Vergewaltigung (Art. 190 StGB) und sexueller Nötigung (Art. 189 Abs. 1 StGB). Der Beschwerdeführer hatte am Tag des Vorfalls mit dem Opfer zuerst einvernehmlichen Geschlechtsverkehr, ehe sein Kollege, vorliegend der Haupttäter, das Zimmer dann betrat und den als Mittäter beschuldigten Beschwerdeführer zum Verlassen des Zimmers aufforderte, was dieser in der Folge auch tat. Im Anschluss kam es im Zimmer gegen den Willen des Opfers zu sexuellen Handlungen (Küssen, Oral- und Vaginalverkehr) mit dem Haupttäter.
Die Mittäterschaft ist gesetzlich nicht geregelt. Nach der Rechtsprechung ist Mittäter, wer bei der Entschliessung, Planung oder Ausführung eines Delikts vorsätzlich und in massgebender Weise mit anderen Tätern zusammenwirkt, sodass dieser als Hauptbeteiligter dasteht. Dabei kommt es darauf an, ob der Tatbeitrag nach den Umständen des konkreten Falls und dem Tatplan für die Ausführung des Delikts so wesentlich ist, dass sie mit ihm steht oder fällt. Das mittäterschaftliche Zusammenwirken setzt einen gemeinsamen Entschluss voraus, der jedoch nicht ausdrücklich bekundet werden muss. Es genügt, wenn dieser konkludent zum Ausdruck kommt (E. 1.2.2).
Ein Verbrechen oder Vergehen kann sodann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden (Art. 11 Abs. 1 StGB). Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsguts nicht verhindert, obwohl er aufgrund einer Garantenstellung dazu verpflichtet ist, namentlich aufgrund des Gesetzes, eines Vertrags, einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft oder der Schaffung einer Gefahr (Art. 11 Abs. 2 StGB)(E. 1.2.4). Fehlt es an einer solchen, liegt in Vergewaltigungsfällen laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch dann kein strafbares Verhalten vor, wenn die beschuldigte Person das fehlende Einverständnis des Opfers zu den sexuellen Handlungen optisch und/oder akustisch wahrnehmen konnte und dennoch passiv bleibt (E. 1.4.2.2).
Indem der als Mittäter beschuldigte Beschwerdeführer im vorliegenden Fall das Zimmer verliess, in dem sich der Haupttäter und das Opfer der Vergewaltigung gegenüberstanden, und diesem Zimmer fernblieb, obwohl ihm die Möglichkeit einer Vergewaltigung bzw. sexuellen Nötigung bekannt war, mag dies zwar verwerflich und unter moralischer Betrachtung vorwerfbar erscheinen. Weil er am strafbaren Verhalten des Täters aber nicht aktiv mitwirkte und weil ihn auch keine Garantenstellung traf, bleibt sein Verhalten in strafrechtlicher Hinsicht folgenlos (E. 1.4.3). In diesem Sinne hiess das Bundesgericht die Beschwerde gut (E. 2).