Im Urteil 6B_470/2021 vom 27. September 2021 befasste sich das Bundesgericht mit dem gebotenen Verhalten nach einem Unfall im Strassenverkehr. Hintergrund war ein Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Sursee gegen den Unfallverursacher wegen Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit (Art. 91a SVG) und pflichtwidrigen Verhaltens nach Unfall mit Fremdschaden (Art. 92 SVG). Beim zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Beschuldigte beim Parkieren ein anderes Fahrzeug touchiert, wobei jedoch kein Sachschaden nachgewiesen werden konnte.
Ereignet sich ein Unfall, an dem ein Motorfahrzeug oder Fahrrad beteiligt ist, so müssen alle Beteiligten sofort anhalten (Art. 51 Abs. 1 SVG). Ist nur Sachschaden entstanden, so hat der Schädiger sofort den Geschädigten zu benachrichtigen und Namen und Adresse anzugeben. Wenn dies nicht möglich ist, hat er unverzüglich die Polizei zu verständigen (Art. 51 Abs. 3 SVG)(E. 1.3). Das Anhalten ist damit Voraussetzung für die Prüfung des Schadens und für die Erfüllung der weiteren Pflichten auf der Unfallstelle. Die Pflicht entfällt nur, wenn zweifelsfrei feststeht, dass kein Fremdschaden eingetreten ist. Hält der Fahrzeuglenker an und unterlässt er die Benachrichtigung des Geschädigten oder der Polizei, macht er sich nur dann in Verletzung seiner Pflichten nach Art. 92 SVG strafbar, wenn tatsächlich ein Sachschaden entstanden ist (E. 1.1.1).
Die Unterlassung der sofortigen Meldung eines Unfalls an die Polizei erfüllt zudem den objektiven Tatbestand der Vereitelung einer Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit (Art. 91a SVG), wenn (1) der Fahrzeuglenker gemäss Art. 51 SVG zur sofortigen Meldung verpflichtet ist, (2) die Meldepflicht der Abklärung des Unfalls und damit allenfalls auch der Ermittlung des Zustands des Fahrzeuglenkers dient, (3) die Benachrichtigung der Polizei möglich war und (4) bei objektiver Betrachtung aller Umstände die Polizei bei Meldung des Unfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Atemalkoholkontrolle angeordnet hätte (wobei nach neuerer bundesgerichtlicher Rechtsprechung grundsätzlich immer mit einer solchen Anordnung gerechnet werden muss, wenn ein Fahrzeugführer in einen Unfall verwickelt ist; BGE 142 IV 324 E. 1.1.2 f.)(E. 1.1.2).
Im vorliegenden Fall hatte der Beschuldigte nach dem Unfallereignis angehalten und sich vergewissert, ob ein Sachschaden eingetreten war. Dies war nicht der Fall. Nachdem er von der mutmasslichen Geschädigten, die den Vorgang beobachtet hatte, darauf angesprochen wurde, fragte er diese zusätzlich, ob es zu einem Schaden gekommen war, gab ihr seine Personalien an und bot an, für einen allfälligen Schaden aufzukommen. Der Tatbestand des pflichtwidrigen Verhaltens nach Unfall war damit objektiv nicht erfüllt. Da der Beschuldigte mangels eines Sach- oder Personenschadens nicht zu einer Meldung an die Polizei oder die vermeintliche Geschädigte verpflichtet war, ist auch der objektive Tatbestand der Vereitelung einer Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit nicht erfüllt (E. 1.2.2). In diesem Sinne sprach das Bundesgericht den Beschuldigten frei (E. 2).