1B_473/2021: Zulässigkeit von Überwachungsmassnahmen

Im Urteil 1B_473/2021 vom 25. Novem­ber 2021 prüfte das Bun­des­gericht die Zuläs­sigkeit ein­er Überwachung des Post- und Fer­n­melde­v­erkehrs. Hin­ter­grund war ein Strafver­fahren der Staat­san­waltschaft Lenzburg-Aarau, die auf­grund des Ver­dachts ver­schieden­er Ein­bruchdieb­stäh­le Rand­dat­en des Mobil­tele­fons des Beschuldigten erhoben hat­te, woge­gen dieser nach Offen­le­gung der durchge­führten Überwachungs­mass­nahme Beschw­erde führte.

Überwachungs­mass­nah­men nach Art. 273 StPO set­zen voraus, dass die Schwere der unter­sucht­en Straftat die Überwachung recht­fer­tigt und die bish­eri­gen Unter­suchung­shand­lun­gen erfol­g­los geblieben sind oder die Ermit­tlun­gen son­st aus­sicht­s­los wären oder unver­hält­nis­mäs­sig erschw­ert wür­den (Art. 269 Abs. 1 StPO). Beste­ht zudem der drin­gende Ver­dacht, ein Ver­brechen, ein Verge­hen oder eine Übertre­tung nach Art. 179sep­ties StGB sei began­gen wor­den, kann die Staat­san­waltschaft die Rand­dat­en des Fer­n­melde­v­erkehrs der überwacht­en Per­son ver­lan­gen (Art. 273 Abs. 1 StPO). Zu den (rück­wirk­end oder aktiv erheb­baren) Rand­dat­en des Fer­n­melde­v­erkehrs gehören die Dat­en, aus denen her­vorge­ht, mit wem, wann, wie lange und von wo aus die überwachte Per­son Verbindung gehabt hat, sowie die tech­nis­chen Merk­male der entsprechen­den Verbindung (Art. 8 lit. b BÜPF; E. 3.1).

Eine Rand­daten­er­he­bung bedarf der Genehmi­gung durch das Zwangs­mass­nah­men­gericht (Art. 273 Abs. 2 StPO). Sie kann unab­hängig von der Dauer der Überwachung und bis zu 6 Monate rück­wirk­end seit der Überwachungsanord­nung ver­langt wer­den (Art. 273 Abs. 3 StPO). Rück­wirk­ende Rand­daten­er­he­bun­gen nach Art. 273 StPO kön­nen zu einem Ein­griff in die Pri­vat­sphäre der Betrof­fe­nen führen (Art. 13 BV). Zwar wer­den dabei keine Kom­mu­nika­tion­sin­halte behördlich überwacht und erfol­gt (im Gegen­satz zur inhaltlichen Gespräch­süberwachung oder zur aktiv­en Rand­daten­er­he­bung in Echtzeit) in der Regel keine geheime Unter­suchungs­mass­nahme. Deswe­gen gilt der Ein­griff nach der Prax­is des Bun­des­gerichts grund­sät­zlich als deut­lich weniger ein­schnei­dend. Auch hier ist jedoch den genan­nten geset­zlichen Schranken und Ein­griffsvo­raus­set­zun­gen aus­re­ichend Rech­nung zu tra­gen (E. 4.1).

Im vor­liegen­den Fall diente die Überwachung der Aufk­lärung eines gewerbs- oder evtl. ban­den­mäs­si­gen Dieb­stahls i.S.v. Art. 139 Ziff. 2 und 3 StGB, also der Aufk­lärung eines Ver­brechens. Der Beschuldigte wurde drin­gend verdächtigt, mit einem Mit­täter in eine Liegen­schaft einge­brochen zu sein sowie weit­ere Ver­mö­gens­de­lik­te in der Schweiz began­gen zu haben. Der drin­gende Tatver­dacht ergab sich dabei ins­beson­dere auf­grund von Schuh­sohlen­pro­filen am Tatort, die dem Beschuldigten zuge­ord­net wer­den kon­nten (E. 3.2). Die Überwachung diente zudem der Aufk­lärung eines schw­er­wiegen­den Delik­ts (E. 4.2). Die Staat­san­waltschaft hat­te die rück­wirk­ende Rand­daten­er­he­bung ange­ord­net, um anhand daraus gewonnen­er Bewe­gungs- sowie Kom­mu­nika­tions­dat­en die Täter­schaft des Beschuldigten zu über­prüfen, Teil­nehmer der von ihm began­genen Straftat­en zu iden­ti­fizieren und Anhalt­spunk­te zur Ver­bringung mut­masslichen Delik­tsguts erhältlich machen zu kön­nen. Zwar habe sich der Hauptbeschuldigte in Unter­suchung­shaft befun­den, sein im Zeit­punkt der Anord­nung der Überwachung ver­muteter Mit­täter sei aber noch flüchtig gewe­sen. Mit Blick auf das Aus­sagev­er­hal­ten des Beschuldigten sei sodann nicht damit zu rech­nen gewe­sen, dass dieser ohne konkret belas­tende Indizien sach­di­en­liche Aus­sagen machen würde. Damit bestanden keine milderen Unter­suchungs­mass­nah­men, wom­it innert nüt­zlich­er Frist ver­gle­ich­bar wertvolle Infor­ma­tio­nen zur Klärung der Tatvor­würfe hät­ten erlangt wer­den kön­nen. Angesichts der Schwere der im Raum ste­hen­den Vor­würfe und des Beschle­u­ni­gungs­ge­bots habe es sich daher nicht gerecht­fer­tigt, mit der rück­wirk­enden Rand­daten­er­he­bung zuzuwarten (E. 4.3). In diesem Sinne hat­te die Staat­san­waltschaft das Sub­sidiar­ität­sprinzip nicht ver­let­zt, weshalb das Bun­des­gericht die Beschw­erde abwies (E. 5.4).