1C_573/2018: Projekt Windpark Grenchen / 2 von 6 geplanten Windenergieanlagen nicht bewilligungsfähig (amtl. Publ.)

Im zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen und für weit­ere Winden­ergiepro­jek­te wohl weg­weisenden Urteil vom 24. Novem­ber 2021 beurteilte das BGer die Rechtsmäs­sigkeit von sechs Winden­ergiean­la­gen auf dem Grenchen­berg. Im Jahr 2014 beschloss der Gemein­der­at der Stadt Grenchen die Pla­nung “Pro­jekt Wind­park Grenchen” und deren öffentliche Auflage. Dage­gen erhoben unter anderem der Schweiz­er Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz und der Vogelschutzver­band des Kan­tons Solothurn Ein­sprache, welche vom Gemein­der­at der Stadt Grenchen abgewiesen wurde. Sowohl der Regierungsrat als auch das Ver­wal­tungs­gericht des Kan­tons Solothurn beurteil­ten entsprechende Beschw­er­den abschlägig. Das BGer hinge­gen heisst die Beschw­erde des Schweiz­er Vogelschutzes SVS/BirdLife Schweiz und des Vogelschutzver­bands des Kan­tons Solothurn teil­weise gut.

Eine zen­trale Stel­lung im Urteil des BGer nimmt der Wan­der­falke ein, welch­er gemäss Rot­er Liste poten­tiell gefährdet ist (NT = Near Threat­ened), nationale Pri­or­ität geniesst (NP2) und nach Art. 20 Abs. 2 NHV (Verord­nung über den Natur- und Heimatschutz; SR451.1) geschützt ist. Die Schweiz­erische Vogel­warte emp­fiehlt, dass Winden­ergiean­la­gen einen min­i­malen Abstand von 3’000.00 m vom Horst der Wan­der­falken aufzuweisen haben. Diese Empfehlung — so das BGer — wird im vor­liegen­den Fall nicht vol­lum­fänglich berücksichtigt:

Auf­grund der von der Schweiz­erischen Vogel­warte schlüs­sig dargelegten erhe­blichen Gefährdung der in der Wand­fluh brü­ten­den Wan­der­falken stellt sich die Frage, ob auf gewisse WEA-Stan­dorte verzichtet wer­den muss, um einen aus­re­ichen­den Abstand einzuhal­ten. Alle geplanten WEA liegen in weniger als 3000 m Abstand vom Wan­der­falken­horst, d.h. würde ein Min­destab­stand von 3000 m ver­langt, kön­nte der gesamte Wind­park nicht genehmigt wer­den. Im Umkreis von 1000 m um den Horst liegen die WEA 3 (Abstand ca. 350 m), WEA 2 (ca. 700 m) und WEA 1 (ca. 950 m). Muss auf diese Stan­dorte zum Schutz des Wan­der­falken (ganz oder teil­weise) verzichtet wer­den, so hat dies erhe­bliche Auswirkun­gen auf die Strompro­duk­tion. Insofern kann darüber nur im Rah­men der Gesamt­in­ter­essen­ab­wä­gung entsch­ieden wer­den. (Erw. 11.5)

Das BGer schreibt dem Aus­bau erneuer­bar­er Energien vor dem Hin­ter­grund des Kli­mawan­dels, welch­er eine akute und irre­versible Bedro­hung für men­schliche Gesellschaften und den Plan­eten darstelle, eine her­aus­ra­gende Bedeu­tung zu. Gle­ichzeit­ig misst das BGer auch dem Schutz der Bio­di­ver­sität ein erhe­blich­es Inter­esse bei, denn die biol­o­gis­che Vielfalt und die Leis­tun­gen von Ökosys­te­men wie Nahrung, sauberes Wass­er und Medi­zin seien für das Über­leben der Men­schheit essen­ziell. Ziel der Inter­essen­ab­wä­gung — so das BGer — ist es, das Pro­jekt so zu opti­mieren, dass alle Inter­essen möglichst umfassend berück­sichtigt wer­den. Zwar könne es bei Unvere­in­barkeit­en dazu kom­men, dass ein Inter­esse bevorzugt und das andere zurück­gestellt werde. Anzus­treben sei jedoch eine aus­ge­wo­gene Lösung, die den beteiligten Inter­essen ein Max­i­mum an Gel­tung ein­trage und ein Min­i­mum an Wirkungsverzicht aufnötige.

Für die Winden­ergien­utzung ist somit anzus­treben, die Anla­gen so zu erstellen und zu betreiben, dass das Risiko von Kol­li­sio­nen und Leben­sraum­störun­gen auf ein für den Biotop- und Arten­schutz verträglich­es Mass her­abge­set­zt wird und die verbleiben­den Beein­träch­ti­gun­gen durch Ersatz­mass­nehmen kom­pen­siert wer­den, ohne die Nutzung der erneuer­baren Winden­ergie zu verun­möglichen. (Erw. 13.5.)

Das BGer kommt zum Schluss, dass die Stan­dorte der Winden­ergiean­la­gen 2 und 3 den Min­destab­stand zum Wan­der­falken­horst von 1’000.00 m mit 350.00 m respek­tive 700.00 m deut­lich unter­schrit­ten. Dieser Min­destab­stand werde von der Vogel­warte Sem­pach als unter­ste, aus Sicht des Vogelschutzes noch vertret­bare Gren­ze qual­i­fiziert. Die Stan­dorte 2 und 3 kön­nten deshalb nicht bewil­ligt wer­den. Die verbleiben­den Stan­dorte hinge­gen hiel­ten den Min­destab­stand ein beziehungsweise unter­schrit­ten ihn nur ger­ingfügig und seien deshalb nicht zu beanstanden.