5A_367/2021: Art. 82 OR in der provisorischen Rechtsöffnung (amtl. publ., Franz.)

In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_367/2021 vom 14. Dezember 2021 befasste sich das Bundesgericht mit der Frage der Einrede nach Art. 82 OR im provisorischen Rechtsöffnungsverfahren, wenn der Betriebene geltend macht, dass der Gläubiger seine Leistung nicht gehörig angeboten habe. Das Bundesgericht erwog in Änderung seiner Rechtsprechung, dass die provisorische Rechtsöffnung zu erteilen ist, wenn der Gläubiger der Kaufpreisforderung bei einem Grundstückkauf mit Urkunden nachweist, dass er seine eigene Leistung i.S.v. Art. 82 OR gehörig angeboten hat. Dabei muss es sich bei diesen Urkunden —  anders als für den Nachweis des Bestands der Schuldanerkennung — nicht zwingend um einen provisorischen Rechtsöffnungstitel handeln.

Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Mit öffentlich beurkun­de­tem Kaufver­trag vom 17. Dezem­ber 2018 räumten die Verkäufer der Käuferin u.a. ein Kaufrecht für ein Grund­stück ein. Die Parteien legten den Kauf­preis auf CHF 5.9 Mio. fest und sahen vor, dass das Kaufrecht jed­erzeit mit­tels Ein­schreibens aus­geübt wer­den kann. Gemäss Ver­trag müssen die Verkäufer nach Zustel­lung des Ein­schreibens den Antrag auf Ein­tra­gung der Eigen­tum­süber­tra­gung (Art. 963 ZGB) innert 30 Tagen unterze­ich­nen; die Unterze­ich­nung des Antrags soll vor dem im Kaufver­trag beze­ich­neten Notar stat­tfind­en. Der Ver­trag sah weit­er vor, dass der Kauf­preis am Tag der Unterze­ich­nung des Antrags auf dem Bankkon­to des Notars über­wiesen sein muss.

In der Folge übte die Käuferin ihr Kaufrecht mit Ein­schreiben aus, welch­es den Verkäufern am 10. Mai 2019 zugestellt wurde. Der Notar lud die Parteien zur Unterze­ich­nung des Antrags auf Ein­tra­gung der Eigen­tum­süber­tra­gung auf den 11. Juni 2019 vor. Am 21. Novem­ber 2019 stellte der Notar in einem Pro­tokoll fest, dass die Parteien zwar anwe­send waren, dass sich der Vertreter der Käuferin jedoch geweigert hat­te, an der Beurkun­dung teilzunehmen und dass die Käuferin den Kauf­preis nicht bezahlt hat­te, weshalb das Ver­fü­gungs­geschäft nicht beurkun­det wurde.

Daraufhin leit­eten die Verkäufer eine Betrei­bung gegen die Käuferin ein. Dage­gen erhob die Käuferin Rechtsvorschlag. Im Recht­söff­nungsver­fahren machte die Käuferin u.a. gel­tend, dass die Kauf­pre­is­forderung nicht fäl­lig sei, da die Verkäufer ihre Pflicht­en nicht erfüllt hät­ten  (Art. 82 OR): Die Verkäufer hätte den Antrag auf Ein­tra­gung des Eigen­tum­süber­tra­gung unterze­ich­nen und dem Notar übergeben und nicht nur die Unterze­ich­nung des Antrags anbi­eten müssen.

Der Juge de paix wies das Recht­söff­nungs­ge­such der Verkäufer ab mit der Begrün­dung, dass die Kauf­pre­is­forderung nicht fäl­lig sei. Die dage­gen erhobene Beschw­erde der Verkäufer wurde teil­weise gut­ge­heis­sen und das waadtländ­siche Kan­ton­s­gericht erteilte die pro­vi­sorische Recht­söff­nung im Umfang der Kauf­pre­is­forderung neb­st Zins. Gegen diesen Entscheid erhob die Käuferin Beschw­erde vor Bun­des­gericht. Mit Urteil vom 14. Dezem­ber 2014 wies das Bun­des­gericht die Beschw­erde ab, soweit es darauf eintrat.

 


Ange­bot der Leis­tung” im Immobilienkauf 

Das Bun­des­gericht befasste sich zunächst mit dem Begriff des Ange­bots der Leis­tung im Immo­bilienkauf. Nach Art. 211 Abs. 1 OR ist der Käufer verpflichtet, den Preis nach den Bes­tim­mungen des Ver­trages zu bezahlen und die gekaufte Sache, sofern sie ihm von dem Verkäufer ver­trags­gemäss ange­boten wird, anzunehmen. Der Begriff “Ange­bot” ist gle­ich wie in Art. 91 OR zu ver­ste­hen. Zwar ist die Recht­snatur der Verpflich­tung des Käufers (Obliegen­heit oder Pflicht) in der Lehre umstrit­ten; die Ablehnung des Käufers, die Sache anzunehmen, ist aber grund­sät­zlich mit ein­er kon­klu­den­ten Weigerung, den Kauf­preis zu bezahlen, gle­ichzuset­zen (E. 4.2.1.2).

Gemäss Art. 82 OR muss das Ange­bot des Verkäufers effek­tiv sein (Realobla­tion). Die Hin­ter­legung wird häu­fig i.S. ein­er Realobla­tion ver­wen­det und der Verkäufer kann das Ange­bot mit­tels eines “gewöhn­lichen” Beweis­mit­tels, namentlich mit der Bestä­ti­gung des Auf­be­wahrers, bele­gen. Aus­nahm­sweise kann ein mündlich­es Ange­bot (Ver­balobla­tion) genü­gen, z.B. bei Holschulden oder wenn sich der Gläu­biger weigert, die erforder­lichen Vor­bere­itung­shand­lun­gen zur Erfül­lung der Leis­tung des Schuld­ners zu ver­an­lassen, oder aber wenn er sich offen­sichtlich weigert, die Leis­tung anzunehmen (E. 4.2.2.1).

Gemäss bun­des­gerichtlich­er Recht­sprechung ist der Verkäufer nicht verpflichtet, seine Leis­tung vor dem Käufer anzu­bi­eten, um die Fäl­ligkeit der Forderung zu bewirken. Es genügt, wenn er über die Sache ver­fügt (und diese zur Ver­fü­gung des Käufers bere­i­thält) und seine Leis­tung Zug-um-Zug anbi­eten kann (E. 4.2.2.2).

Beim Grund­stück­kauf wird die Eigen­tum­süber­tra­gung mit einem Verpflich­tungs­geschäft (Kaufver­trag), einem Ver­fü­gungs­geschäft (Grund­buchan­mel­dung i.S.v. Art. 963 ZGB) und einem Realakt (Ein­tra­gung im Grund­buch) vol­l­zo­gen. Das Bun­des­gericht rief an dieser Stelle seine Recht­sprechung zur Grund­buchan­mel­dung (BGE 138 III 512) in Erin­nerung: Die Grund­buchan­mel­dung (Art. 963 Abs. 1 ZGB) hat nicht bloss die Bedeu­tung eines formellen Antrags an den Grund­buchver­wal­ter, die Änderung ein­er Ein­tra­gung vorzunehmen. Sie stellt vielmehr die materielle Ver­fü­gung über das Eigen­tum dar. Die Grund­buchan­mel­dung gilt dem­nach als Wil­lenserk­lärung des Eigen­tümers, die den Grund­buchver­wal­ter zur Vor­nahme der im Grund­buch erforder­lichen Änderung ver­an­lasst, wobei mit der Ein­tra­gung im Haupt­buch schliesslich der Eigen­tum­swech­sel her­beige­führt wird. Mit der Anmel­dung hat der Veräusser­er seinen auf die Über­tra­gung des Eigen­tums abzie­len­den Geschäftswillen bekun­det und damit all das vorgekehrt, was es sein­er­seits zur Erfül­lung sein­er Leis­tungsverpflich­tung aus dem Grundgeschäft bedarf. Der weit­ere Ver­lauf des Ein­tra­gungsver­fahrens, welch­es mit der Ein­schrei­bung im Tage­buch begin­nt und mit der Ein­tra­gung im Haupt­buch zum Abschluss gelangt, bleibt seinem Ein­fluss ent­zo­gen. Bere­its mit der Ein­schrei­bung im Tage­buch hat der Veräusser­er im Hin­blick auf die Erfül­lung sein­er Leis­tungsverpflich­tung seine Rechtsstel­lung als Eigen­tümer aufgegeben. Die Grund­buchan­mel­dung darf nicht ein­seit­ig zurück­ge­zo­gen wer­den (Art. 47 Abs. 1 GBV) (E. 4.2.2.3).


Art. 82 OR im Ver­fahren in der Hauptsache

Sodann erläuterte das Bun­des­gericht wie es sich mit der Einrede aus prozes­sualer Sicht im Ver­fahren in der Haupt­sache ver­hält: Hat der Gläu­biger seine Leis­tung nicht bere­its erfüllt bzw. nicht gehörig ange­boten, so kann der Schuld­ner im Hauptver­fahren die Einrede von Art. 82 OR erheben. Wenn die Voraus­set­zun­gen von Art. 82 OR erfüllt sind, verurteilt das Gericht in diesem Fall den Schuld­ner zu Leis­tung Zug-um-Zug. Wenn die Einrede zurück­gewiesen wird (sei es, weil der Gläu­biger seine Leis­tung erbracht hat oder diese gehörig ange­boten hat) verurteilt das Gericht den Schuld­ner zur unbed­ingten Leis­tung (E. 4.2.3).


Art. 82 OR im pro­vi­sorischen Rechtsöffnungsverfahren

Das Bun­des­gericht erwog sodann, dass es sich im Betrei­bungsrecht mit der Frage der Erfül­lung im pro­vi­sorischen Recht­söff­nungsver­fahren noch nicht auseinan­derge­set­zt hat­te. In einem ersten Schritt rief das Bun­des­gericht seine Recht­sprechung zur Aberken­nungsklage (Art. 83 Abs. 3 SchKG) in Erinnerung:

Im Zusam­men­hang mit ein­er Aberken­nungsklage hat­te das Bun­des­gericht in BGE 79 II 280 näm­lich entsch­ieden, dass die Abweisung der Aberken­nungsklage, mit welch­er die Recht­söff­nung defin­i­tiv wird, dazu führen würde, dass sich der Käufer im Voll­streck­ungsver­fahren nicht mehr auf Art. 82 OR berufen kann, wenn der Verkäufer die Sache wed­er geliefert noch hin­ter­legt hat. Das Bun­des­gericht erwog in diesem alten Entscheid, dass eine Ver­balobla­tion in einem Betrei­bungsver­fahren betr­e­f­fend die ein­seit­ige Zahlungspflicht des Käufers nicht hin­re­ichend sei und dass nur die Hin­ter­legung gemäss Art. 91 f. OR vor Betrei­bung­sein­leitung es dem Verkäufer erlauben würde, einen Zahlungs­be­fehl lau­t­end auf Zahlung des Kauf­preis­es ausstellen zu lassen (E. 4.3.1).

Das Bun­des­gericht bestätigte BGE 79 II 280 insofern, dass das Gericht bei ein­er Aberken­nungsklage kein bed­ingtes Urteil fällen darf, mit der Verpflich­tung, die Leis­tung Zug-um-Zug zu erfüllen. In Änderung sein­er Recht­sprechung erwog das Bun­des­gericht jedoch in einem zweit­en Schritt, dass BGE 79 II 280 auf­grund der jün­geren Recht­sprechung zu Art. 82 und Art. 91 OR über­holt ist. Aus der Recht­sprechung zum materiellen Recht fol­gt näm­lich, dass das Gericht ein unbe­d­ingtes Leis­tung­surteil erlässt, das zur Erteilung der defin­i­tiv­en Recht­söff­nung führen kann, wenn der Gläu­biger nach­weist, dass er seine Leis­tung erbracht hat, oder dass er diese gehörig ange­boten hat. Zudem kann sich die Partei, die in Gläu­bigerverzug (91 ff. OR) gerät, nicht mehr auf die Einrede nach Art. 82 OR berufen. Ausser­dem genügt u.U. eine Ver­balobla­tion (E. 4.3.3).

Diese Recht­sprechung zum materiellen Recht soll gemäss Bun­des­gericht nun auch im Betrei­bungsrecht gel­ten. Dem­nach kann der Verkäufer bei der Voll­streck­ung sein­er Kauf­pre­is­forderung bei einem Grund­stück­kauf deren Fäl­ligkeit nach­weisen, indem er belegt, dass er seine Leis­tung erbracht hat oder diese i.S.v. Art. 82 OR gehörig ange­boten hat. Das Bun­des­gericht liess die Frage der Qual­i­fizierung des Ange­bots (Realobla­tion oder Ver­balobla­tion) beim Grund­stück­kauf offen und erwog, dass diese in der Prax­is nur beschränkt rel­e­vant sein dürfte, da der Verkäufer das Ange­bot im pro­vi­sorischen Recht­söff­nungsver­fahren mit­tels Urkun­den nach­weisen muss. Dabei muss es sich nicht zwin­gend — anders als beim Nach­weis des Bestands der Schul­dan­erken­nung — um einen pro­vi­sorischen Recht­sti­tel han­deln. Die in einem Pro­tokoll niedergelegte Fest­stel­lung des Notars, dass die Verkäufer am Ter­min erschienen sind, um die Grund­buchan­mel­dung gemäss den Kaufver­trags­bes­tim­mungen zu unterze­ich­nen, und dass der Käufer die ange­botene Leis­tung ver­weigert hat, genügt um die Gehörigkeit des Ange­bots für die Voll­streck­ung nachzuweisen (E. 4.3.3).

Ain­si, à la suite de la doc­trine qui affirme que le droit des pour­suites doit suiv­re la jurispru­dence ren­due en appli­ca­tion du droit matériel (art. 82 et 91 CO;…), il faut retenir qu’en matière d’exé­cu­tion du prix d’une vente immo­bil­ière, le pour­suiv­ant peut démon­tr­er l’exi­gi­bil­ité de sa créance en prou­vant non seule­ment qu’il a exé­cuté sa presta­tion, mais aus­si qu’il a régulière­ment offert celle-ci, au sens de l’art. 82 CO.
Quant à la nature de cette offre, la dis­tinc­tion entre offre ver­bale et offre réelle n’est pas tou­jours aisée en matière de vente immo­bil­ière. Pra­tique­ment, la portée de l’of­fre ver­bale est réduite, étant don­né que le créanci­er doit démon­tr­er son offre régulière selon les moyens de preuve admis­si­bles en procé­dure de main­levée, soit par titre (…). A cet égard, il y a lieu de pré­cis­er, à la suite de la doc­trine préc­itée (…), que, pour démon­tr­er l’exi­gi­bil­ité de sa créance, le pour­suiv­ant peut, con­traire­ment à ce qui vaut pour l’ex­is­tence de la recon­nais­sance de dette (…), offrir d’autres titres que celui valant recon­nais­sance de dette.
A ce stade, il suf­fit de retenir que, lorsque le vendeur pro­duit un con­stat de carence du notaire, soit un titre, démon­trant qu’il s’est présen­té devant celui-ci en vue de sign­er la réqui­si­tion de trans­fert au reg­istre fonci­er (art. 963 CC), con­for­mé­ment aux con­di­tions prévues dans le con­trat, mais que l’a­cheteur a refusé la presta­tion ain­si offerte, il démon­tre avoir effec­tué une offre suff­isante en ayant tout entre­pris pour être en mesure de procéder à l’exécution.”