BGE 147 III 226: keine Beschwerdelegitimation des Gläubigers gegen einen Ermächtigungsentscheid des Nachlassgerichts (Art. 298 Abs. 2 SchKG)

In diesem amtlich publizierten Entscheid BGE 147 III 226 vom 18. März 2021 hatte sich das Bundesgericht mit diversen Fragen im Zusammenhang mit einer Nachlassstundung zu befassen. Das Bundesgericht erwog, dass die Gewährung der provisorischen Nachlassstundung (Art. 293a SchKG) ein Ermessensentscheid ist, der nur ausnahmsweise nichtig sein kann. Sodann bestätigte das Bundesgericht den Entscheid der Vorinstanz, den Konkurs nach Ablehnung der definitiven Nachlassstundung (Art. 294 Abs. 3 SchKG) auf den Zeitpunkt des Beschwerdeentscheids abzustellen. Schliesslich erwog das Bundesgericht, dass einer Gläubigerin kein Beschwerderecht gegen den Entscheid zur Ermächtigung nach Art. 298 Abs. 2 SchKG zusteht.


Diesem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Am 11. Dezem­ber 2018 stellte die B AG das Gesuch um Nach­lassstun­dung. Mit Ver­fü­gung vom 13. Dezem­ber 2018 bewil­ligte das Region­al­gericht Bern-Mit­tel­land als Nach­lass­gericht die pro­vi­sorische Stun­dung für zwei Monate (bis am 12. Feb­ru­ar 2019). Das Nach­lass­gericht set­zte als pro­vi­sorischen Sach­wal­ter C ein und ord­nete den Verzicht auf die öffentliche Bekan­nt­machung bzw. die “stille Stun­dung” an.

Am 19. Dezem­ber 2018 gelangte der Sach­wal­ter an das Nach­lass­gericht. Er beantragte ins­beson­dere, dass die Nach­lasss­chuld­ner­in zu ermächti­gen sei, die Aktien (100 %) der am 7. Dezem­ber 2018 (d.h. nur wenige Tage vor dem Gesuch um Nach­lassstun­dung) gegrün­de­ten Tochterge­sellschaft zu verkaufen, und bes­timmte Aktiv­en und Pas­siv­en auf die Tochterge­sellschaft zu über­tra­gen. Der Sach­wal­ter erläuterte das bere­its im Stun­dungs­ge­such präsen­tierte, ohne seine Mitwirkung entwick­elte, weit aus­gereifte Sanierungskonzept mit Veräusserung des laufend­en Betriebes.

Mit Ver­fü­gung vom 19. Dezem­ber 2018 ermächtigte das Nach­lass­gericht die Nach­lasss­chuld­ner­in, 100 % der Aktien ihrer neu gegrün­de­ten Tochterge­sellschaft (B [Switzer­land AG]) an die E AG zum Preis von CHF 1.3 Mio. zu verkaufen. Weit­er wurde die Nach­lasss­chuld­ner­in ermächtigt, aus­gewählte Aktiv­en und Pas­siv­en auf diese Auf­fangge­sellschaft zu über­tra­gen und mit dieser einen Geschäfts­führungsver­trag betr­e­f­fend Fort­führung von aus­gewählten Pro­jek­ten, Über­nahme von Verträ­gen bzw. Kun­den­beziehun­gen und Angestell­ten abzuschliessen. Das Nach­lass­gericht eröffnete den Entscheid der Nach­lasss­chuld­ner­in und dem Sach­wal­ter und verzichtete mit Hin­weis auf die stille Stun­dung auf die Publikation.

Am 29. Jan­u­ar 2019 ord­nete das Nach­lass­gericht die Ver­längerung der pro­vi­sorischen Stun­dung um weit­ere zwei Monate (bis am 12. April 2019) an.

Am 2. April 2019 fand die Gerichtsver­hand­lung zum Entscheid über die defin­i­tive Stun­dung statt. Mit Entscheid vom 2. April 2019 bewil­ligte das Nach­lass­gericht die defin­i­tive Nach­lassstun­dung für die Dauer von sechs Monat­en (bis am 2. Okto­ber 2019) und set­zte den bere­its bestell­ten Sach­wal­ter defin­i­tiv ein.

Gegen die defin­i­tive Stun­dung erhob die A AG als Gläu­bigerin Beschw­erde beim Oberg­ericht des Kan­tons Bern. Sie ver­langte im Wesentlichen die Fest­stel­lung der Nichtigkeit der Ver­fü­gun­gen des Nach­lass­gerichts (pro­vi­sorische und defin­i­tive Stun­dung, Ermäch­ti­gung zum Verkauf des Anlagev­er­mö­gens). Even­tu­aliter beantragte sie die Aufhe­bung der defin­i­tiv­en Stun­dung bzw. die Abset­zung des Sach­wal­ters. Mit Entscheid vom 16. Sep­tem­ber 2019 hiess das Oberg­ericht die Beschw­erde teil­weise gut. Es hob die gewährte defin­i­tive Nach­lassstun­dung auf und eröffnete mit Wirkung vom gle­ichen Tag (16. Sep­tem­ber 2019), 10.00 Uhr, über die Nach­lasss­chuld­ner­in gestützt auf Art. 294 Abs. 3 SchKG den Konkurs. Im Übri­gen wies es die Beschw­erde ab.

Dage­gen erhob die A AG Beschw­erde in Zivil­sachen. Das Bun­des­gericht wies die Beschw­erde ab, soweit es darauf eintrat.


Entscheid über die pro­vi­sorische Nachlassstundung

Vor Bun­des­gericht machte die Gläu­bigerin zunächst gel­tend, dass die Vorin­stanz das Recht ver­let­zt habe, weil es den Konkurs nicht per 13. Dezem­ber 2018 bzw. nicht sofort gemäss Art. 293a Abs. 3 SchKG, son­dern erst mit der Ver­weigerung der defin­i­tiv­en Stun­dung eröffnet habe. Das Bun­des­gericht ver­warf diese Ansicht und erwog, dass der Entscheid betr­e­f­fend die Gewährung der pro­vi­sorischen Nach­lassstun­dung ein Ermessensentscheid ist und vor­liegend nicht zu bean­standen ist (E. 3.1–3.4).


Zeit­punkt der Eröff­nung des Konkurs­es nach Ver­weigerung der defin­i­tiv­en Nachlassstundung

Vor Bun­des­gericht wen­dete sich die Gläu­bigerin gegen das von der Vorin­stanz fest­ge­set­zten Datum der Konkurs­eröff­nung. Das Bun­des­gericht bestätigte den Entscheid der Vorin­stanz (E. 3.2.1–3.2.2, Her­vorhe­bung hinzugefügt):

3.2.1 Beste­ht (bei Ablauf der pro­vi­sorischen Stun­dung) keine Aus­sicht auf Sanierung oder Bestä­ti­gung des Nach­lassver­trages, so eröffnet das Gericht von Amtes wegen den Konkurs (Art. 294 Abs. 3 SchKG). Zu diesem Ergeb­nis ist das Oberg­ericht gekom­men, weshalb es den Konkurs eröffnet hat, und zwar ( ex nunc ) per Datum seines Entschei­des.3.2.2 Es ist nicht zu überse­hen, dass die Beschw­erde gegen die defin­i­tive Nach­lassstun­dung ex lege keine auf­schiebende Wirkung hat (Art. 295c Abs. 2 SchKG), und die Bewil­li­gung (und Ver­längerung) der pro­vi­sorischen Stun­dung über­haupt nicht anfecht­bar ist (Art. 293d SchKG). Die Aus­gestal­tung macht deut­lich, dass mit der Bewil­li­gung der (nicht anfecht­baren) pro­vi­sorischen und (im Rechtsmit­telver­fahren in ihrer Wirkung nicht aufhalt­baren) defin­i­tiv­en Stun­dung ein Ver­fahren aus­gelöst wird, welch­es in Etap­pen fort­ge­set­zt wird und mit Wirkun­gen ver­bun­den ist, deren Aufhe­bung schw­er prak­tik­a­bel ist. Dies legt nahe, dass die Aufhe­bung der Nach­lassstun­dung — nicht nur bei Gelin­gen der Sanierung vor Ablauf der Stun­dung (Art. 296a Abs. 1 SchKG), son­dern auch beim von Amtes wegen zu eröff­nen­den Konkurs — ex nunc wirkt (…). Wenn das Oberg­ericht den Konkurs auf Beschw­erde hin auf den Zeit­punkt seines Entschei­des (16. Sep­tem­ber 2019) eröffnet hat, ist dies nicht zu beanstanden.”


Frage der Anfecht­barkeit des Ermäch­ti­gungsentschei­ds durch die Gläu­bigerin (Art. 298 Abs. 2 SchKG) 

Schliesslich set­zte sich das Bun­des­gericht mit der Frage auseinan­der, ob der Entscheid des Nach­lass­gerichts betr­e­f­fend die erteil­ten Ermäch­ti­gun­gen zum Verkauf und zur Über­tra­gung (Art. 298 Abs. 2 SchKG) von der Gläu­bigerin über­haupt ange­focht­en wer­den kann. Das Bun­des­gericht verneinte dies mit fol­gen­der Begründung:

Während der Nach­lassstun­dung kann Anlagev­er­mö­gen (Art. 298 Abs. 2 SchKG) oder ein ganz­er Betrieb verkauft wer­den (vgl. Art. 333b OR). Dies ist namentlich dann von Bedeu­tung, wenn die Verkaufsver­hand­lun­gen in fort­geschrit­ten­em Sta­di­um sind und von ein­er sofor­ti­gen Veräusserung ein besseres Ergeb­nis für die Gläu­biger zu erwarten ist. Dies gilt auch für die pro­vi­sorische Stun­dung. Die Ermäch­ti­gung des Nach­lass­gerichts oder des Gläu­big­er­auss­chuss­es ist deshalb notwendig, da andern­falls nicht mehr “in rechts­gültiger Weise” Anlagev­er­mö­gen oder das Unternehmen veräussert wer­den kann. Ohne die Ermäch­ti­gung ist das Rechts­geschäft zwar zivil­rechtlich gültig, aber zwangsvoll­streck­ungsrechtlich unbeachtlich (E. 4.3.1).

Die Bes­tim­mung über die richter­liche Ermäch­ti­gung sieht in Art. 298 Abs. 2 SchKG kein Rechtsmit­tel vor; der Weit­erzug an ein oberes kan­tonales Nach­lass­gericht ist aber möglich. Ermäch­ti­gungsentschei­de unter­liegen damit der Beschw­erde nach Art. 319 ZPO. Zur Beschw­erde gemäss Art. 319 ff. ZPO ist notwendig, dass der Beschw­erde­führer beschw­ert, d.h. unmit­tel­bar betrof­fen ist (E. 4.3.2).

Die Nach­lassstun­dung soll den Schuld­ner vor dem Angriff der Gläu­biger schützen, damit er in Ruhe unter Auf­sicht des Sach­wal­ters die notwendi­gen Schritte zur Sanierung oder Ausar­beitung eines Nach­lassver­trages unternehmen kann. Anders als im Konkurs kann der Schuld­ner während der Stun­dung seine Geschäft­stätigkeit grund­sät­zlich weit­er­führen und ist im Rah­men der erlaubten Tätigkeit bzw. gestützt auf die richter­liche Ermäch­ti­gung befugt (Art. 298 Abs. 1 und 2 SchKG), über sein Ver­mö­gen zu ver­fü­gen (E. 4.3.3).

Die gerichtliche Zus­tim­mung gemäss Art. 298 Abs. 2 SchKG bezieht sich auf den Schuld­ner; Gegen­stand der gerichtlichen Genehmi­gung ist eine Recht­shand­lung des Schuld­ners. Bere­its vor Inkraft­treten des neuen Sanierungsrechts wurde die Legit­i­ma­tion der Gläu­biger zur Anfech­tung des gerichtlichen Ermäch­ti­gungsentschei­des verneint, weil sie dadurch nur mit­tel­bar tang­iert sind, indem der Deck­ungs­grad ihrer Forderung bee­in­flusst wer­den kann (E. 4.3.3). Auch unter dem neuen Recht ist die Beschw­erdele­git­i­ma­tion des Gläu­bigers zu verneinen (E. 4.3.4, Her­vorhe­bun­gen hinzugefügt):

4.3.4 Der Umstand, dass die Gläu­biger keine Mitentschei­dungsrechte während der Nach­lassstun­dung betr­e­f­fend Ver­mö­gens­dis­po­si­tio­nen haben (…), wurde bere­its vor Beginn der Ausar­beitung der Revi­sion des Sanierungsrechts kri­tisiert (…). Mit der Revi­sion wurde die Mitwirkung der Gläu­biger ver­stärkt, indem ein repräsen­ta­tiv­er Gläu­big­er­auss­chuss mit Infor­ma­tions- und Auf­sicht­srecht­en und Ermäch­ti­gungs­befug­nis (Art. 298 Abs. 2 SchKG) einge­set­zt wer­den kann, jedoch fakul­ta­tiv und erst während der defin­i­tiv­en Stun­dung (Art. 295a SchKG), oder bei ver­längert­er defin­i­tiv­er Stun­dung eine ausseror­dentliche Gläu­bigerver­samm­lung einzu­berufen ist (…). Zudem kann die pro­vi­sorische Stun­dung ohne Infor­ma­tion der Gläu­biger — “still”, wie im vor­liegen­den Fall — stat­tfind­en, um die Ruhe vor den Gläu­bigern zu gewähren, und weil der Überblick über die Gläu­biger noch fehlt (…). Hinge­gen ist zum Verkauf von Anlagev­er­mö­gen wed­er eine Anhörungspflicht noch ein Recht der Gläu­biger (oder Drit­ter) zur Anhörung bzw. Mitwirkung oder zum Höherge­bot (vgl. im Konkurs Art. 256 Abs. 3 SchKG) vorgeschrieben (…). Ein Gläu­biger ist zum Antrag auf Veräusserung von Anlagev­er­mö­gen nach Art. 298 Abs. 2 SchKG nicht berechtigt, und das Ver­fahren richtet sich nicht gegen die Gläu­biger (…), weil der Schuld­ner im Stun­dungsver­fahren über sein Ver­mö­gen grund­sät­zlich ver­fü­gen kann. Insoweit ist nicht ersichtlich, dass eine Legit­i­ma­tion der Gläu­biger beste­hen soll, den Ermäch­ti­gungsentscheid anzufecht­en, wie in der Lehre und vom Oberg­ericht im erwäh­n­ten, späteren Urteil (CAN 2020 Nr. 38 S. 113, E. 13, 15) zutr­e­f­fend gefol­gert wird. Ent­ge­gen der Mei­n­ung der Beschw­erde­führerin hat das Oberg­ericht im Ergeb­nis keine Beschw­erdemöglichkeit zur Anfech­tung des Ermäch­ti­gungsentschei­des übergangen.”

Schliesslich machte die Gläu­bigerin gel­tend, dass der Ermäch­ti­gungsentscheid nichtig sei, da der Auss­chluss der Pau­liana nach Art. 285 Abs. 3 SchKG i.V.m. Art. 295a SchKG nur gerecht­fer­tigt sei, wenn im Rah­men der Ermäch­ti­gung nach Art. 298 Abs. 2 SchKG keine Nichtigkeit vor­liege, son­dern alles “mit recht­en Din­gen zu- und herge­he”, was nicht der Fall sei, wenn u.a. ohne Prü­fung am gle­ichen Tag eine kom­plexe Transak­tion genehmigt werde (E. 4.4).

Im konkreten Fall verneinte das Bun­des­gericht das Vor­liegen eines der­art schw­eren inhaltlichen Man­gels, der die Nichtigkeits­folge nach sich gezo­gen hätte (E. 4.4.1–4.4.3), wobei das Bun­des­gericht die Frage offen­liess, ob die Gläu­bigerin ohne Abtre­tung der Anfech­tungsansprüche über ein genü­gen­des Inter­esse ver­fügt, um sich im Rah­men der vor­liegen­den Beschw­erde auf die Nichtigkeit des Ermäch­ti­gungsentschei­ds zu berufen:

4.4.2 Der Beschw­erde­führerin geht es darum, eine Anfech­tungsklage zu erheben. Dazu müsste sie sich einen Anfech­tungsanspruch abtreten lassen, auf dessen Gel­tend­machung die Gläu­bigerge­samtheit verzichtet hat (Art. 285 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG); mit der Sache befasst wäre der Anfech­tungsrichter. Ob sie ein genü­gen­des Inter­esse hat, um sich inner­halb zuläs­siger Beschw­erde­führung (…) auf die Nichtigkeit des Ermäch­ti­gungsentschei­des — d.h. auf die unge­hin­derte Anfech­tungsklage — zu berufen, ist nicht weit­er zu erörtern. Von Anhalt­spunk­ten zur Nichtigkeit kann hier ohne­hin keine Rede sein, wie sich aus dem Fol­gen­den ergibt.”