Im Urteil 1B_243/2021 vom 20. Dezember 2021 entschied das Bundesgericht über die Frage, ob es sich beim amts- oder rechtshilfeweisen Beizug von Akten aus einem anderen Verfahren um eine Zwangsmassnahme gegen die beschuldigte Person oder gegen mitbetroffene Dritte im Sinne von Art. 196 StPO handelt, und insofern nach solchen Aktenbeizügen ein Siegelungsbegehren möglich ist.
Hintergrund des Entscheids war ein Verwaltungsstrafverfahren des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) gegen eine Bank, das durch eine Strafanzeige der FINMA initiiert worden war. Ihrer Strafanzeige hatte die FINMA unter anderem einige der ihr von der Bank im aufsichtsrechtlichen Verfahren eingereichten Dokumente beigelegt (vgl. Art. 38 FINMAG). Im weiteren Verlauf edierte das EFD bei der Bank verschiedene Kontounterlagen, bei deren Einreichung die Bank gleichzeitig ein Siegelungsgesuch stellte, das vom EFD jedoch abgewiesen wurde. Dagegen erhob die Bank Beschwerde und prozessierte in der Folge bis vor Bundesgericht.
Bei einer Siegelung werden Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, versiegelt und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden (Art. 248 Abs. 1 StPO). Stellt die Strafbehörde nicht innert 20 Tagen ein Entsiegelungsgesuch, so werden die versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände der berechtigten Person zurückgegeben (Art. 248 Abs. 2 StPO).
Das Verwaltungsstrafrecht und die Strafprozessordnung sehen die “Einsprache” bzw. das Siegelungsbegehren als Rechtsbehelf nach zwangsmassnahmenrechtlichen Untersuchungshandlungen vor. In Frage kommen dabei primär die vorläufige Sicherstellung von Aufzeichnungen nach einer Hausdurchsuchung (Art. 46–49 VStrR; Art. 263 Abs. 2 i.V.m. Art. 244 Abs. 2 lit. b StPO) oder die Beweiserhebung per Editionsbefehl (Art. 265 StPO). Beim amts- oder rechtshilfeweisen Beizug von Akten aus einem anderen Verfahren handelt es sich gemäss Bundesgericht nicht um eine Zwangsmassnahme gegen die beschuldigten Personen oder gegen mitbetroffene Dritte im Sinne von Art. 196 StPO. Anders zu entscheiden hiesse im Übrigen, dass bei allen Aktenbeizügen aus anderen Straf‑, Zivil- oder Verwaltungsverfahren jene Personen, von denen die Aufzeichnungen ursprünglich erhoben wurden, auch noch im (neuen) separaten Strafverfahren Siegelungsansprüche erheben könnten. Dies widerspräche dem Sinn und Zweck des strafprozessualen Rechtsbehelfs der Siegelung und dem Grundsatz der sogenannten “Behördenöffentlichkeit” von amtlichen Verfahrensakten (vgl. Art. 30 Abs. 2 VStrR; Art. 40 FINMAG; Art. 194 Abs. 1 und 2 StPO; E. 3.7)
Im vorliegenden Fall hatte das EFD die fraglichen Unterlagen per Aktenherausgabe durch die FINMA erhoben und zu den Akten des Verwaltungsstrafverfahrens genommen. Inhaberin dieser Verfahrensakten aus dem Bankenaufsichtsverfahren war die FINMA. Da die Bank nicht Inhaberin dieser behördlichen Verfahrensakten war, war sie diesbezüglich auch nicht siegelungsberechtigt. Der Umstand, dass die Bank gewisse Unterlagen ursprünglich für das Bankenaufsichtsverfahren ediert hatte, änderte daran nichts (E. 3.5). Dass die Vorinstanz die Siegelungsfähigkeit der beigezogenen Verfahrensakten verneint und die dagegen erhobene Beschwerde der Bank abgewiesen hatte, hielt somit vor Bundesgericht im vorliegenden Fall stand (E. 3.8).