4A_169/2021: Arbeitsvertrag; Bonus, Rechtsmittel bei Gegenstandslosigkeit (amtl. Publ.)

Im zur Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil 4A_169/2021 vom 18. Jan­u­ar 2022 befasste sich das Bun­des­gericht im Rah­men ein­er Klage auf Bonuszahlung mit der Frage des zuläs­si­gen Rechtsmit­tels gegen einen Abschrei­bungsentscheid zufolge Gegenstandslosigkeit.

Hin­ter­grund des Urteils war die Klage eines Arbeit­nehmers (Beschw­erdegeg­n­er) nach Beendi­gung des Arbeitsver­hält­niss­es per 31. Jan­u­ar 2018 auf Zahlung des vari­ablen Salärs für das Jahr 2017 sowie pro rata tem­po­ris für den Jan­u­ar 2018, gestützt auf die Ver­tragsklausel “Vari­able Pay: 20% of annu­al base salary, pro rata tem­po­ris (Pay­ment in March of the fol­low­ing year, based on achieve­ment of the agreed busi­ness and indi­vid­ual objec­tives)”. Die Arbeit­ge­berin (Beschw­erdegeg­ner­in) hat­te die Bonuszahlung für das Jahr 2017 mit der Begrün­dung abgelehnt, sie habe infolge des uner­wartet schlecht­en Geschäft­sergeb­niss­es der Gruppe von Bonuszahlun­gen abse­hen müssen. Für den Jan­u­ar 2018 bez­if­ferte sie anfangs 2019 (nach Klageein­gang) einen pro rata Betrag und zahlte diesen dem Arbeit­nehmer aus.

Die erste Instanz schrieb die Klage betr­e­f­fend Jan­u­ar 2018 auf­grund der nachträglichen Zahlung als gegen­stand­s­los ab und verpflichtete die Arbeit­ge­berin zur teil­weisen Zahlung der Forderung für 2017, mit der Begrün­dung, die strit­tige Ver­tragsklausel sei als unechte Grat­i­fika­tion zu qual­i­fizieren, die dem Arbeit­nehmer einen Anspruch von mind. 20% seines Brut­to­jahres­lohns ver­schaffe und bloss für den darüber hin­aus­ge­hen­den Teil frei­willi­gen Charak­ter aufweise. Weit­er verurteilte sie die Arbeit­ge­berin zu Zahlung ein­er Pateientschädi­gung in der Höhe von CHF 6’700. Zweitin­stan­zlich wurde die Forderung sowie die Parteientschädi­gung in teil­weis­er Gutheis­sung der Beru­fung reduziert, mit der Begrün­dung, es han­dle sich um eine unechte Grat­i­fika­tion, die im Grund­satz geschuldet sei und der Arbeit­ge­berin lediglich in Bezug auf die Höhe ein teil­weis­es Ermessen zukomme. Ent­ge­gen der Vorin­stanz verneinte sie einen Anspruch auf mind. 20% des Brut­to­jahres­lohns. Die Höhe der Zahlung bez­if­ferte die zweite Instanz anhand der bekan­nten und offen­gelegten Berech­nungs­formel für den Bonus. Auf die Beru­fung gegen die Abschrei­bung zufolge Gegen­stand­slosigkeit in Bezug auf die Forderung für Jan­u­ar 2018 trat sie nicht ein, da dies­bezüglich die Beschw­erde das ein­schlägige Rechtsmit­tel gewe­sen sei.

Unter Ver­weis auf seine bish­erige Bonus­recht­sprechung (E. 3.1) bestätigte das Bun­des­gericht die Qual­i­fika­tion des Bonus als unechte Grat­i­fika­tion (E. 3.2; bzgl. Zugänglichkeit der Frage zur bun­des­gerichtlichen Über­prü­fung vgl. E. 3.2.3.2). Das Bun­des­gericht fol­gte den Erwä­gun­gen der Vorin­stanz, wonach sich die vari­able Vergü­tung nach der Formel “Eli­gi­ble Base Salary x Bonus Tar­get x Busi­ness Per­for­mance Fac­tor x Indi­vid­ual Per­for­mance Fac­tor” berech­net habe, wobei der Arbeit­ge­berin hin­sichtlich der Zusam­menset­zung und Gewich­tung des Busi­ness Per­for­mance Fac­tors (40% ent­fal­l­end auf den Gesamtkonz­ern — “TKPI” — und 60% auf die jew­eilige Unternehmen­sein­heit — “BUKPI”) sowie der Beurteilung des Indi­vid­ual Per­for­mance Fac­tors ein Ermessensspiel­raum zugekom­men sei (E. 3.3.2). Dem­nach habe der Arbeit­nehmer im Grund­satz Anspruch auf die Aus­rich­tung eines Bonus für das Jahr 2017 (E. 3.4). In Bezug auf die Höhe verneinte das Bun­des­gericht, dass die Beschw­erde­führerin den Anspruch ohne Anwen­dung der Bonus­formel auf­grund des schlecht­en Ergeb­niss­es habe stre­ichen dür­fen (E. 4). Unter Bezug­nahme auf die Aus­führun­gen der Vorin­stanz erwog das Bun­des­gericht, die Stre­ichung der gesamten Zahlung wäre nur zuläs­sig gewe­sen, wenn das Ergeb­nis der Berech­nung in Anwen­dung der vere­in­barten Formel null Franken ergeben hätte (E. 4.1 und E. 4.3).

Strit­tig war fern­er die Richtigkeit der Bonus­berech­nung anhand der zugrun­deliegen­den Formel in Bezug auf den auf den Gesamtkonz­ern ent­fal­l­en­den Busi­ness Per­for­mance Fac­tor TKPI und den Indi­vid­ual Per­for­mance Fac­tor (E. 5). Auch wenn die Vorin­stanz der Beschw­erde­führerin einen gewis­sen Ermessensspiel­raum bei der Bemes­sung dieses Fak­tors zuge­s­tanden habe, so das Bun­des­gericht, könne daraus nicht abgeleit­et wer­den, die Berech­nung sei in ihr Belieben gestellt gewe­sen. Damit, dass der Fak­tor bei Unter­schre­itung eines Schwellen­wertes von 80% auf 0 geset­zt werde, wie von der Beschw­erde­führerin gel­tend gemacht, habe der Beschw­erdegeg­n­er nach Treu und Glauben nicht rech­nen müssen, mithin es für die Beschw­erde­führerin ein Leicht­es gewe­sen wäre, einen solchen Schwellen­wert in die Berech­nungs­formel aufzunehmen (E. 5.2.2.2).

In Bezug auf den Indi­vid­ual Per­for­mance Fac­tor war strit­tig, ob die Vorin­stanz die Beschw­erde­führerin unzuläs­siger­weise auf einem Fak­tor von 110% behaftet habe (E. 5.3.1). Das Bun­des­gericht erwog jedoch, die Vorin­stanz habe in ihrer Beweiswürdi­gung zurecht zu Gun­sten des Beschw­erde­führers auf 110% abstellen dür­fen nach­dem die Arbeit­ge­berin zuge­s­tanden habe, bei ein­er “Suc­cess­ful Per­for­mance” sei der Fak­tor prax­is­gemäss auf 90–110% festzule­gen, ohne jedoch eine Bez­if­fer­ung vorzunehmen (E. 5.3.2).

Umstrit­ten war sodann die Ver­let­zung von Art. 308 ZPO, indem die Vorin­stanz nicht auf die Beru­fung gegen die Abschrei­bung infolge Gegen­stand­slosigkeit in Bezug auf den Bonus 2018 einge­treten war (E. 6). In Dar­legung der unter­schiedlichen Lehrmei­n­un­gen zum zuläs­si­gen Rechtsmit­tel gegen eine Abschrei­bung infolge Gegen­stand­slosigkeit nach Art. 242 ZPO (E. 6.3) erwog das Bun­des­gericht unter Ver­weis auf das Urteil 4A_137/2013, dass dort klar fest­ge­hal­ten wor­den sei, dass Abschrei­bungs­beschlüsse gemäss Art. 242 ZPO Endentschei­de seien. Es gäbe auch keinen Anlass, von dieser Recht­sprechung abzuwe­ichen, zumal auch die in der Lit­er­atur erwäh­nte Par­al­lele zu Nichtein­tretensentschei­den dafür spreche (E. 6.4). Diese Ausle­gung werde auch durch die Aus­führun­gen in der Botschaft zur Revi­sion der ZPO (BBl 2019 2762 f.) bestärkt, gemäss welch­er vorge­se­hen sei, in Art. 242 ZPO den Aus­druck “ohne Entscheid” durch “ohne Sachentscheid” zu erset­zen und den den Gliederungsti­tel des 6. Kapi­tels von “Beendi­gung des Ver­fahrens ohne Entscheid” in “Beendi­gung des Ver­fahrens ohne Sachentscheid” zu ändern. Die Botschaft führe dazu aus, es sei damit keine inhaltliche Änderung beab­sichtigt, son­dern es solle bloss zum Aus­druck gebracht wer­den, dass erst der gerichtliche Entscheid betr­e­f­fend die Abschrei­bung zur Beendi­gung des Ver­fahrens führe. Damit betone auch die Botschaft die kon­sti­tu­tive Bedeu­tung des Abschrei­bungs­beschlusses (E. 6.4).

Dem­nach sei die Abschrei­bung zufolge Gegen­stand­slosigkeit gemäss Art. 242 ZPO ein Endentscheid im Sinn von Art. 308 Abs. 1 lit. a ZPO, welch­er der Beru­fung unter­liege, sofern der Stre­itwert gemäss Art. 308 Abs. 2 ZPO erre­icht sei, andern­falls der Beschw­erde gemäss Art. 319 lit. a ZPO (E. 6.5).

Weit­er erwog das Bun­des­gericht in Bezug auf den vor­liegend strit­ti­gen Stre­itwert für das Rechtsmit­tel gegen den Abschrei­bungsentscheid, es sei entschei­dend, dass der Stre­itwert, der im erstin­stan­zlichen Ver­fahren in objek­tiv­er Klage­häu­fung und der im Zeit­punkt des erstin­stan­zlichen Entschei­ds nach wie vor strit­ti­gen Recht­begehren ins­ge­samt das Stre­itwert­er­forder­nis erfülle (vor­liegend CHF 28’600.50). Die Vorin­stanz sei somit zu Unrecht nicht auf die Beru­fung gegen den Abschrei­bungs­beschluss einge­treten, weshalb die Sache dies­bezüglich an die Vorin­stanz zurück­zuweisen sei. (E. 6.6).