5A_665/2021: Rolle des Konkursamtes bei einer Liquidation nach Art. 731b OR bei einem Aktivenüberschusses (amtl. Publ., FR)

Im zur Publikation vorgesehenen Urteil 5A_665/2021 vom 28. Januar 2021 befasste sich das Bundesgericht mit der Frage, welche Rolle dem Konkursamt bei der Verteilung eines Liquidationsüberschusses nach Auflösung und Liquidation einer Gesellschaft nach Art. 731b OR zukommt. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass es den Gesellschaftsorganen obliegt, einen Aktivenüberschuss zu verteilen, nicht dem Konkursamt.

(Dieser Beitrag wurde von Car­men Stet­ter, Kurzprak­tikan­tin bei Walder Wyss AG, mitver­fasst; besten Dank für die tatkräftige Unterstützung.)

Diesem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Mit Entscheid vom 31. Mai 2016 löste das Bezirks­gericht Vivis­bach (la Veveyse) die Gesellschaft C SA auf und stellte dabei fest, dass eine Kon­flik­t­si­t­u­a­tion zwis­chen den Aktionären und dem von ihnen ernan­nten Liq­uida­tor bestand. Das Bezirks­gericht übertrug die Liq­ui­da­tion der Ver­mö­genswerte dem Konkur­samt des Kan­tons Freiburg, welch­es diese im sum­marischen Konkursver­fahren durchführte.

Gemäss Verteilungsliste blieb nach Befriedi­gung sämtlich­er Gläu­biger ein Liq­ui­da­tion­süber­schuss von über CHF 2 Mil­lio­nen übrig, der unter den Aktionären der aufgelösten Gesellschaft zu verteilen war. Auf­grund der Konkur­sak­ten kam das Konkur­samt zum Schluss, dass die Aktionäre der C SA in Liq­ui­da­tion die A SA und die D AG (even­tu­aliter E, der die Aktien der D AG fiduziarisch hal­ten würde) seien, die zu gle­ichen Teilen je 50 % des Aktienkap­i­tals der aufgelösten Gesellschaft hal­ten würden.

Die A SA teilte dem Konkur­samt jedoch mit, dass der Liq­ui­da­tion­süber­schuss voll­ständig an die D AG zu über­weisen sei, da sie selb­st bere­its Div­i­den­de­nauszahlun­gen in der­sel­ben Höhe erhal­ten habe. Die D AG informierte das Konkur­samt, dass sie ihre Aktien am 27. April 2016 an die B AG über­tra­gen habe, sodass diese nun die Hälfte des Aktienkap­i­tals der C SA hal­ten würde. Daraus leit­ete sie ab, dass der Liq­ui­da­tion­süber­schuss vol­lum­fänglich an die B AG gehen sollte, was die A SA bestritt.

Das Konkur­samt stellte in der Folge fest, dass eine Ungewis­sheit über die Aktionäre der aufgelösten Gesellschaft beste­he, weshalb es am 8. Juli 2019 die Treuhandge­sellschaft F AG damit beauf­tragte, u.a. zu klären, wer die tat­säch­lichen Aktionäre der C SA sind. Aus dem Bericht der Treuhandge­sellschaft vom 11. Jan­u­ar 2021 geht her­vor, dass die Aktionäre der C SA man­gels des in Art. 697l OR vorge­se­henen Verze­ich­niss­es über die wirtschaftlich berechtigten Per­so­n­en nicht ermit­telt wer­den kon­nten. Die Treuhandge­sellschaft emp­fahl daher, den Beteiligten eine Frist anzuset­zen zur Ein­re­ichung eines aktu­al­isierten Verze­ich­niss­es sowie ein­er Bestä­ti­gung, dass das Verze­ich­nis bere­its per 31. Dezem­ber 2015 existiert hatte.
Mit Schreiben vom 26. Jan­u­ar 2021 set­zte das Konkur­samt der B AG entsprechend Frist an und wies diese darauf hin, dass der Liq­ui­da­tion­süber­schuss nicht an sie aus­gezahlt wer­den könne, wenn sie die bei­den Doku­mente innert Frist nicht einreiche.

Daga­gen erhob die B AG SchKG-Beschw­erde und ver­langte im Wesentlichen, dass davon Vormerk zu nehmen sei, dass sie Aktionärin der C SA im Umfang von 50% sei, und dass das Konkur­samt anzuweisen sei, die Auszahlung des gesamten Liq­ui­da­tion­süber­schuss­es an sie vorzunehmen. Mit recht­skräftigem Urteil vom 9. April 2021 hiess das Kan­ton­s­gericht die SchKG-Beschw­erde gut und wies die Sache an das Konkur­samt zurück. Das Kan­ton­s­gericht erwog, dass Art. 697l OR im Zeit­punkt der Auflö­sung der C SA nicht in Kraft war und dass die Zusam­menset­zung des Aktionar­i­ats der C SA einzig mit den Aktien im Orig­i­nal bzw. ein­er beglaubigten Kopie sowie mit ein­er Urkunde, welche die Gültigkeit der Aktienüber­tra­gung gemäss dem Aktionärbindungsver­trag vom 9. Mai 2006 nach­weisen kon­nte, fest­gestellt wer­den konnte.

Daraufhin set­zte das Konkur­samt der B AG und der A SA Frist zur Ein­re­ichung der genan­nten Urkun­den an. Diese kamen dieser Auf­forderung mit Schreiben vom 18. und 20. Mai 2021 nach. Mit Ver­fü­gung vom 28. Mai 2021 stellte das Konkur­samt in der Folge fest, dass die Aktionäre der C SA in Liq­ui­da­tion die A SA und die B AG seien. Daraufhin erstellte es eine neue Abrech­nung über die Verteilung des Liq­ui­da­tion­süber­schuss­es, aus der her­vorg­ing, dass ein Betrag von über CHF 1.6 Mil­lio­nen an die B AG bezahlt wer­den müsse.
Mit E‑Mail vom 2. Juni 2021 ersuchte der Rechtsvertreter der A SA um die Zustel­lung sämtlich­er von der B AG ein­gere­icht­en Unter­la­gen per E‑Mail. Mit Antwort vom 4. Juni 2021 weigerte sich das Konkur­samt, eine Kopie der Unter­la­gen per E‑Mail zu über­mit­teln, und wies darauf hin, dass die Unter­la­gen nach Ter­min­vere­in­barung vor Ort im Konkur­samt einge­se­hen wer­den konnten.

Dage­gen erhob die A SA SchKG-Beschw­erde beim Kan­ton­s­gericht. Sie beantragte, das Konkur­samt sei anzuweisen, ihr eine Kopie sämtlich­er ein­gere­ichter Unter­la­gen zuzustellen, bzw. die D AG anzuweisen, eine beglaubigte Kopie ihrer geprüften Bilanzen für die Geschäft­s­jahre 2014 bis 2017 einzure­ichen, aus denen ihre Beteili­gung an der C SA her­vorge­ht. Zudem sei dem Konkur­samt zu unter­sagen, in der Zwis­chen­zeit den Liq­ui­da­tion­süber­schuss auszuschüt­ten. Mit Entscheid vom 9. August 2021 wies das Kan­ton­s­gericht die Beschw­erde ab, soweit es darauf eintrat.

Gegen diesen Entscheid erhob die A SA Beschw­erde in Zivil­sachen beim Bun­des­gericht. Mit Urteil vom 28. Jan­u­ar 2022 hiess das Bun­des­gericht die Beschw­erde gut, hob den ange­focht­e­nen Entscheid auf und wies die Sache zur Neuentschei­dung im Sinne der bun­des­gerichtlichen Erwä­gun­gen an das Kan­ton­s­gericht zurück.


Liq­ui­da­tionsver­fahren nach Art. 731b OR im Allgemeinen

Das Bun­des­gericht erwog, dass sich vor­liegend einzig die Frage stellte, welche Rolle dem Konkur­samt bei einem Aktivenüber­schuss infolge ein­er Auflö­sung und Liq­ui­da­tion nach Art. 731b OR zukommt (E. 5).

Beim Vor­liegen eines Man­gels kann das Gericht die Gesellschaft auflösen und ihre Liq­ui­da­tion nach den Vorschriften über den Konkurs anord­nen (nArt. 731b Abs. 1bis Ziff. 3 OR; aArt. 731b Abs. 1 Ziff. 3). Die Anord­nung der Auflö­sung auf der Grund­lage von Art. 731b OR führt somit grund­sät­zlich zu einem ordentlichen Konkursver­fahren. Dieses wird jedoch nicht auf­grund eines Konkurs­es durchge­führt, son­dern in Aus­führung eines gerichtlichen Auflö­sungs­beschlusses. Art. 731b OR begrün­det keinen neuen Konkurs­fall. Es liegt somit keine vom Konkursrichter ange­ord­nete Konkurs­eröff­nung vor, die ins­beson­dere in Anwen­dung von Art. 195 SchKG wider­rufen wer­den kön­nte. Der gerichtliche Auflö­sungs­beschluss ist nur funk­tion­al mit ein­er Konkurs­eröff­nung ver­gle­ich­bar. Das vom Geset­zge­ber ver­fol­gte Ziel ist ein Sys­tem, in dem die Gesellschaft unter der Kon­trolle der staatlichen Behörde liq­ui­diert wird, ohne jedoch alle Bes­tim­mungen des SchKG anzuwen­den, da deren Recht­fer­ti­gung haupt­säch­lich der Über­schul­dung oder Zahlung­sun­fähigkeit der betrof­fe­nen Gesellschaft liegt. Diese Umstände sind jedoch in den von Art. 731b OR erfassten Fällen nicht zwin­gend gegeben. Die Regeln des Konkurs­es sind daher nur sin­ngemäss anwend­bar, wobei das Bun­des­gericht die umstrit­tene Frage offen­liess, ob nur Art. 221 ff. SchKG im Liq­ui­da­tionsver­fahren nach Art. 731b OR sin­ngemäss anwend­bar sind (E. 5.1.1).


Rolle des Konkur­samtes bei der Verteilung eines Aktivenüber­schuss­es im Anschluss eines Liq­ui­da­tionsver­fahrens nach Art. 731b OR

Das Konkur­samt ist für die Durch­führung des Konkursver­fahrens unter Auf­sicht der SchKG-Auf­sichts­be­hörde zuständig. Diese Zuständigkeit ergibt sich aus der Tat­sache, dass die Vorschriften über den Konkurs ana­log anwend­bar sind und das Konkursver­fahren gemäss SchKG vom Konkur­samt durchge­führt wird (Art. 221 ff. SchKG). Wird der Konkurs im ordentlichen Ver­fahren durchge­führt, kön­nen die Gläu­biger auch eine beson­dere Konkursver­wal­tung und/oder einen Gläu­big­er­auss­chuss ernen­nen. Das Konkurs­gericht bleibt nach Auflö­sung der Gesellschaft für alle Entschei­dun­gen während des Konkursver­fahrens zuständig, die diesem vom Gesetz zugewiesen wer­den, mit Aus­nahme des Wider­rufs des Konkurs­es, da dieser nie eröffnet wurde. Ins­beson­dere obliegt es dem Konkurs­gericht, den Schluss des Ver­fahrens zu erk­lären, nach­dem es fest­gestellt hat, dass die Liq­ui­da­tion abgeschlossen ist (Art. 268 SchKG), woraufhin das Konkur­samt den Schluss des Ver­fahrens öffentlich bekan­nt macht (E. 5.1.2).

Ergibt sich aus dem Liq­ui­da­tionsver­fahren ein Aktivenüber­schuss, muss das Konkur­samt diesen zur Deck­ung der seit Beginn des Ver­fahrens aufge­laufe­nen Zin­sen der Forderun­gen der Kol­loka­tion­s­gläu­biger ver­wen­den. Ist dann noch ein Über­schuss vorhan­den, muss dieser wie bei jedem anderen Konkurs dem Schuld­ner, d.h. den Gesellschaft­sor­ga­nen, zurück­gegeben wer­den, wobei die Gesellschaft­sor­gane damit das Ver­fü­gungsrecht über dieses Ver­mö­gen zurück­er­hal­ten. Sofern die Statuten nichts anderes vorse­hen, muss der Über­schuss unter den Gesellschaftern (d.h. unter den Aktionären bzw. anderen Beteiligten je nach Art der Gesellschaft und der geze­ich­neten Papiere) verteilt wer­den. Diese Zuständigkeit obliegt man­gels geset­zlich­er Grund­lage den Gesellschaft­sor­ga­nen und nicht dem Konkur­samt. Sind keine Organe vorhan­den, muss das Konkur­samt den Über­schuss bei der Deposi­te­nanstalt hin­ter­legen (Art. 9, 24 und 264 Abs. 3 SchKG ana­log) (E. 5.1.3).

Das Bun­des­gericht erwog im vor­liegen­den Fall, dass das Konkur­samt nicht befugt war, den Aktivenüber­schuss unter den Aktionären der aufgelösten Gesellschaft zu verteilen, geschweige denn den Sachver­halt zu unter­suchen und über die Zusam­menset­zung des Aktionar­i­ats zu entschei­den. Das Konkur­samt hätte den Über­schuss an das für die Verteilung zuständi­ge Organ übergeben oder, falls dies nicht möglich war, diesen bei der Deposi­te­nanstalt hin­ter­legen müssen. Da aus dem Sachver­halt des ange­focht­e­nen Entschei­ds wed­er die Exis­tenz noch die Zuständigkeit eines Organs her­vorge­ht, das für die Verteilung zuständig wäre – ins­beson­dere da der Man­gel, der zur Auflö­sung geführt hat, nicht bekan­nt war (wobei unklar ist, wie fol­gende Aus­führun­gen des Bun­des­gerichts unter Sachver­halt zu werten sind : «Par déci­sion du 31 mai 2016, prenant acte d’une sit­u­a­tion con­flictuelle entre les action­naires et le liq­ui­da­teur qu’il avait précédem­ment nom­mé, …») – wies das Bun­des­gericht die Sache ans Kan­ton­s­gericht zur Neuentschei­dung im Sinne der Erwä­gun­gen zurück (E. 5.2).