6B_210/2021: Beweisverwertungsverbot bei verdeckter Ermittlung (amtl. Publ.)

Im Urteil 6B_210/2021 vom 24. März 2022 entsch­ied das Bun­des­gericht über einen Fall verdeck­ter Ermit­tlung, nach­dem einem Beschuldigten vorge­wor­fen wor­den war, seine Ehe­frau mit ein­er Schuss­waffe getötet zu haben. Während der mehrere Jahre dauern­den Stra­fun­ter­suchung stritt der Beschuldigte den Mord an sein­er Frau stets ab. Im Laufe ein­er daraufhin einge­set­zten verdeck­ten Ermit­tlung ges­tand der aber­gläu­bis­che Beschuldigte einem verdeck­ten Ermit­tler den Mord im Anschluss an eine Sitzung bei ein­er eben­falls als verdeck­te Ermit­t­lerin einge­set­zten Wahrsagerin, die mas­siv auf den Beschuldigten eingewirkt hat­te. Im Raum stand jedoch die Frage der Ver­w­ert­barkeit dieses Geständ­niss­es. Nach­dem der Beschuldigte erstin­stan­zlich zu 14 Jahren Haft verurteilt wor­den war, sprach ihn das Oberg­ericht vom Vor­wurf des Mordes frei, woge­gen die Ober­staat­san­waltschaft Beschw­erde vor Bun­des­gericht führte.

Verdeck­te Ermit­tlung liegt vor, wenn Ange­hörige der Polizei oder Per­so­n­en, die vorüberge­hend für polizeiliche Auf­gaben angestellt sind, unter Ver­wen­dung ein­er durch Urkun­den abgesicherten falschen Iden­tität, ein­er Leg­ende, durch täuschen­des Ver­hal­ten zu Per­so­n­en Kon­tak­te knüpfen mit dem Ziel, ein Ver­trauensver­hält­nis aufzubauen und in ein krim­inelles Umfeld einzu­drin­gen, um beson­ders schwere Straftat­en aufzuk­lären (Art. 285a StPO). Mit dem Kri­teri­um des Ein­drin­gens in ein krim­inelles Umfeld wird auf das Hauptein­satzge­bi­et der verdeck­ten Ermit­tlung, die organ­isierte Krim­i­nal­ität, ver­wiesen. Die verdeck­te Ermit­tlung ist aber auch ausser­halb dieses Bere­ichs und bezo­gen auf einen Einzeltäter als Zielper­son möglich und zuläs­sig (E. 2.1.1).

Der verdeck­ten Ermit­tlung sind indes Gren­zen geset­zt, wenn der Beschuldigte im Ver­fahren von seinem Aus­sagev­er­weigerungsrecht Gebrauch gemacht hat. Die verdeck­te Ermit­tlung darf nicht zu ein­er Umge­hung dieses Rechts führen, die dann vor­liegt, wenn der verdeck­te Ermit­tler unter Aus­nützung des geschaf­fe­nen Ver­trauensver­hält­niss­es in ein­er vernehmungsähn­lichen Weise dem Beschuldigten Fra­gen unter­bre­it­et, die diesem bei der Ein­ver­nahme gestellt wur­den oder hät­ten gestellt wer­den sollen, und ihn zur Aus­sage drängt. Keine Umge­hung des Aus­sagev­er­weigerungsrechts liegt dage­gen vor, wenn der verdeck­te Ermit­tler lediglich Äusserun­gen des Beschuldigten zur Ken­nt­nis nimmt, die dieser von sich aus, ohne vom verdeck­ten Ermit­tler dazu gedrängt wor­den zu sein, gemacht hat. Der Beschuldigte ist nicht davor geschützt, dass Äusserun­gen, die er aus eigen­er Ini­tia­tive tätigt, von Drit­ten wahrgenom­men wer­den und deshalb Ein­gang ins Strafver­fahren find­en (E. 2.5.2).

Hat der Beschuldigte im Ermit­tlungsver­fahren die Aus­sage nicht ver­weigert, son­dern Angaben zu den gegen ihn gerichteten Vor­wür­fen gemacht und diese bestrit­ten, kann die Recht­slage keine andere sein. Der Beschuldigte hat das Recht, nicht zu sein­er eige­nen Verurteilung beitra­gen zu müssen. Fol­glich schützt das Selb­st­be­las­tung­spriv­i­leg nicht nur die Frei­heit zu entschei­den, ob er gegenüber den Straf­be­hör­den Aus­sagen machen will, son­dern prinzip­iell auch, was er allen­falls aus­sagen will. Für den Beschuldigten beste­ht somit grund­sät­zlich keine Wahrheit­spflicht und ein­fache Lügen des Beschuldigten bleiben ohne direk­te strafrechtliche Kon­se­quenz. Hat sich der Beschuldigte entsch­ieden, gegenüber den Ermit­tlungs­be­hör­den die Vor­würfe zu bestre­it­en (und damit wom­öglich zu lügen), darf diese Frei­heit nicht umgan­gen und auf dem Weg verdeck­ter Ermit­tlun­gen ver­sucht wer­den, ihn zu gegen­läu­fi­gen, belas­ten­den Aus­sagen zu nöti­gen. Ein solch­es Vorge­hen stellt, sofern der verdeck­te Ermit­tler eine vernehmungsähn­liche Sit­u­a­tion schafft, eine Umge­hung der Selb­st­be­las­tungs­frei­heit dar, auch wenn sich der Beschuldigte zuvor nicht aus­drück­lich auf sein Aus­sagev­er­weigerungsrecht berufen hat (E. 2.5.3).

Gemäss Art. 140 Abs. 1 StPO sind Zwangsmit­tel, Gewal­tan­wen­dung, Dro­hun­gen, Ver­sprechun­gen, Täuschun­gen und Mit­tel, welche die Denk­fähigkeit oder die Wil­lens­frei­heit ein­er Per­son beein­trächti­gen kön­nen, bei der Beweis­er­he­bung unter­sagt. Solche Meth­o­d­en sind auch dann unzuläs­sig, wenn die betrof­fene Per­son ihrer Anwen­dung zus­timmt (Art. 140 Abs. 2 StPO). Beweise, die in Ver­let­zung dieser Bes­tim­mung erhoben wur­den, sind in keinem Fall ver­w­ert­bar (Art. 141 Abs. 1 StPO).

Das Mass der zuläs­si­gen Ein­wirkung von verdeck­ten Ermit­tlern ist in Art. 293 StPO geregelt. Verdeck­te Ermit­tler dür­fen keine all­ge­meine Tat­bere­itschaft weck­en und die Tat­bere­itschaft nicht auf schw­erere Straftat­en lenken. Sie haben sich auf die Konkretisierung eines vorhan­de­nen Tatentschlusses zu beschränken. Ihre Tätigkeit darf für den Entschluss zu ein­er konkreten Straftat nur von unter­ge­ord­neter Bedeu­tung sein (Art. 293 Abs. 1 und 2 StPO). Über­schre­it­et ein verdeck­ter Ermit­tler das Mass der zuläs­si­gen Ein­wirkung, so ist dies nach Art. 293 Abs. 4 StPO bei der Zumes­sung der Strafe für die bee­in­flusste Per­son gebührend zu berück­sichti­gen oder es ist von ein­er Strafe abzuse­hen. Davon ist etwa auszuge­hen, wo ein verdeck­ter Ermit­tler in ein krim­inelles Milieu eingeschleust wird und dort auf den Tatentschluss der Zielper­son ein­wirkt, um (erst noch bevorste­hende) Straftat­en aufzudeck­en. Fraglich ist jedoch, ob dieses Prinzip auch Gel­tung beanspruchen kann, wenn der Ermit­tler zum Zweck der verdeck­ten Erlan­gung selb­st­be­las­ten­der Aus­sagen über bere­its stattge­fun­dene Straftat­en auf eine beschuldigte Per­son ange­set­zt wird (E. 2.8.2).

Gegen die Anwend­barkeit von Art. 293 Abs. 4 StPO auf das heim­liche Aushorchen eines Beschuldigten über ver­gan­gene Straftat­en spricht der hohe Stel­len­wert der Selb­st­be­las­tungs­frei­heit im Straf­prozess. Das Bun­des­gericht betont in diesem Rah­men, dass das Ver­bot des Zwangs zur Selb­st­be­las­tung abso­lut gilt und Ver­stösse die Unver­w­ert­barkeit des betrof­fe­nen Beweis­mit­tels zur Folge haben (E. 2.8.5). Es hielt fest, dass auch bei ein­er verdeck­ten Ermit­tlung die Ver­w­ert­barkeit eines Beweis­mit­tels voraus­set­zt, dass die Vor­gaben von Art. 140 StPO einge­hal­ten wer­den. Kamen insofern ver­bote­nen Beweis­er­he­bungsmeth­o­d­en zur Anwen­dung bzw. wurde das Selb­st­be­las­tung­spriv­i­leg ver­let­zt, ist auch bei ein­er verdeck­ten Ermit­tlung Art. 141 Abs. 1 StPO mass­ge­blich und es greift ein absolutes Ver­w­er­tungsver­bot (E. 2.8.8.).

Indem das vor­liegende Geständ­nis des Beschuldigten nicht aus eigen­er Ini­tia­tive und freien Stück­en erfol­gte, son­dern aus ein­er von den verdeck­ten Ermit­tlern geschickt aufge­baut­en inneren Zwangslage, sukzes­sive genährten Angst und stetig inten­sivierten Druck­si­t­u­a­tion resul­tierte, wurde das Aus­sagev­er­weigerungsrecht des Beschuldigten unter­laufen. Das Bun­des­gericht betra­chtete die Vorge­hensweise der verdeck­ten Ermit­tler mit dem Fair­ness­ge­bot deshalb als nicht vere­in­bar und stufte die Ermit­tlung als ver­botene Beweis­er­he­bungsmeth­ode im Sinne von Art. 140 Abs. 1 StPO ein. Das aus der verdeck­ten Ermit­tlung her­vorge­gan­gene Geständ­nis des Beschuldigten war damit unver­w­ert­bar im Sinne von Art. 141 Abs. 1 StPO (E. 2.9).