6B_1360/2021: Rassendiskriminierung auf Facebook (amtl. Publ.)

Im Urteil 6B_1360/2021 vom 7. April 2022 entsch­ied das Bun­des­gericht über einen Fall von Rassendiskri­m­inierung. Die Staat­san­waltschaft hat­te die Verurteilung eines Face­book-Kon­toin­hab­ers wegen Diskri­m­inierung und Aufruf zu Hass (Art. 261bis StGB) beantragt, nach­dem Dritte auf dessen “Pin­nwand” ras­sis­tis­che Kom­mentare gepostet hatten.

Der Beschuldigte in diesem Fall war eine in der Poli­tik aktive Per­sön­lichkeit, die auf ihrem öffentlich zugänglichen Face­book-Pro­fil einen Zeitungsar­tikel pub­liziert hat­te, auf die in unangemessen­er Weise reagiert wor­den war. Eine Vere­ini­gung erhob in diesem Zusam­men­hang Anzeige. Mehrere Per­so­n­en wur­den von der Polizei als Urhe­ber der fraglichen Beiträge iden­ti­fiziert und wegen Rassendiskri­m­inierung bestraft. Dem Inhab­er des Face­book-Pro­fils warf die Staat­san­waltschaft vor, sich wegen Rassendiskri­m­inierung straf­bar gemacht zu haben, weil er die Kom­mentare Drit­ter auf der virtuellen Pin­nwand seines Kon­tos nicht gelöscht hat­te, mit denen zu Hass und Gewalt gegenüber ein­er Per­so­n­en­gruppe auf­grund ihrer Reli­gion aufgerufen wor­den war (E. 3.1).

Gemäss Art. 261bis StGB wird wegen Diskri­m­inierung und Aufruf zu Hass mit Frei­heitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geld­strafe bestraft, wer öffentlich gegen eine Per­son oder eine Gruppe von Per­so­n­en wegen ihrer Rasse, Eth­nie, Reli­gion oder sex­uellen Ori­en­tierung zu Hass oder zu Diskri­m­inierung aufruft, wer öffentlich Ide­olo­gien ver­bre­it­et, die auf die sys­tem­a­tis­che Her­ab­set­zung oder Ver­leum­dung dieser Per­so­n­en oder Per­so­n­en­grup­pen gerichtet sind, wer mit dem gle­ichen Ziel Pro­pa­gan­daak­tio­nen organ­isiert, fördert oder daran teil­nimmt, wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebär­den, Tätlichkeit­en oder in ander­er Weise eine Per­son oder eine Gruppe von Per­so­n­en wegen ihrer Rasse, Eth­nie, Reli­gion oder sex­uellen Ori­en­tierung in ein­er gegen die Men­schen­würde ver­stossenden Weise her­ab­set­zt oder diskri­m­iniert oder aus einem dieser Gründe Völ­kermord oder andere Ver­brechen gegen die Men­schlichkeit leugnet, gröblich ver­harm­lost oder zu recht­fer­ti­gen sucht, wer eine von ihm ange­botene Leis­tung, die für die All­ge­mein­heit be­stimmt ist, ein­er Per­son oder ein­er Gruppe von Per­so­n­en wegen ihrer Rasse, Eth­nie, Reli­gion oder sex­uellen Ori­en­tierung verweigert.

Das gel­tende Schweiz­er Recht enthält keine Norm, die spez­i­fisch die strafrechtliche Ver­ant­wortlichkeit von Inter­net­di­en­stleis­tern wie Face­book oder der Nutzer dieser Net­zw­erke regelt. Die Staat­san­waltschaft machte jedoch gel­tend, dass sich die strafrechtliche Ver­ant­wortlichkeit des Kon­toin­hab­ers aus den beste­hen­den Grund­sätzen des Strafrechts ergebe (E. 3.3.1).

Das Bun­des­gericht stellte zunächst fest, dass der Betrof­fene seine Face­book-Seite als Diskus­sions­fo­rum betrieb. Indem der Kon­toin­hab­er seine Pin­nwand öffentlich gemacht und poli­tis­che The­men ange­sprochen hat­te, die darüber hin­aus heikel und anfäl­lig für Unsach­lichkeit waren, habe er ein Risiko für die Hin­ter­legung rechtswidriger Beiträge geschaf­fen. Diese Gefahr über­steige das gesellschaftlich Erlaubte allerd­ings nur dann, wenn der Betrof­fene Ken­nt­nis vom Inhalt der prob­lema­tis­chen Inhalte hat­te, die sein­er Pin­nwand hinzuge­fügt wur­den. Bis zur Eröff­nung des Strafver­fahrens wusste der Kon­toin­hab­er indessen nicht, dass dort rechtswidrige Inhalte Drit­ter zu find­en waren (E. 3.3).

Dem Inhab­er des Face­book-Pro­fils kon­nte im Übri­gen auch nicht vorge­wor­fen wer­den, in straf­bar­er Weise pflichtwidrig untätig geblieben zu sein (Art. 11 StGB), indem er seine Pin­nwand nicht betreut hat­te (E. 3.5.1). Eine solche Pflicht zur Überwachung und Betreu­ung eines Social-Media-Kon­tos durch den entsprechen­den Kon­toin­hab­er kann auch nicht von den dies­bezüglich von der Staat­san­waltschaft gel­tend gemacht­en Kri­te­rien abhängig gemacht wer­den, namentlich der Brisanz der fraglichen The­men, dem Kreis der poten­tiellen Empfänger der Beiträge oder der Anzahl und der Auf­fäl­ligkeit der Kom­mentare, die als Reak­tion auf den ursprünglichen Beitrag gepostet wur­den (E. 3.5.4). Eine entsprechende Überwachungspflicht würde gän­zlich auf ein­er heiklen, schw­er vorherse­hbaren und offenkundig sub­jek­tiv­en Beurteilung beruhen. Daraus ergäbe sich überdies eine nahezu per­ma­nente, umfassende und damit äusserst weit­ge­hende Sorgfalt­spflicht (E. 3.5.6). Da keine geset­zliche Norm dies aus­drück­lich vor­sieht, würde das Legal­ität­sprinzip (Art. 1 StGB) dadurch ver­let­zt (E. 3.5.4). In diesem Sinne sprach das Bun­des­gericht den beschuldigten Inhab­er des Face­book-Kon­tos frei (E. 3.7).