1B_387/2021: Erkennungsdienstliche Erfassung / DNA-Analyse

Im Urteil 1B_387/2021 vom 19. Mai 2022 befasste sich das Bun­des­gericht mit der Zwangs­mass­nahme der erken­nungs­di­en­stlichen Erfas­sung. Hin­ter­grund waren mehrere Stra­fun­ter­suchun­gen gegen einen Aktivis­ten betr­e­f­fend Straftat­en bei Kundge­bun­gen. Der Beschuldigte war anlässlich sein­er Ein­ver­nahme erken­nungs­di­en­stlich behan­delt wor­den, wobei ihm ein Wan­gen­schleimhautab­strich (WSA) abgenom­men wurde. Am gle­ichen Tag ver­fügte die Staat­san­waltschaft zudem die Erstel­lung eines DNA-Pro­fils (DNA-Analyse). Dage­gen erhob der Beschuldigte Beschwerde.

Bei der erken­nungs­di­en­stlichen Erfas­sung im Sinne von Art. 260 StPO wer­den die Kör­per­me­rk­male ein­er Per­son fest­gestellt und Abdrücke von Kör­perteilen genom­men. Zweck dieser Zwangs­mass­nahme, die auch für Übertre­tun­gen ange­ord­net wer­den kann, ist die Abklärung des Sachver­halts, worunter ins­beson­dere die Fest­stel­lung der Iden­tität ein­er Per­son fällt. Erken­nungs­di­en­stliche Mass­nah­men kön­nen das Recht auf per­sön­liche Frei­heit bzw. kör­per­liche Integrität (Art. 10 Abs. 2 BV) und auf infor­ma­tionelle Selb­st­bes­tim­mung tang­ieren (Art. 13 Abs. 2 BV). Ein­schränkun­gen dieser Grun­drechte bedür­fen daher nicht nur ein­er geset­zlichen Grund­lage, son­dern müssen auch durch ein öffentlich­es Inter­esse gerecht­fer­tigt und ver­hält­nis­mäs­sig sein (Art. 36 Abs. 2 und 3 BV). Dies wird in Art. 197 Abs. 1 StPO präzisiert. Danach kön­nen Zwangs­mass­nah­men nur ergrif­f­en wer­den, wenn ein hin­re­ichen­der Tatver­dacht vor­liegt (lit. b), die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Mass­nah­men erre­icht wer­den kön­nen (lit. c) und die Bedeu­tung der Straftat die Zwangs­mass­nahme recht­fer­tigt (lit. d).

Gemäss bun­des­gerichtlich­er Recht­sprechung kann die erken­nungs­di­en­stliche Erfas­sung aber auch zuläs­sig sein, wenn sie nicht für die Aufk­lärung der Straftat­en erforder­lich ist, der­er eine Per­son im hängi­gen Strafver­fahren beschuldigt wird, jedoch erhe­bliche und konkrete Anhalt­spunk­te dafür beste­hen, dass die beschuldigte Per­son in andere Delik­te von gewiss­er Schwere ver­wick­elt sein kön­nte. Zu berück­sichti­gen ist im Rah­men ein­er gesamthaften Ver­hält­nis­mäs­sigkeit­sprü­fung auch, ob der Beschuldigte vorbe­straft ist. Trifft dies nicht zu, schliesst das die erken­nungs­di­en­stliche Erfas­sung jedoch nicht aus, son­dern es fliesst als eines von vie­len Kri­te­rien in die Gesamtab­wä­gung ein und ist entsprechend zu gewicht­en (E. 3.1)

Zur Aufk­lärung eines Ver­brechens oder Verge­hens kann von der beschuldigten Per­son eine Probe genom­men und ein DNA-Pro­fil erstellt wer­den (Art. 255 Abs. 1 lit. a StPO). Dies gilt auch für andere Per­so­n­en, ins­beson­dere Opfer oder Tatort­berechtigte, soweit es notwendig ist, um von ihnen stam­mendes biol­o­gis­ches Mate­r­i­al von jen­em der beschuldigten Per­son zu unter­schei­den (Art. 255 Abs. 1 lit. b StPO). Ein solch­es Vorge­hen ist nicht nur möglich zur Aufk­lärung bere­its began­gener und den Strafver­fol­gungs­be­hör­den bekan­nter Delik­te, deren die beschuldigte Per­son verdächtigt wird.

Wie aus Art. 259 StPO in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 lit. a DNA-Pro­fil-Gesetz klar­er her­vorge­ht, soll die Erstel­lung eines DNA-Pro­fils auch erlauben, Täter von schw­eren Delik­ten zu iden­ti­fizieren, die den Strafver­fol­gungs­be­hör­den noch unbekan­nt sind. Dabei kann es sich um ver­gan­gene oder kün­ftige Delik­te han­deln. Das DNA-Pro­fil kann so Irrtümer bei der Iden­ti­fika­tion ein­er Per­son und die Verdäch­ti­gung Unschuldiger ver­hin­dern. Es wirkt zudem präven­tiv und kann damit zum Schutz Drit­ter beitra­gen. Auch hin­sichtlich der­ar­tiger Straftat­en bildet Art. 255 Abs. 1 StPO eine geset­zliche Grund­lage für die DNA-Probe­nahme und ‑Pro­fil­er­stel­lung. Das dazu Aus­ge­führte gilt gle­icher­massen für die erken­nungs­di­en­stliche Erfas­sung gemäss Art. 260 Abs. 1 StPO, mit dem Unter­schied, dass diese auch für Übertre­tun­gen ange­ord­net wer­den kann. Art. 260 Abs. 1 StPO erlaubt indessen eben­sowenig wie Art. 255 Abs. 1 StPO eine rou­tinemäs­sige erken­nungs­di­en­stliche Erfas­sung (E. 3.2).

Das Bun­des­gericht bestätigte im vor­liegen­den Fall, dass erhe­bliche und konkrete Anhalt­spunk­te dafür bestanden, dass der Beschuldigte in andere, auch kün­ftige Delik­te von erhe­blich­er Schwere ver­wick­elt sein kön­nte. Der Beschuldigte sei bei den teil­weise erhe­blich gewalt­täti­gen Demon­stra­tio­nen nicht auss­chliesslich als Mitläufer, son­dern teil­weise in organ­isieren­der Funk­tion aufge­treten (E. 4.4). Fol­glich seien seine Fin­ger­ab­drücke und die (nicht inva­sive) DNA-Probe nicht rou­tinemäs­sig erhoben wor­den. Das gle­iche gelte für die ange­ord­nete DNA-Analyse. Vielmehr habe begrün­de­ter Anlass für die Annahme bestanden, dass der Beschuldigte an weit­eren ille­galen Aktio­nen ähn­lich­er Art teil­nehmen kön­nte (oder teilgenom­men habe) und dass mit weit­eren schw­eren Verge­hen (wie Hin­derung ein­er Amt­shand­lung, Gewalt und Dro­hung gegen Behör­den und Beamte, Land­friedens­bruch, Störung des öffentlichen Verkehrs usw.) zu rech­nen gewe­sen sei. Insofern wurde er — gegenüber der grossen Masse der deut­lich unauf­fäl­ligeren Demon­stra­tionsteil­nehmenden — auch nicht “diskri­m­iniert” oder recht­sun­gle­ich behan­delt (E. 4.4). Insofern wies das Bun­des­gericht die Beschw­erde ab (E. 5).