6B_684/2021: Formungültigkeit des Strafbefehls (amtl. Publ.)

Im Urteil 6B_684/2021 vom 22. Juni 2022 fällte das Bun­des­gericht einen Grund­satzentscheid zu den formellen Voraus­set­zun­gen des Straf­be­fehls. Anlass dazu gab die Aus­fer­ti­gung eines Straf­be­fehls wegen grober Ver­let­zung der Verkehrsregeln, der stattdessen ein­er hand­schriftlichen Sig­natur bloss einen Fak­sim­i­le-Stem­pel aufwies, weshalb nach Ansicht des Beschw­erde­führers die Urhe­ber­schaft des Straf­be­fehls unklar und unbe­wiesen sei.

Der Straf­be­fehl enthält nach Art. 353 Abs. 1 lit. k StPO die Unter­schrift der ausstel­len­den Per­son (E. 1.3). Im Sinne des Geset­zes ver­langt auch das Bun­des­gericht eine Unterze­ich­nung durch die zuständi­ge Per­son, weshalb wed­er die Sig­natur durch eine Assis­ten­zs­taat­san­wältin noch die Del­e­ga­tion ein­er Sig­natur (i.V.) zuläs­sig ist. Aussteller und Unterze­ich­n­er des Straf­be­fehls müssen dabei iden­tisch sein (E. 1.3.3). Zwar spricht nichts dage­gen, dass der Entwurf eines Straf­be­fehls von einem Mitar­beit­er des Staat­san­waltes vor­bere­it­et wird, dieser muss dann aber vom Staat­san­walt aus­gestellt und unterze­ich­net wer­den. Das umgekehrte Vorge­hen und Anbrin­gen eines Fak­sim­i­le-Stem­pels statt der hand­schriftlichen Unter­schrift bietet laut Bun­des­gericht keine aus­re­ichende Gewähr dafür, dass der aus­ge­fer­tigte Entscheid inhaltlich und formell mit jen­em übere­in­stimmt, der vom Staat­san­walt gefasst wor­den ist. Solch­es ver­mag einzig die eigen­händi­ge Unter­schrift zu bestäti­gen (E. 1.4.1).

Ein Straf­be­fehl, der anstatt mit ein­er durch die ausstel­lende Per­son eigen­händig anzubrin­gen­den Unter­schrift durch das Kan­zleiper­son­al mit einem Fak­sim­i­le-Stem­pel verse­hen wird, ist aber nicht nichtig. Angesichts des Grund­satzes der Gültigkeit von Ver­fahren­shand­lun­gen ist Nichtigkeit nur nur bei krass fehler­haften Ver­fahren­shand­lun­gen anzunehmen. Nach der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung sind fehler­hafte Entschei­de im Sinne der Evi­den­zthe­o­rie nichtig, wenn sie mit einem tief­greifend­en und wesentlichen Man­gel behaftet sind, wenn dieser schw­er­wiegende Man­gel offen­sichtlich oder zumin­d­est leicht erkennbar ist und die Rechtssicher­heit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ern­sthaft gefährdet wird (E. 1.4.2).

Der vor­liegend zu beurteilende Man­gel erwies sich nicht als der­art schw­er­wiegend, als dass angesichts der beson­deren Bedeu­tung der Rechtssicher­heit im Strafrecht gerecht­fer­tigt wäre, dem fraglichen Straf­be­fehl jegliche Rechtswirkung abzus­prechen, wodurch es an einem gülti­gen Anfech­tung­sob­jekt fehlen würde. Dementsprechend war Nichtigkeit nach der Evi­den­zthe­o­rie auch vor­liegend nicht anzunehmen (E. 1.4.2).

Gemäss Art. 356 Abs. 2 StPO entschei­det das erstin­stan­zliche Gericht über die Gültigkeit des Straf­be­fehls und der Ein­sprache. Lei­det der Straf­be­fehl an Män­geln for­maler Natur, ist er ungültig. Das Gericht hebt einen ungülti­gen Straf­be­fehl auf und weist den Fall grund­sät­zlich zur Durch­führung eines neuen Vorver­fahrens an die Staat­san­waltschaft zurück (Art. 356 Abs. 5 StPO). Dies gilt auch für Straf­be­fehle, die man­gels (eigen­händi­ger) Unter­schrift ungültig sind. Der Erlass eines gülti­gen Straf­be­fehls bildet mithin die Voraus­set­zung der materiellen Beurteilung der Rechtssache durch das Gericht. Die Über­weisung an das Gericht erset­zt damit wed­er den Straf­be­fehl, noch heilt sie den For­m­man­gel (E. 1.5.1). Dies muss zumin­d­est dann gel­ten, wenn auf die eigen­händi­ge Unter­schrift des Straf­be­fehls bewusst im Sinne ein­er eigentlichen Prax­is verzichtet wurde. Demge­genüber lässt das Bun­des­gericht aber eine Heilung dieses Man­gels wiederum dann zu, wenn auf die (eigen­händi­ge) Unter­schrift nicht bewusst verzichtet wurde, son­dern diese verse­hentlich unterblieben ist und damit die Nichtein­hal­tung des Gültigkeit­ser­forderniss­es nicht auf ein­er eigentlichen Prax­is beruht. Unter dieser Prämisse könne gemäss Bun­des­gericht davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass eine kor­rekt unterze­ich­nete Über­weisungsver­fü­gung den Man­gel ein­er auf dem Straf­be­fehl fehlen­den eigen­händi­gen Unter­schrift zu heilen ver­mag (E. 1.5.2).

In diesem Sinne hiess das Bun­des­gericht die vor­liegende Beschw­erde gut, da die fehlende eigen­händi­ge Unter­schrift der zuständi­gen Staat­san­wältin nach­weis­lich nicht auf einem Verse­hen beruhte und der Straf­be­fehl somit ungültig war (E. 1.5.3).