4A_64/2022: Ausdehnung einer Schiedsklausel auf einen Dritten (nach französischem Recht)

Im Entscheid 4A_64/2022 vom 18. Juli 2022 befasste sich das Bun­des­gericht mit der Frage, unter welchen Voraus­set­zun­gen eine Schied­sklausel auf einen Drit­ten aus­gedehnt wer­den kann.

2014 schloss A. (eine franzö­sis­che Gesellschaft) mit B. und D. ein sog. «Con­sor­tium Agree­ment» ab, um die Voraus­set­zun­gen der Teil­nahme von B. und D. an der von A. durchge­führten X. Chal­lenge zu regeln. Das Con­sor­tium Agree­ment unter­stand franzö­sis­chem Recht und sah eine Schied­sklausel mit Sitz des Schieds­gerichts in Genf vor. Weit­er sah Art. 9 des Con­sor­tium Agree­ment vor, dass die Teil­nehmer die IP-Rechte, die sie im Zusam­men­hang mit der X. Chal­lenge entwick­el­ten, während eines bes­timmten Zeitraums nach der Beendi­gung des Con­sor­tium Agree­ment in einem bes­tim­men Indus­triebere­ich nicht ver­wen­den durften. Im Sep­tem­ber 2016 grün­dete B. mit ver­schiede­nen weit­eren Per­so­n­en die Schweiz­er Gesellschaft C. B. und C. schlossen am 3. April 2017 einen Lizen­zver­trag, mit dem unter anderem die X. Chal­lenge IP-Rechte über­tra­gen wer­den soll­ten. Im Juni 2017, drei Monate nach der X. Chal­lenge, endete das Con­sor­tium Agree­ment vereinbarungsgemäss.

Im Sep­tem­ber 2019 sah ein Vertreter der A. auf einem Kongress einen Film, in dem das Pro­dukt der C. gezeigt wurde. Das Pro­dukt ähnelte gemäss A. dem Pro­dukt, den B. bei der X. Chal­lenge vorgestellt hat­te. A. leit­ete ein Schiedsver­fahren gegen B. und C. ein und beantragte eine Entschädi­gung auf­grund der behaupteten Ver­let­zung von Art. 9 des Con­sor­tium Agree­ment. Die Beklagten erhoben die Unzuständigkeit­seinrede des Schieds­gerichts gegenüber C. Das Schieds­gericht erk­lärte sich daraufhin für unzuständig, sowohl nach franzö­sis­chem Recht (d.h. der lex causae) als auch nach Schweiz­er Recht (Art. 178 Abs. 2 IPRG i.f.).

Gegen diesen Entscheid erhob A. u.a. gestützt auf Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG Beschw­erde an das Bun­des­gericht, wobei sich ihre Aus­führun­gen nur noch auf die Frage der Zuständigkeit nach franzö­sis­chem Recht bezo­gen. Vor Bun­des­gericht stellte sich fol­glich die Frage, ob das franzö­sis­che Recht die Aus­dehnung der Schied­sklausel auf C. ermöglichte.

Das Bun­des­gericht führte zunächst aus, dass diese Frage die Zuständigkeit ratione per­son­ae betraf. Nach dem Grund­satz der Rel­a­tiv­ität ver­traglich­er Verpflich­tun­gen bindet eine Schied­sklausel in einem Schuld­ver­trag grund­sät­zlich nur die Ver­tragsparteien. Allerd­ings bejaht das Bun­des­gericht seit langem, dass eine Schied­sklausel unter gewis­sen Voraus­set­zun­gen auch Per­so­n­en binden kann, die den Ver­trag nicht unterze­ich­net haben und darin auch nicht erwäh­nt wer­den, wie etwa bei der Abtre­tung ein­er Forderung, bei ein­er (ein­fachen oder kumu­la­tiv­en) Schuldüber­nahme oder bei ein­er Ver­tragsüber­nahme. Auch bei einem Drit­ten, der sich in den Vol­lzug eines Ver­trags mit ein­er Schied­sklausel ein­mis­cht, wird angenom­men, er habe der Schied­sklausel durch kon­klu­dentes Han­deln zuges­timmt, wenn aus dieser Ein­mis­chung sein Wille, Partei der Vere­in­barung zu wer­den, abgeleit­et wer­den kann. Dies kann jedoch nicht leichthin angenom­men wer­den. Denn die Parteien wür­den mit der Schiedsvere­in­barung auf die staatliche Gerichts­barkeit verzicht­en, was ins­beson­dere eine wichtige Ein­schränkung ihrer Rechtsmit­tel­wege impliziere. Der Wille der Parteien, sich der Schieds­gerichts­barkeit zu unter­w­er­fen, müsse klar und unzwei­deutig sein.

Anschliessend befasste sich das Bun­des­gericht mit den Voraus­set­zun­gen für die Aus­dehnung der Schiedsvere­in­barung auf einen Drit­ten nach franzö­sis­chem Recht. Nach franzö­sis­chem Recht müsse der Dritte direkt an der Erfül­lung des Ver­trags beteiligt sein, so dass davon aus­ge­gan­gen wer­den könne, dass er die besagte Klausel, deren Exis­tenz und Trag­weite er kan­nte, akzep­tiert habe.

Das Bun­des­gericht set­zte sich sodann mit den Argu­menten der Beschw­erde­führerin auseinan­der. So sei der Ein­wand der Beschw­erde­führerin, ein ein­fach­es Inter­esse des Drit­ten an der Ver­tragsaus­führung (i.c. an der Aus­führung des Con­sor­tium Agree­ment) genüge, um ihm die darin enthal­tene Schied­sklausel ent­ge­gen zu hal­ten, kaum mit den vom EGMR fest­gelegten Anforderun­gen vere­in­bar. Der Verzicht auf die Rechte nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK, der ins­beson­dere das Recht ein­er Partei garantiere, dass ihr Fall von einem geset­zlich bes­timmten Gericht ver­han­delt werde, set­ze näm­lich voraus, dass ein solch­er Verzicht frei, recht­mäs­sig und unmissver­ständlich erfolge (Urteil des EGMR Mutu et Pech­stein c. Suisse vom 2. Okto­ber 2018, § 96). Ein so vages Kri­teri­um wie das des Inter­ess­es des Drit­ten an der Erfül­lung eines Ver­trags erscheine jedoch nur schw­er mit solchen Anforderun­gen vereinbar.

Auch der Ein­wand der Beschw­erde­führerin, B. und C. wür­den der­sel­ben Unternehmensgruppe ange­hören, ver­warf das Bun­des­gericht, zumal das Schieds­gericht dies nie fest­gestellt habe. So könne aus der Tat­sache, dass B. (die ursprünglich 18 % der Aktien der C. hielt) eine der Grün­dungsmit­glieder von C. sei, keine Grup­pen­zuge­hörigkeit abgeleit­et wer­den. Ohne­hin zeige die Beschw­erde­führerin nicht auf, dass das franzö­sis­che Recht eine Aus­dehnung der Schied­sklausel auf eine Gesellschaft zulassen würde, wenn eine an die Schied­sklausel gebun­dene Gesellschaft eine Min­der­heits­beteili­gung an erster­er hält oder wenn die Vertreter der let­zteren Gesellschaft eben­falls Aktionäre oder Organe der ersteren Gesellschaft sind.

Weit­er laufe gemäss Bun­des­gericht auch der Ein­wand der Beschw­erde­führerin ins Leere, dass ein sog. «ensem­ble con­tractuel» zwis­chen dem Con­sor­tium Agree­ment und dem Lizen­zver­trag beste­he. Das Schieds­gericht habe zu Recht erk­lärt, dass ver­schiedene Parteien an den Verträ­gen beteiligt gewe­sen waren, dass der Lizen­zver­trag Jahre nach dem Con­sor­tium Agree­ment abgeschlossen wurde und dass der Lizen­zver­trag auch zahlre­iche andere IP-Rechte zum Gegen­stand hat­te. Ins­beson­dere enthalte der Lizen­zver­trag eine Gerichts­stand­sklausel zu Gun­sten der Zürcher Gerichte, weshalb nicht davon aus­ge­gan­gen wer­den könne, dass die Parteien ihre allfäl­li­gen Stre­it­igkeit­en aus dem Ver­trag einem Schieds­gericht unter­w­er­fen woll­ten. Zum sel­ben Schluss sei auch das franzö­sis­che Cour de Cas­sa­tion in einem ähn­lichen Entscheid gekom­men, was die Beschw­erde­führerin nicht bestrit­ten habe.

Schliesslich könne eine Aus­dehnung auf C. auch nicht daraus abgeleit­et wer­den, dass C. ange­blich die X. Chal­lenge IP-Rechte benützt und damit Art. 9 des Con­sor­tium Agree­ments ver­let­zt habe (ein Argu­ment, das die Beschw­erde­führerin ohne­hin auf unbe­wiesene Ele­mente stütze). Denn sieht ein Ver­trag mit ein­er Schied­sklausel eine Verpflich­tung vor, etwas zu unter­lassen, und hält ein Drit­ter (der nicht Partei dieses Ver­trags ist) diese Verpflich­tung nicht ein, so sei es gemäss Bun­des­gericht undenkbar, daraus irgen­deine Zus­tim­mung dieses Drit­ten zur fraglichen Schied­sklausel abzuleit­en. Das Gegen­teil anzunehmen würde näm­lich bedeuten, ein­er in einem Ver­trag enthal­te­nen Schied­sklausel eine erga omnes-Wirkung zu ver­lei­hen, was unzuläs­sig sei.

Entsprechend wies das Bun­des­gericht die Beschw­erde ab.

Ver­fasst von Francesca Borio / Michael Feit