5A_378/2021: Aufteilung des Betreuungsunterhalts in Patchworkfamilien

Das Bun­des­gericht befasste sich im Urteil 5A_378/2021 vom 7.9.2022 mit der Frage, wie der Betreu­ung­sun­ter­halt aufzuteilen ist, wenn der obhuts­berechtigte Eltern­teil Kinder aus ver­schiede­nen Beziehun­gen betreut. Es urteilt, dass der Betreu­ung­sun­ter­halt in solchen Fällen vol­lum­fänglich von jen­em unter­halt­spflichti­gen Eltern­teil zu tra­gen ist, dessen Kind den Grund für die Ein­schränkung der Erwerb­s­fähigkeit geset­zt hat.

Urteil­szusam­men­fas­sung

Die Parteien, deren Auseinan­der­set­zung dem vor­liegend besproch­enen Fall zugrun­deliegt, haben gemein­sam drei Kinder (geb. 2005, 2010 und 2012). Für diese hat­te der Beschw­erde­führer als nich­tob­huts­berechtigter Eltern­teil gemäss Schei­dung­surteil Bar- und Betreu­ung­sun­ter­halt zu bezahlen. Im Jahr 2019 wurde die Beschw­erdegeg­ner­in Mut­ter eines weit­eren Kindes aus der Beziehung mit einem neuen Part­ner. In der Folge arbeit­ete sie, wie bere­its vor der Geburt des vierten Kindes, weit­er­hin in einem 50 %-Pen­sum. Dies entsprach dem max­i­malen Arbeit­spen­sum, das ihr gemäss Schul­stufen­mod­ell auf­grund des Alters des jüng­sten der gemein­samen Kinder zumut­bar war. Gle­ich­wohl resul­tierte bei ihr ein Manko. Im Abän­derungsver­fahren machte der Beschw­erde­führer gel­tend, dieses Manko sei nicht vol­lum­fänglich von ihm zu übernehmen, auch der Vater des vierten Kindes habe sich am Betreu­ung­sun­ter­halt zu beteiligen.

Das Bun­des­gericht hielt fest, die Lehre sei sich einig, dass das betreu­ungs­be­d­ingte Manko des obhuts­berechtigten Eltern­teils von dem unter­halt­spflichti­gen Eltern­teil getra­gen wer­den müsse, dessen Kind den Grund für die Ein­schränkung der Erwerb­s­fähigkeit geset­zt habe. Vor­liegend befinde sich die Beschw­erdegeg­ner­in in ein­er Mankosi­t­u­a­tion, obwohl sie, wie bere­its vor Geburt des vierten Kindes, zu 50 % erwerb­stätig sei. Es sei unbe­strit­ten, dass dies Pen­sum dem entspreche, das von ihr ver­langt wer­den kön­nte, wenn sie ihr viertes Kind nicht bekom­men hätte. Der Beschw­erde­führer behaupte denn auch nicht, in welchem Umfang die Geburt des vierten Kindes die Beschw­erdegeg­ner­in in ihrer Erwerb­stätigkeit eingeschränkt habe. Es fehle daher am Kausalzusam­men­hang zwis­chen der Geburt des vierten Kindes und dem Manko der Beschw­erdegeg­ner­in. Daher sei der Betreu­ung­sun­ter­halt vol­lum­fänglich vom Beschw­erde­führer zu tra­gen (E. 8.4).

Kom­men­tar

Die Unter­halts­berech­nung in Patch­work­fam­i­lien­si­t­u­a­tio­nen stellt Gerichte regelmäs­sig vor grosse Her­aus­forderun­gen; viele Aspek­te sind in der Lehre umstrit­ten und höch­strichter­lich noch ungek­lärt. So unter anderem die Frage, wie der Betreu­ung­sun­ter­halt auf Kinder aus ver­schiede­nen Beziehun­gen aufzuteilen ist (für eine Zusam­men­fas­sung der ver­schiede­nen in der Lehre besproch­enen Optio­nen siehe Spycher/Schweighauser, Kom­men­tar zu Urteil BGer 5A_382/2021, in: FamPra.ch 3/2022, S. 758–762).

Das Bun­des­gericht legt den Fokus im hier besproch­enen Urteil auf die Kausal­ität zwis­chen der Kinder­be­treu­ung und der Ein­schränkung der Erwerb­s­fähigkeit. Diese Kausal­ität ist für die Zus­prechung von Betreu­ung­sun­ter­halt in der Tat unab­d­inglich, weil der Betreu­ung­sun­ter­halt als Entschädi­gung für betreu­ungs­be­d­ingten Erwerb­saus­fall und nicht als Entschädi­gung für die Betreu­ung an sich konzip­iert ist. Das Manko der unter­halts­berechtigten Per­son ist somit nur dann über den Betreu­ung­sun­ter­halt auszu­gle­ichen, wenn die Ein­schränkung der Erwerb­s­fähigkeit auf die Kinder­be­treu­ung zurück­zuführen ist. Ist dies nicht der Fall, bestünde das Manko also auch ohne Kinder­be­treu­ung, so ist es bei ver­heirateten Paaren über den ehe­lichen bzw. nachehe­lichen Unter­halt auszugleichen.

Im vor­liegen­den Fall war unbe­strit­ten, dass das Manko der Beschw­erdegeg­ner­in auf die Kinder­be­treu­ung zurück­zuführen und somit Betreu­ung­sun­ter­halt geschuldet war. Strit­tig war einzig, wie der Betreu­ung­sun­ter­halt auf die Kinder aus ver­schiede­nen Beziehun­gen aufzuteilen war. Bei dieser Frage ist eine auf die Kausal­ität beschränk­te Argu­men­ta­tion unbe­grün­det: Es würde der Konzep­tion des Betreu­ung­sun­ter­halts als Entschädi­gung für betreu­ungs­be­d­ingte Erwerb­saus­fälle nicht zuwider­laufen, wenn sich auch der Vater des vierten Kindes am Betreu­ung­sun­ter­halt beteiligt hätte.

Eine Beteili­gung auch des Vaters des vierten Kindes wäre nach hier vertreten­er Ansicht vielmehr geboten gewe­sen. Kon­se­quent durchgedacht führt die Recht­sprechung des Bun­des­gerichts näm­lich zu einem stossenden Ergeb­nis: Sind die Altersab­stände zwis­chen zwei Kindern aus unter­schiedlichen Beziehun­gen ger­ing, hat der unter­halt­spflichtige Eltern­teil des älteren Kindes gestützt auf die Argu­men­ta­tion des Bun­des­gerichts stets den gesamten Betreu­ung­sun­ter­halt zu tra­gen; der unter­halt­spflichtige Eltern­teil des jün­geren Kindes kann sich aus der Ver­ant­wor­tung stehlen, weil die Geburt seines Kindes den obhuts­berechtigten Eltern­teil in sein­er Erwerb­s­fähigkeit nicht mehr weit­er ein­schränk­te. Diese Über­legun­gen zeigen, dass reine Kausal­ität­süber­legun­gen bei der Aufteilung des Betreu­ung­sun­ter­halts in Patch­work­si­t­u­a­tio­nen zu kurz greifen und der Kom­plex­ität des Prob­lems nicht gerecht werden.

Für weit­ere Über­legun­gen dazu, wie der Betreu­ung­sun­ter­halt des Vaters des vierten Kindes hätte berech­net wer­den kön­nen, sei auf die oben zitierte Urteils­be­sprechung ver­wiesen. Beson­ders inter­es­sant, wenn auch eher kom­plex, scheint das dort besproch­ene Vorge­hen nach Spycher/Maier, über das offen­bar in der ab Herb­st 2022 erhältlichen 3. Auflage des Hand­buchs des Unter­halt­srechts näheres zu lesen sein wird (Spycher/Schweighauser, a.a.O., S. 759–762).