6B_1310/2021: Keine adhäsionsweise Geltendmachung vertraglicher Ansprüche im Strafverfahren (amtl. Publ.)

Im Urteil 6B_1310/2021 vom 15. August 2022 prüfte das Bun­des­gericht die Möglichkeit der adhä­sion­sweisen Gel­tend­machung von Ziv­il-ansprüchen im Strafver­fahren. Hin­ter­grund war ein Freis­pruch des Beschuldigten durch die Vorin­stanz von den Vor­wür­fen der Verun­treu­ung und des Betrugs bei gle­ichzeit­iger Gutheis­sung der Zivil­forderun­gen der Pri­vatk­läger­schaft. Die zur Frage ste­hen­den, von der Vorin­stanz zuge­sproch­enen Zivi­lansprüche stützten sich auf eine uner­laubte Hand­lung und auf die Sol­i­darschuld­ner­schaft des Beschuldigten aus einem Darlehensvertrag.

Die geschädigte Per­son kann zivil­rechtliche Ansprüche aus ein­er Straftat als Pri­vatk­läger­schaft adhä­sion­sweise im Strafver­fahren gel­tend machen (Art. 122 Abs. 1 StPO). Das Gericht entschei­det über die gestell­ten Zivilk­la­gen, wenn es den Angeklagten schuldig spricht (Art. 126 Abs. 1 Bst. a StPO) oder ihn freis­pricht und der Sachver­halt hin­re­ichend gek­lärt ist (Art. 126 Abs. 1 Bst. b StPO). Wird der Beschuldigte freige­sprochen und der Sachver­halt ist nicht aus­re­ichend gek­lärt, ver­weist das Gericht die Pri­vatk­läger­schaft hinge­gen auf den Zivil­weg (Art. 126 Abs. 2 Bst. d StPO).

Ein Freis­pruch kann somit sowohl zu ein­er zivil­rechtlichen Verurteilung des Beschuldigten als auch zu ein­er Abweisung der Zivilk­lage der Pri­vatk­läger­schaft führen, wobei das Stra­furteil gemäss Art. 53 OR den Zivil­richter nicht bindet. Erfol­gt der Freis­pruch aus rechtlichen Grün­den (wegen Nichter­fül­lung eines Tatbe­standsmerk­mals), fehlen in der Regel die Voraus­set­zun­gen für eine adhä­sion­sweise Gel­tend­machung von Zivi­lansprüchen, weshalb die Zivilk­lage abzuweisen ist. Der Strafrichter kann jedoch trotz Freis­pruchs über Zivi­lansprüche entschei­den, wenn das sub­jek­tive Tatbe­standsmerk­mal zwar fehlt, das dem Beschuldigten vorge­wor­fene Ver­hal­ten aber eine uner­laubte Hand­lung im Sinne von Art. 41 OR darstellt (E. 3.1.1).

Die von der Pri­vatk­läger­schaft gel­tend gemacht­en Zivi­lansprüche müssen aus ein­er oder mehreren Straftat­en abgeleit­et wer­den, die zunächst Gegen­stand der Ermit­tlun­gen im Vorver­fahren sind und später im erstin­stan­zlichen Ver­fahren in der von der Staat­san­waltschaft erstell­ten Anklageschrift aufge­führt wer­den (Art. 122 Abs. 1 StPO). Die Rechts­grund­lage für zivil­rechtliche Ansprüche liegt meist in den haftpflichtrechtlichen Nor­men gemäss Art. 41 ff. OR. Die Pri­vatk­läger­schaft kann dem­nach den Ersatz ihres Schadens (Art. 41–46 OR) und die Entschädi­gung ihrer imma­teriellen Schä­den (Art. 47–49 OR) ver­lan­gen, sofern diese direkt aus der Bege­hung der dem Beschuldigten vorge­wor­fe­nen Straftat resul­tieren (E. 3.1.2.).

Neben den Ansprüchen aus der zivil­rechtlichen Haf­tung des Beschuldigten (Art. 41 ff. OR; Art. 58 und 62 SVG) ist in der Lehre all­ge­mein anerkan­nt, dass die Pri­vatk­läger­schaft mit der Zivilk­lage durch Adhä­sion an das Strafver­fahren auch zivil­rechtliche Ansprüche aus dem Per­sön­lichkeitss­chutz (Art. 28 ff. ZGB), aus Vin­dika­tion (Art. 641 ZGB) oder aus Besitzansprüchen (Art. 927, 928 und 934 ZGB) sowie die in Art. 9 UWG vorge­se­henen Ansprüche im Falle ein­er Ver­let­zung von Art. 23 UWG gel­tend machen kann.  (E. 3.1.3).

Umstrit­ten ist hinge­gen, ob der Begriff der Zivilk­la­gen im Sinne von Art. 122 Abs. 1 StPO auch ver­tragliche Ansprüche umfasst. Zwar ist der Begriff der zivil­rechtlichen Ansprüche nicht nur auf die zivil­rechtliche Haf­tung des Beschuldigten beschränkt, doch müssen sich auch andere pri­va­trechtliche Ansprüche auf den Schutz der Rechte der Pri­vatk­läger­schaft richt­en. Anderen Zivilk­la­gen als solchen, die sich auf die Haf­tung des Beschuldigten für den Erwerb von Eigen­tum stützen und die anerkan­nter­massen Gegen­stand ein­er Adhä­sion­sklage sein kön­nen, weisen die Gemein­samkeit des Vor­liegens ein­er rechtswidri­gen Hand­lung auf. Ver­tragliche Ansprüche beruhen jedoch auf Ver­trag und nicht auf dem Vor­liegen ein­er Straftat. Sie sind davon unab­hängig und kön­nen daher nicht aus ein­er strafrechtlich rel­e­van­ten Hand­lung abgeleit­et wer­den (E. 3.2.2). Das Bun­des­gericht kam deshalb zum Schluss, dass der Begriff der Zivilk­la­gen i.S.v. Art. 126 StPO nicht alle pri­va­trechtlichen Ansprüche erfasst, son­dern nur solche, die sich aus ein­er Straftat ableit­en lassen, was bei ver­traglichen Ansprüchen nicht der Fall ist. Ver­tragliche Ansprüche kön­nen somit nicht Gegen­stand ein­er Adhä­sion­sklage im Strafver­fahren sein und wer­den daher vom Anwen­dungs­bere­ich von Art. 122 Abs. 1 StPO aus­geschlossen. Für solche Ansprüche muss die Pri­vatk­läger­schaft darauf ver­wiesen wer­den, auf dem Zivil­weg zu kla­gen (E. 3.3).