Mit dem Urteil 6B_536/2022 vom 25. August 2022 fällte das Bundesgericht einen Grundsatzentscheid zur Beweisergänzung nach Abschluss des zweitinstanzlichen Beweisverfahrens. Hintergrund war die Erwägung der Vorinstanz bei der Strafzumessung, dass der Beschuldigte seit einer bestimmten Zeit nicht mehr delinquiert hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte daraufhin geltend gemacht, dass der Beschuldigte inzwischen erneut rechtskräftig verurteilt worden war, was die Vorinstanz mangels Einholen eines aktuellen Strafregisterauszugs offensichtlich unrichtig festgestellt hatte.
Die Strafbehörden klären von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab (Art. 6 Abs. 1 StPO). Zur Abklärung der persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person holen Staatsanwaltschaft und Gerichte Auskünfte über Vorstrafen und den Leumund sowie weitere sachdienliche Berichte von Amtsstellen und Privaten ein (Art. 195 Abs. 2 StPO). Daraus folgt, dass auch das Berufungsgericht einen aktuellen Strafregisterauszug einzuholen hat, wenn sie die beschuldigte Person sanktioniert (E. 2.3.1).
Ins Strafregister-Informationssystem VOSTRA werden Personen eingetragen, gegen die in der Schweiz ein Strafverfahren wegen Verbrechen oder Vergehen hängig ist. Angegeben werden die Personalien der beschuldigten Person, das Datum der Eröffnung des Strafverfahrens, die zuständige Verfahrensleitung und die der beschuldigten Person vorgeworfenen Straftaten (Art. 366 Abs. 4 StGB sowie Art. 7 lit. a VOSTRA-Verordnung). Bei hängigen Strafverfahren sind die Daten innert zwei Wochen seit Eröffnung des Strafverfahrens bzw. seit Eintritt der Änderung ins Strafregister-Informationssystem einzutragen (Art. 11 Abs. 3 VOSTRA-Verordnung). Die Strafjustizbehörden dürfen durch ein Abrufverfahren Einsicht in diese Personendaten nehmen (Art. 367 Abs. 2 lit. a i.V.m. Abs. 1 lit. b StGB; E. 2.3.2).
Das Gericht zieht sich nach Abschluss der Parteiverhandlungen zur geheimen Urteilsberatung zurück (Art. 348 Abs. 1 StPO). Ist der Fall noch nicht spruchreif, so ergänzt es die Beweise und nimmt die Parteiverhandlungen wieder auf (Art. 349 StPO). Erkennt das Gericht erst anlässlich der Urteilsberatung, dass der Fall noch nicht spruchreif ist, hat es Beweisergänzungen zu beschliessen und zwingend selbst durchzuführen, wodurch eine diesbezügliche Delegation an die Staatsanwaltschaft ausser Betracht fällt (E. 2.3.3).
Die Vorinstanz hatte vorliegend vorgebracht, keine Kenntnis oder Mitteilung davon erhalten zu haben, dass bei der Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren hängig und mit Strafbefehl abgeschlossen worden sei. Dabei hätte sie selbst vor dem Erlass des angefochtenen Urteils einen aktuellen Strafregisterauszug über den Beschuldigten einholen und erkennen müssen, dass seit dem letzten Strafregisterauszug ein weiteres Urteil gegen den Beschuldigten ergangen war. Bei der Strafzumessung mass die Vorinstanz insbesondere dem Umstand Bedeutung zu, dass der Beschuldigte seit bestimmter Zeit scheinbar nicht mehr delinquiert hatte. Diese Feststellung hätte sie nicht gestützt auf einen Strafregisterauszug treffen dürfen, der zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung über drei Monate und im für den Entscheid wesentlichen Zeitpunkt des angefochtenen Urteils über acht Monate alt war. Vielmehr wäre sie gestützt auf Art. 195 Abs. 2 StPO dazu verpflichtet gewesen, zur Abklärung der persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten und zur Beweisergänzung (Art. 349 StPO i.V.m. Art. 405 Abs. 1 StPO) einen aktuellen Strafregisterauszug einzuholen (E. 2.4.2). Insofern hiess das Bundesgericht die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gut (E. 3).