5A_452/2021: Beschwerdelegitimation des Gläubigers, der am erstinstanzlichen Konkurseröffnungsverfahren nicht teilgenommen hat (amtl. Publ.)

In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_452/2021 vom 14. Dezember 2022 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob der Gläubiger, der am erstinstanzlichen Konkurseröffnungsverfahren nicht teilgenommen hat, beschwerdelegitimiert ist. In diesem Verfahren wurde der Konkurs über die Schuldnerin aufgrund einer Insolvenzerklärung eröffnet. Eine Drittgläubigerin wehrte sich gegen den Entscheid des Konkursgerichts mit der Begründung, das Gericht sei örtlich unzuständig. Das Obergericht trat auf die Beschwerde mangels Beschwerdelegitimation nicht ein. Das Bundesgericht hiess die gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde der Drittgläubigerin gut und erwog, dass die Drittgläubigerin ausnahmsweise berechtigt ist, den Entscheid des Konkursgerichts betreffend den gestützt auf Art. 191 SchKG über die Schuldnerin eröffneten Konkurs mit der Rüge anzufechten, der Konkurs sei nicht am richtigen Ort eröffnet worden.


Insol­ven­z­erk­lärung nach Art. 191 SchKG 

Unter bes­timmten Umstän­den kann der Schuld­ner gemäss Art. 191 SchKG die Konkurs­eröff­nung sel­ber beantra­gen. Auf die ohne vorgängige Betrei­bung erfol­gten Konkurs­eröff­nun­gen ist unter anderem Art. 174 SchKG anwend­bar (Art. 194 SchKG), wonach der Entscheid des Konkurs­gericht­es innert zehn Tagen mit Beschw­erde nach der ZPO ange­focht­en wer­den kann (Abs. 1 erster Satz), und wom­it das Noven­recht der Parteien geregelt wird (Abs. 1 zweit­er Satz) (E. 3.1).


Beschw­erdele­git­i­ma­tion der Drittgläu­biger gegen einen Konkurseröffnungsentscheid

Recht­sprechung des Bundesgerichts

Zunächst analysierte das Bun­des­gericht seine Recht­sprechung zur Beschw­erdele­git­i­ma­tion nicht­beteiligter Gläu­biger und kam zum Schluss, dass diese nicht ein­heitlich ist (E. 3.2.1–3.2.3):

  • Nach einem Urteil aus dem Jahre 1906 kam das Bun­des­gericht zum Schluss, dass es nicht willkür­lich ist, wenn ein Rechtsmit­tel (Beru­fung) an die obere kan­tonale Konkursin­stanz gegen Konkurs­erken­nt­nisse auf­grund von  191 SchKG  auch den Gläu­bigern des Gemein­schuld­ners zusteht.
  • In einem späteren Entscheid erachtete das Bun­des­gericht hinge­gen nicht als willkür­lich, dass das kan­tonale Gericht dem Drittgläu­biger die Legit­i­ma­tion zur Beru­fung abge­sprochen hat­te, wobei das Bun­des­gericht diese Auf­fas­sung in einem späteren Entscheid unter Berück­sich­ti­gung der SchKG-Revi­sion von 1994/1997 bestätigte.
  • In einem jün­geren Urteil (5A_43/2013) nahm das Bun­des­gericht zur Frage, ob Drittgläu­biger, die nicht selb­st das Konkurs­begehren gestellt haben, das Konkurs­erken­nt­nis weit­erziehen kön­nen, mit unbeschränk­ter Kog­ni­tion Stel­lung und verneinte die Beschw­erdele­git­i­ma­tion des Drittgläu­bigers. Gläu­biger, welche nicht selb­st das Konkurs­begehren gestellt hat­ten, nehmen nicht am Konkurs(eröffnungs)verfahren teil; sie sind deshalb keine Parteien im Sinn von  174 Abs. 1 SchKG. Dass die Eröff­nung des Konkurs­es konkrete Auswirkun­gen auf die Gläu­biger hat, liegt in der Natur der Sache; indes han­delt es sich dabei um Reflexwirkungen.

Kan­tonale Prax­is und Lehrmeinungen

In der Folge set­zte sich das Bun­des­gericht mit der kan­tonalen Prax­is und den Lehrmei­n­un­gen auseinan­der und kam auch da zum Schluss, dass diese nicht ein­heitlich sind (E. 3.3.1–3.3.3):

  • Die neuere kan­tonale Recht­sprechung scheint dem Bun­des­gericht­surteil 5A_43/2013 zu folgen.
  • Die jüng­ste Waadtlän­der Prax­is hat sich einge­hend mit Recht­sprechung und Lehre befasst. Sie wen­det sich gegen die bish­eri­gen Bun­des­gericht­surteile zu diesem The­ma und erlaubt dem Drittgläu­biger, die Eröff­nung des Konkurs­es nach  191 SchKGanzufecht­en, wobei im konkreten Fall vor den waadtländis­chen Gericht­en Rechtsmiss­brauch gerügt wurde. Für die waadtländis­chen Gerichte ist es gerecht­fer­tigt, dass das schutzwürdi­ge Inter­esse des Schuld­ners am Pri­vatkonkurs über­prüft wird.
  • In der Lit­er­atur wird die waadtländis­che Recht­sprechung mit Blick auf den Pri­vatkonkurs bestätigt.
  • Nach ander­er Auf­fas­sung wird betr­e­f­fend die Legit­i­ma­tion des Drittgläu­bigers am ablehnen­den Stand­punkt festgehalten.

Beschw­erderecht bei der Rüge der fehlen­den örtlichen bzw. inter­na­tionalen Zuständigkeit?

Vor diesem Hin­ter­grund prüfte das Bun­des­gericht, ob die von der Drittgläu­bigerin erhobene Rüge der fehlen­den örtlichen bzw. inter­na­tionalen Zuständigkeit zur Anord­nung des Konkurs­es zur Beschw­erde nach ZPO berechtigt. Das Bun­des­gericht kam zum Schluss, dass die Beschw­erde­führerin als Drittgläu­bigerin berechtigt ist, den gegenüber der Beschw­erdegeg­ner­in gestützt auf Art. 191 SchKG eröffneten Konkurs mit der Rüge anzufecht­en, der Konkurs sei nicht am richti­gen Ort eröffnet wor­den (E. 3.5), aus fol­gen­den Gründen:

In sein­er Recht­sprechung gewichtete das Bun­des­gericht die Inter­essen der Drittgläu­biger mit Bezug auf die Zuständigkeit zur Eröff­nung des Pri­vatkonkurs­es in beson­der­er Weise: Das Bun­des­gericht hat in BGE 111 III 66 fest­ge­hal­ten, dass die Regeln über den Ort der Konkurs­eröff­nung (auch) im Inter­esse der Gläu­biger aufgestellt und zwin­gen­der Natur sind. Da im Ver­fahren von Art. 191 SchKG naturgemäss keine vorgängige Betrei­bung stat­tfind­et und keine Konkur­san­dro­hung erlassen wird, mag es gerecht­fer­tigt sein, den Drittgläu­bigern zu ges­tat­ten, ihr Inter­esse an der Durch­führung des Konkurs­es am richti­gen Ort auf dem Weg eines Rechtsmit­tels zur Gel­tung zu brin­gen (E. 3.4.1).

Über den Vor­be­halt, wonach die Beschw­erde des Drittgläu­bigers mit der bes­timmten Rüge (Unzuständigkeit) erlaubt ist, musste das Bun­des­gericht in seinen Entschei­den jedoch nicht abschliessend entschei­den, da es in den zu beurteilen­den Fällen nicht um die Frage der örtlichen Zuständigkeit ging (E. 3.4.2). In diesem Zusam­men­hang erwog das Bun­des­gericht, dass es bei der nicht am richti­gen Ort abgegebe­nen Insol­ven­z­erk­lärung um gewichtige Inter­essen des Drittgläu­bigers geht, da die Verun­möglichung der Konkurs­eröff­nung am zuständi­gen Ort für die Gläu­biger einen schw­eren Nachteil bedeuten kann. Das Bun­des­gericht kam zum Schluss, dass nichts ent­ge­gen­ste­ht, den in BGE 111 III 66 (E. 2) bere­its aus­drück­lich erwäh­n­ten Vor­be­halt anzuwen­den und die Zuständigkeit­srüge zu erlauben, um insoweit den Inter­essen der Gläu­biger im Falle des Pri­vatkonkurs­es zum Durch­bruch zu ver­helfen. Das Bun­des­gericht liess jedoch die Frage aus­drück­lich offen, was für die Rüge des Rechtsmiss­brauchs gilt oder wie es sich in Ver­fahren ver­hält, in welchen der Konkurs­eröff­nung ein Konkurs­begehren des betreiben­den Gläu­bigers vor­ange­gan­gen ist (E. 3.4.3).