5A_476/2022: Berücksichtigung des Einkommens volljähriger Kinder in der Unterhaltsberechnung

Im Urteil 5A_476/2022 vom 28. Dezem­ber 2022 stellt das Bun­des­gericht klar, dass es im Ermessen des Gerichts liegt, in welchem Umfang ein volljähriges Kind zu seinem eige­nen Unter­halt beitra­gen muss. Die neue bun­des­gerichtliche Recht­sprechung zur Unter­halts­berech­nung ver­langt nicht, dass das Einkom­men des Kindes vol­lum­fänglich in die Unter­halts­berech­nung ein­be­zo­gen wird.

Zusam­men­fas­sung

Im vor­liegen­den Urteil hat­te sich das Bun­des­gericht unter anderem mit der Berech­nung von Volljähri­ge­nun­ter­halt zu befassen. Die Vorin­stanz hat­te bei der Unter­halts­berech­nung den Net­tolehrlingslohn des Kindes zu 30 % in die Unter­halts­berech­nung ein­be­zo­gen. Dage­gen beschw­erte sich der Vater vor Bun­des­gericht und argu­men­tierte unter Beru­fung auf die Lehrmei­n­ung von Patrick Stoud­mann, BGE 147 III 265 ver­lange, dass das gesamte Einkom­men des Kindes bei der Unter­halts­berech­nung berück­sichtigt werde (Stoud­mann, Le divorce en pra­tique, 2021, S. 103 f.).

Dem wider­spricht das Bun­des­gericht. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Beschw­erde­führers, lasse sich aus dem Wort­laut von BGE 147 III 265 nicht ableit­en, dass das Kinde­seinkom­men vol­lum­fänglich in die Unter­halts­berech­nung einzubeziehen sei. Vielmehr liege dies, wie bish­er, im Ermessen des Gerichts.

Urteils­be­sprechung

Es ist zu begrüssen, dass sich das Bun­des­gericht mit den Lehrmei­n­un­gen zu sein­er Unter­halt­srecht­sprechung auseinan­der­set­zt. Nur so kann eine ein­heitliche Recht­sprechung über alle Kan­tone hin­weg gewährleis­tet werden.

Rechtlich überzeugt das Urteil. Gemäss Art. 276 Abs. 3 ZGB sind die Eltern von der Unter­halt­spflicht gegenüber ihrem Kind insoweit befre­it, als dem Kind zuge­mutet wer­den kann, den Unter­halt aus dem eige­nen Arbeit­ser­werb oder anderen Mit­teln zu bestre­it­en. Diese Bes­tim­mung gilt, wie das vor­liegende Urteil zeigt, nicht nur für das min­der­jährige, son­dern auch für das volljährige Kind. Dementsprechend obliegt es dem Gericht zu bes­tim­men, welch­er Anteil des Erwerb­seinkom­mens eines volljähri­gen Kindes in die Unter­halts­berech­nung einzubeziehen ist. Mass­gebend sind die Umstände des Einzelfalls. Die teil­weise noch vorherrschende Prax­is, das Erwerb­seinkom­men des Kindes ab Volljährigkeit schema­tisch und ohne Begrün­dung voll in die Unter­halts­berech­nung einzubeziehen, ist unzulässig.