Das Bundesgericht entschied in diesem Urteil, dass es die Covid-19-Verordnungen nicht zugelassen hätten, das individuelle Antragsrecht eines Aktionärs zu verhindern. Beschlüsse von Generalversammlungen, welche in Verletzung dieses Antragsrecht ergingen, seien anfechtbar.
Hintergrund war eine Generalversammlung einer Aktiengesellschaft (Beschwerdeführerin), welche gestützt auf die damals geltenden Covid-19-Verordnungen auf schriftlichem Weg durchgeführt wurde. Traktandiert war dabei u.a. eine Statutenrevision. Eine Aktionärin beantragte erfolglos, die Statutenrevision auf eine der nachfolgenden ordentlichen Generalversammlungen zu verschieben. Alternativ beantragte die Aktionärin, der Antrag betreffend Revision sei abzuweisen, da einige Punkte der vorgeschlagenen Statutenrevision von den Aktionären noch zu diskutieren seien respektive diesbezüglich Klärungsbedarf bestehe. Diese notwendige Debatte könne nicht geführt werden, wenn die Generalversammlung auf dem Schriftweg abgehalten werde. Der Verwaltungsrat liess die Aktionäre daraufhin nicht über diesen Antrag abstimmen. Anlässlich der schriftlich durchgeführten Generalversammlung wurde unter anderem die Statutenrevision angenommen. Auf Klage der Aktionärin hin stellte das Zivilkreisgericht Basel-Landschaft West die Nichtigkeit dieses Beschlusses fest. Die von der Beschwerdeführerin erhobenen Rechtsmittel, zunächst an das Kantonsgericht Basel-Landschaft und anschliessend an das Bundesgericht, wurden abgewiesen.
Das Bundesgericht erinnerte zunächst an die bis zum 31. Dezember 2022 geltende Regelung im Aktienrecht (E. 3), insbesondere, dass die Generelversammlung, anders als bei anderen Gesellschaftsformen, als Präsenzveranstaltung konzipiert ist, mithin eine schriftliche Beschlussfassung im Gesetz nicht vorgesehen ist (E. 3.1), sowie dass jedem Aktionär ein individuelles Antragsrecht zukommt (E. 3.3). Daraufhin verweis das Bundesgericht auf die im Zuge der Covid-19-Pandemie erlassenen Regeln, welche unter anderem vorsahen, dass Versammlungen auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form durchgeführt werden konnten (E. 4).
Die Beschwerdeführerin drang mit ihrer Auslegung dieser Covid-19-Bestimmungen, wonach sich die Aktionärsrechte auf physische Teilnahme, auf Äusserung und auf unmittelbare Diskussion an der Generalversammlung erübrige, und entsprechend auch das damit verbundene Antragsrecht entfallen sei, wenn eine Gesellschaft von der in der Covid-19-Verordnung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, die Generalversammlung auf schriftlichem Weg durchzuführen (E. 6.1), nicht durch.
Ein derartiger Eingriff in die Aktionärsrechte, mihtin dass das Antragsrecht der Aktionärin zwingend an die physische Teilnahme an der Generalversammlung gekoppelt sei, könne, so das Bundesgericht, nicht Gehalt der Covid-19-Verordnungen gewesen sein. Mit diesen Verordnungen hätte vordringlich das Risiko einer Übertragung des Coronavirus vermindert werden sollen. Dies bedeute in Bezug auf Generalversammlungen in erster Linie, dass zwecks Kontaktminimierung die physische Anwesenheit der Aktionäre entfallen müsse. Inwiefern es zur Bewältigung der Pandemie hätte notwendig oder auch bloss hilfreich sein sollen, den Aktionären zu verbieten, Anträge zu den traktandierten Verhandlungsgegenständen auf schriftlichem Weg zu stellen, sei nicht erkennbar und könne sich jedenfalls nicht auf den Schutzgedanken der Covid-19-Verordnungen stützen (E. 7.1).
Dass die Beschlussfassung über Anträge nicht zwingend an die physische Teilnahme an der Generalversammlung geknüpft sein könne, zeige sich sodann daran, dass überhaupt jeder an der
Generalversammlung gefasste Beschluss auf einem Antrag beruhe. Entsprechend sei auch an der Generalversammlung der Beschwerdeführerin über Anträge abgestimmt worden, nämlich über jene des Verwaltungsrats. Die Auffassung der Beschwerdeführerin laufe darauf hinaus, dass an den schriftlich durchgeführten Generalversammlungen unter dem Covid-19-Regime nur über Anträge des Verwaltungsrats (und die Anträge jener Aktionäre, welche zufolge entsprechender Kapitalbeteiligung ein Traktandierungsbegehren mit damit verbundenem Antrag stellen konnten) abgestimmt werden könnte, nicht aber über Anträge der (übrigen) Aktionäre. Für eine solche Differenzierung gebe die Covid-19-Pandemie keine Rechtfertigung (E. 7.2).
Sodann habe der Bundesrat die Ausübung der Aktionärsrechte an der Generalversammlung mit zwei weiteren Mitteln ermöglicht: einerseits in “elektronischer Form” (namentlich Telefon- und Videokonferenz), andererseits durch einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter. In diesen beiden Fällen hätte das Antragsrecht weiterhin ausgeübt werden können. Wäre das Antragsrecht der Aktionäre bei der Durchführung der Generalversammlung “auf schriftlichem Weg” entfallen, hätte der Verwaltungsrat durch die Wahl der Durchführungsform beliebig über den Bestand dieses
Aktionärsrechts befinden und Gegenanträge auf diese Weise ausschalten können. Dies habe weder Sinn noch Geist der hier anwendbaren Bestimmungen entsprochen (E. 7.3).
Nicht stichhaltig sei sodann das Argument, wonach das Antragsrecht “in seiner Gänze seiner Natur nach” nur unter Anwesenden ausgeübt werden könne. Zwar entfalte das individuelle Antragsrecht dann seine vollumfängliche Wirkung, wenn darüber an der Generalversammlung diskutiert werde. Es sei aber weder sachgerecht noch im Interesse der Aktionärin, würde deren Antragsrecht aus diesem Grund gleich gänzlich eliminiert, wenn mangels physischer Durchführung der Generalversammlung eine solche Diskussion entfallen müsse (E. 7.4).
Schliesslich habe das Zivilkreisgericht zu Recht auf den engen Zusammenhang von Stimmrecht und Antragsrecht hingewiesen. Das Stimmrecht verliere deutlich an Tragweite, wenn es vom Verwaltungsrat darauf beschränkt werde, dessen eigenen Vorschläge anzunehmen oder abzulehnen, ohne Gegenanträge zur Abstimmung zuzulassen . Durch den Entzug sämtlicher Beschlussalternativen werde das Recht tangiert, den Willen unverfälscht zum Ausdruck zu bringen (E. 7.5).
Offen liess das Bundesgericht, wie das Antragsrecht und die mit diesem Recht verbundenen Abläufe administrativ zu handhaben waren. Fest stehe, dass der Verwaltungsrat die effektive Ausübung der Aktionärsrechte und somit des Antragsrechts ermöglichen müsse. Umgekehrt liege es an den Aktionären, das für die Ausübung ihrer Rechte Erforderliche vorzukehren (E. 8).
Hinsichtlich den Rechtsfolgen der Verletzung des Antragsrechts erwog das Bundesgericht, dass der streitgegenständliche Beschluss unter Missachtung des unentziehbaren Antragsrechts zustande gekommen wäre und demzufolge grundsätzlich anfechtbar im Sinne von Art. 706 OR sei. Die Nichtzulassung des Antrags als solche führe allerdings nicht zur Nichtigkeit des streitgegenständlichen
Generalversammlungsbeschlusses, da erstens die Anfechtung der Aktionärin in einer solchen Konstellation eine hinreichende Handhabe biete, um gegen die Verletzung ihres Rechts vorzugehen (sog. Subsidiarität der Nichtigkeitsfolge), und — vor allem — zumal zweitens vorliegend die besonderen Gegebenheiten der Covid-19-Pandemie zu berücksichtigen seien. Es wäre mit der Rechtssicherheit nicht vereinbar, das in der damaligen ausserordentlichen Lage im Einzelfall gewählte Vorgehen des Verwaltungsrats mit der Nichtigkeit des darauf beruhenden Generalversammlungsbeschlusses zu sanktionieren (E. 9.3).