5A_420/2021: Berücksichtigung von weggefallenem Kindesunterhalt bei der Berechnung des gebührenden ehelichen und nachehelichen Unterhalts

Im Urteil 5A_420/2021 vom 5. Dezem­ber 2022 präzisiert das Bun­des­gericht seine Recht­sprechung zur Frage, wie mit Mit­teln umzuge­hen ist, die zufolge wegge­fal­l­en­em Kindesun­ter­halt für die Elternebene frei wer­den. Dem­nach sind diese Mit­tel bei der Berech­nung des gebühren­den Tren­nungs- oder Schei­dung­sun­ter­halts nur dann zu berück­sichti­gen, wenn sie in ein­er gewis­sen zeitlichen Nähe zur Tren­nung frei wer­den. Dabei ist die Ehedauer zu berück­sichti­gen und weit­ere Umstände, welche die Ehe aus­gemacht haben.

Zusam­men­fas­sung

Das hier besproch­ene Urteil äussert sich zur Frage, in welchen Fällen die zufolge Weg­falls von Kindesun­ter­halt für die Eltern frei gewor­de­nen Mit­tel bei der Berech­nung des gebühren­den ehe­lichen und nachehe­lichen Unter­halts zu berück­sichti­gen sind. Die Beschw­erde­führerin rügte, die Vorin­stanz habe gegen Bun­desrecht ver­stossen, indem es die mit Abschluss der 3.  Unter­halt­sphase durch den Weg­fall des Kindesun­ter­haltes frei wer­den­den Fr. 1’500.– in den fol­gen­den Phasen nicht dem zu teilen­den Über­schuss zugeschla­gen habe.

Das Bun­des­gericht erwog, die Rüge ziele auf die bun­des­gerichtliche Recht­sprechung, wonach davon aus­ge­gan­gen wer­den könne, dass durch den Weg­fall von Kindesun­ter­halt frei wer­dende Mit­tel zugun­sten der ehe­lichen Leben­shal­tung ver­wen­det wor­den wären und deshalb der unter­halt­spflichtige Ehe­gat­te diese nicht für sich alleine reklamieren könne. Diese Recht­sprechung wolle Unbil­ligkeit­en ver­mei­den, die sich aus der Zufäl­ligkeit ergeben kön­nen, ob Kinder kurz vor oder nach der Tren­nung der Ehep­art­ner wirtschaftlich selb­ständig gewor­den seien. Bei schema­tis­chem Rech­nen könne dies einen entschei­den­den Ein­fluss auf die Höhe des Über­schuss­es und damit des (nach-)ehe­lichen Unter­halts­beitrags haben.

Vor diesem Hin­ter­grund habe das Bun­des­gericht her­vorge­hoben, dass rech­ner­ische Über­schüsse nicht ein­fach schema­tisch hälftig zu teilen seien und als Regel der Grund­satz der Begren­zung des gebühren­den Unter­haltes durch den gemein­sam gelebten Stan­dard zu beacht­en sei. Den­noch solle der kinder­be­treuende Ehe­gat­te nicht ein­fach um die Früchte seines dies­bezüglichen Unter­halts­beitrages geprellt wer­den, wenn die Kinder kurz nach der Tren­nung wirtschaftlich selb­ständig wür­den. Zur Ver­mei­dung von Schematik und im Sinn der Einzelfall­gerechtigkeit sei für die Annahme, dass die auf Elternebene frei wer­den­den Mit­tel ein­er höheren Leben­shal­tung zuge­führt wor­den wären und somit für den gebühren­den Tren­nungs- und Schei­dung­sun­ter­halt mass­ge­blich seien, eine gewisse zeitliche Nähe zum Tren­nungszeit­punkt erforder­lich. Auch eine Rela­tion zur Dauer des ehe­lichen Zusam­men­lebens sowie den näheren Umstän­den, welche die konkrete Ehe aus­gemacht haben, sei erforder­lich. Im vor­liegen­den Fall gehe es um Mit­tel, die dere­inst weit mehr als zehn Jahre nach der erfol­gten Tren­nung durch den Weg­fall des Kindesun­ter­haltes bei Abschluss der Aus­bil­dung der Tochter frei wer­den. Dies sei länger, als das ehe­liche Zusam­men­leben gedauert habe. Vor diesem Hin­ter­grund recht­fer­tige es sich nicht, den gebühren­den Unter­halt der Ehe­frau zu einem so viel späteren Zeit­punkt über den gemein­sam gelebten Stan­dard zu heben. Der Vorin­stanz sei keine unsachgemässe Ermessen­sausübung vorzuw­er­fen, wenn sie dies nicht getan haben. Die Beschw­erde der Beschw­erde­führerin sei mithin abzuweisen (E. 2.4.2).

Kom­men­tar

Sowohl der ehe­liche als auch der nachehe­liche Unter­halt sind auf den zulet­zt gemein­samen gelebten Stan­dard begren­zt. Um diesen zu berech­nen, ist das vor der Tren­nung zulet­zt erzielte Gesamteinkom­men der Fam­i­lie dem (nach dem fam­i­lien­rechtlichen Exis­tenzmin­i­mum) berech­neten Gesamtbe­darf der Fam­i­lie gegenüberzustellen. Der verbleibende Über­schuss ist nach Abzug ein­er allfäl­lig nachgewiese­nen Spar­quote nach grossen und kleinen Köpfen aufzuteilen. Der dabei auf die Ehe­gat­ten ent­fal­l­ende Über­schus­san­teil ist die Gren­ze für den ehe­lichen und nachehe­lichen Unterhalt.

Wer­den Kinder kurz vor oder nach der Tren­nung wirtschaftlich selb­ständig, so sind die frei gewor­de­nen Mit­tel gemäss etabliert­er bun­des­gerichtlich­er Recht­sprechung dem Über­schus­san­teil zuzuschla­gen. Unklar war bis­lang, ob dies auch gilt, wenn die Kinder zwar erst weit nach der Tren­nung wirtschaftlich selb­ständig wer­den, jedoch Unter­haltspe­ri­o­den zu berech­nen sind, die nach der (voraus­sichtlichen) wirtschaftlichen Selb­ständigkeit der Kinder liegen. Das vor­liegende Urteil bringt in diesem Punkt gewisse Klärung. Das Bun­des­gericht fordert für die Berück­sich­ti­gung der frei gewor­de­nen Mit­tel, dass die wirtschaftliche Selb­ständigkeit der Kinder und die Tren­nung in ein­er gewis­sen zeitlichen Nähe zueinan­der ste­hen. Die geforderte “gewisse zeitliche Nähe” ist allerd­ings vage und für die Prax­is daher nur begren­zt hil­fre­ich. Das Bun­des­gericht will damit wohl zum Aus­druck brin­gen, dass die erforder­liche zeitliche Nähe nicht abstrakt definiert wer­den kann. Sie ist vielmehr unter Berück­sich­ti­gung der Ehedauer und weit­er­er Umstände im Einzelfall zu definieren. Dem ist zuzustimmen.