Im zur Publikation vorgesehenen Urteil 5A_849/2020 vom 27. Juni 2022 stellt das Bundesgericht klar, dass der zur Erreichung des gebührenden Unterhalts notwendige eheliche Unterhaltsbeitrag solange geschuldet ist als die Ehe andauert. Eine zeitliche Limitierung ist anders als beim nachehelichen Unterhalt unzulässig.
Urteilszusammenfassung
Dem vorliegend besprochenen Fall liegt ein Urteil des Obergerichts Nidwalden zugrunde. Dieses verweigerte einer Ehefrau nach einer Übergangsphase eheliche Unterhaltsbeiträge mit der Begründung, sie könne mit dem ihr hypothetisch anzurechnenden Einkommen ihr Existenzminimum selbst decken und sei deshalb nicht mehr auf Unterhaltsbeiträge angewiesen. Dagegen wehrte sich die Ehefrau vor Bundesgericht. Sie rügte, sie habe im Rahmen des ehelichen Unterhalts Anspruch auf Teilhabe am ehelichen Standard; diesen und nicht das Existenzminimum müsse sie mit dem ihr angerechneten hypothetischen Einkommen erreichen können.
Das Bundesgericht erwog, Ausgangspunkt jeder Unterhaltsberechnung bilde der gebührende Unterhalt, der sich im ehelichen wie auch im nachehelichen Verhältnis anhand des zuletzt gelebten Standards bemesse. Der gebührende Unterhalt sei mithin vom Existenzminimum zu unterscheiden und sei bei guten Verhältnissen nicht auf diesen beschränkt. Solange die Ehe bestehe, hätten beide Ehegatten bei genügenden Mitteln Anspruch auf Fortsetzung des zuletzt gemeinsam gelebten Standards.
Es sei unklar, ob das Obergericht diese Grundsätze bewusst übergangen habe oder den Grundsatz, wonach der nacheheliche Unterhalt grundsätzlich zeitlich zu limitieren sei, unbesehen auf den ehelichen Unterhalt übertragen habe. Auch letzteres wäre falsch. Einzig der aus dem Scheidungsunterhalt stammende Grundsatz, wonach beide Ehegatten den gebührenden Unterhalt nach Möglichkeit aus eigener Anstrengung erwirtschaften sollen, finde in bestimmen Konstellationen sinngemäss auf den ehelichen Unterhalt Anwendung (sog. Vorrang der Eigenversorgung). Hingegen sei dem ehelichen Unterhaltsrecht eine zeitliche Limitierung des zur Erreichung des gebührenden Unterhalts notwendigen Unterhaltsbeitrags fremd. Solange das Eheband bestehe — und damit insbesondere im Eheschutzverfahren — gelte der dem ehelichen Unterhaltsrecht zugrundeliegende Gleichbehandlungsgedanke. Gemäss diesem haben beide Ehegatten in gleicher Weise und unabhängig von Kriterien wie Lebensprägung und Ehedauer Anspruch auf Fortsetzung des gemeinsam gelebten Standards. Unterhaltsbegrenzend wirke lediglich die zumutbare Eigenversorgung. Indem das Obergericht entgegen diesen klaren Grundsätzen entschieden habe, sei es in Willkür verfallen.
Kommentar
Ist mit einer Wiederaufnahme des gemeinsamen Haushaltes nicht mehr ernsthaft zu rechnen, so haben Gerichte gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bei der Festsetzung der ehelichen Unterhaltsbeiträge die für den nachehelichen Unterhalt geltenden Kriterien miteinzubeziehen (BGE 147 III 301 E. 6.2). Das Bundesgericht stellt in diesem neuen Urteil klar, dass es sich mit dieser Wendung einzig auf den sog. Vorrang der Eigenversorgung bezieht. Nicht auf den ehelichen Unterhalt anzuwenden ist hingegen der Grundsatz der zeitlichen Limitierung des nachehelichen Unterhalts. Das erscheint schlüssig und nachvollziehbar.