5A_784/2021, 5A_793/2021, 5A_794/2021: Rechtsnatur der öffentlichen Versteigerung nach Art. 651 ZGB (amtl. Publ.)

In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid vom 27. Februar 2023 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob es sich bei der «Versteigerung» nach Art. 651 Abs. 1 ZGB um eine Zwangsversteigerung handelt. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass nicht zu beanstanden ist, wenn die Bestimmungen aus dem SchKG bzw. VZG auf diese Versteigerung nicht angewendet werden.


Diesem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Die stre­it­ge­gen­ständliche Liegen­schaft ste­ht im hälfti­gen Miteigen­tum von A., F sowie E und im hälfti­gen Miteigen­tum von B, C und D.

Am 3. Mai 2017 erhoben A, F und E Klage beim Zivil­gericht Basel-Stadt gegen B, C und D auf Aufhe­bung und Aufteilung des Miteigen­tums nach Art. 650/651 ZGB. Die Liegen­schaft sei durch das Gericht öffentlich zu ver­steigern und es sei der Steigerungser­lös nach Tilgung der Gebühren und Steuern den Miteigen­tümern gemäss ihren Quoten zuzuweisen.

Mit Entscheid vom 8. August 2019 hob das Zivil­gericht Basel-Stadt im Wesentlichen das Miteigen­tum an der Liegen­schaft auf und entsch­ied, dass die Liegen­schaft durch das Betrei­bungs- und Konkur­samt Basel-Stadt öffentlich ver­steigert werde (Dis­pos­i­tiv-Ziff. 1). Es behaftete die Parteien auf ihrem Ein­ver­ständ­nis, dass die Liegen­schaft durch die Gesellschaft H geschätzt werde und der Min­dest­preis zur Ver­steigerung drei Vier­tel vom Schätzw­ert betrage (Dis­pos­i­tiv-Ziff. 2). Weit­er wurde das Betrei­bungs- und Konkur­samt entsprechend angewiesen, die öffentliche Ver­steigerung in Anwen­dung der üblichen Gantbe­din­gun­gen durchzuführen (Dis­pos­i­tiv-Ziff. 3) und in der Folge den Net­to-Erlös gemäss Quoten zuzuweisen (Dis­pos­i­tiv-Ziff. 4).

In der Folge teilte das Betrei­bungs- und Konkur­samt Basel-Stadt A die Verkehr­swertschätzung von I.H, Gesellschaft H, sowie dessen Stel­lung­nahme zu Ergänzungs­fra­gen mit. Weit­er wies das Amt darauf hin, dass für die vom Gericht ange­ord­nete Ver­steigerung das kan­tonale Gesetz betr­e­f­fend das Gantwe­sen vom 8. Okto­ber 1936 anwend­bar sei.

Am 2. März 2020 gelangte A an das Zivil­gericht Basel-Stadt als untere Auf­sichts­be­hörde über das Betrei­bungs- und Konkur­samt. Sie ver­langte im Wesentlichen, dass die Verkehr­swertschätzung (ein­schliesslich Stel­lung­nahme) aufge­hoben und eine neue Schätzung durch einen unab­hängi­gen Schätzer erstellt werde. Mit Entscheid vom 6. Jan­u­ar 2021 wies das Zivil­gericht die SchKG-Beschw­erde ab, soweit darauf einge­treten wurde. Die dage­gen erhobene Beschw­erde an das Appel­la­tion­s­gericht des Kan­tons Basel-Stadt als obere kan­tonale Auf­sichts­be­hörde über das Betrei­bungs- und Konkur­samt wurde mit Entscheid vom 6. Sep­tem­ber 2021 die Beschw­erde eben­falls abgewiesen, soweit darauf einge­treten wurde.

Mit Eingabe vom 27. Sep­tem­ber 2021 erhob A Beschw­erde in Zivil­sachen. Mit sep­a­rat­en Eingaben vom 27. Sep­tem­ber 2021 haben E und F Beschw­erde in Zivil­sachen erhoben. Das Bun­des­gericht vere­inigte die drei Ver­fahren und wies die Beschw­erde von A, soweit es darauf ein­trat. Auf die Beschw­er­den von E und F trat das Bun­des­gericht nicht ein, da deren Eingaben den Begrün­dungsan­forderun­gen nicht genü­gen und sie gegen den Entscheid der Erstin­stanz gar keine Beschw­erde erhoben haben und nicht dargelegt haben, inwiefern sie durch den zweitin­stan­zlichen Entscheid neu oder zusät­zlich in ihren schutzwürdi­gen Inter­essen berührt sein sollen (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG), um ein Beschw­erderecht zu begrün­den (E. 1.5).


Recht­snatur der öffentlichen Ver­steigerung nach Art. 651 Abs. 2 ZGB

Das Bun­des­gericht befasste sich mit der Frage nach der Recht­snatur der öffentlichen Ver­steigerung nach Art. 651 Abs. 2 ZGB (E. 3.4.3)

In der Lehre wird nach ver­bre­it­eter Auf­fas­sung die öffentliche Ver­steigerung nach Art. 651 Abs. 2 ZGB nicht als Zwangsver­steigerung gemäss SchKG bzw. VZG ver­standen. Vielmehr liege es in der Zuständigkeit des Teilungs­gerichts, die Steigerungs­be­din­gun­gen festzule­gen, sofern sich die Parteien nicht über Einzel­heit­en eini­gen kön­nen, wobei kan­tonale Steigerungsverord­nun­gen zu berück­sichti­gen seien (…). Zu den “frei­willi­gen Ver­steigerun­gen” wer­den nicht nur die auf freiem Willen beruhen­den Veräusserun­gen, son­dern auch die im Gesetz in zahlre­ichen Bes­tim­mungen – wie Art. 651 Abs. 2 ZGB – vorge­se­henen geset­zlichen Ver­steigerun­gen gezählt (…).”

In der Folge ver­suchte das Bun­des­gericht den Rechtssinn der Regelung näher zu erörtern (E. 3.5) und stellte fest, dass sich wed­er dem Wort­laut von Art. 651 Abs. 2 ZGB noch der Entste­hung der Bes­tim­mung die Anwen­dung des Zwangsvoll­streck­ungsrechts ent­nehmen lässt (E. 3.5.1).

Aus dem Zusam­men­hang mit den Regeln über die Ver­steigerung nach Art. 229 ff. OR und aus dem Hin­weis auf die fehlende “Frei­willigkeit” der Ver­steigerung gemäss Art. 229 Abs. 2 OR lässt sich nach Auf­fas­sung des Bun­des­gerichts nichts zugun­sten von A ableit­en. Es trifft zwar zu, dass ein Teil der Lehre für diejeni­gen Fälle, in denen das Bun­de­spri­va­trecht eine öffentliche Ver­steigerung vor­sieht (wie u.a. Art. 651 Abs. 2 ZGB, oder Art. 612 Abs. 3 ZGB, Durch­führung der Erbteilung), keine eigentliche Frei­willigkeit annimmt. Dies ändert indes nichts daran, dass auch dann keine Zwangsver­steigerung (Art. 229 Abs. 1 OR) gemäss SchKG bzw. VZG vor­liegt, da diese Fälle als Folge dieser Sichtweise in erster Lin­ie dem kan­tonalen Recht zuzuord­nen sind. Die Beteili­gung eines Amtes ist nicht auss­chlaggebend, zumal sie für die öffentliche Ver­steigerung kein Begriff­s­merk­mal ist; die Beteili­gung eines Amtes kann ja vom kan­tonalen Recht (Art. 236 OR) vorge­se­hen wer­den (E. 3.5.2).

Das Bun­des­gericht erwog sodann, dass es zwar zutrifft, dass einige pri­va­trechtliche Bes­tim­mungen auf die Regeln des Zwangsvoll­streck­ungsrechts zurück­greifen, z.B. bei Auss­chluss eines Miteigen­tümers (Art. 649b ZGB), wobei es um den Auss­chluss eines ren­i­ten­ten Miteigen­tümers geht, weshalb die öffentliche Ver­steigerung vom zwin­gend vorgegebe­nen Lauf gemäss den Regeln des Zwangsvoll­streck­ungsrechts bes­timmt wird. Die Aufhe­bung des Miteigen­tums wird jedoch in die Hände des Teilungs­gerichts gelegt, welch­es die Steigerungs­be­din­gun­gen frei gestal­ten, gegebe­nen­falls stre­it­ige Modal­itäten entschei­den, vere­in­barte Modal­itäten jedoch berück­sichti­gen kann. Der Rück­griff auf Art. 649b Abs. 3 ZGB oder andere pri­va­trechtliche Bes­tim­mungen stellt daher die fehlende zwangsvoll­streck­ungsrechtliche Natur der öffentlichen Ver­steigerung nach Art. 651 Abs. 2 ZGB nicht in Frage (E. 3.5.3).

Sodann wurde in BGE 115 II 331 die öffentliche Ver­steigerung in der Erbteilung (Art. 612 Abs. 3 ZGB) eben­falls zu den “frei­willi­gen” Ver­steigerun­gen nach Art. 229 Abs. 2 OR gezählt und der Zusam­men­hang zur eigentlichen Zwangsvoll­streck­ung verneint. Das Bun­des­gericht erwog, dass A nicht dargelegt hat, weshalb die Ver­steigerung nach Art. 651 Abs. 2 ZGB – Teilung der im Miteigen­tum ste­hen­den Sache – von der Natur her anders zu behan­deln wäre als die öffentliche Ver­steigerung in der Erbteilung. Das Bun­des­gericht erwog sodann, dass sich aus BGE 72 III 160 kein anderes Ergeb­nis ableit­en lässt (E. 3.5.4):

Zwar wird die For­mulierung, dass die öffentliche Ver­steigerung nach Art. 651 Abs. 2 ZGB der “Zwangsver­steigerung näher als der frei­willi­gen Ver­steigerung” ste­he, zuweilen dahinge­hend inter­pretiert, dass für der­ar­tige geset­zlich ange­ord­nete öffentliche Ver­steigerun­gen eine Kat­e­gorie sui gener­is zu bilden sei. Selb­st diese Lehrmei­n­ung geht indes nicht davon aus, dass für eine der­ar­tige Kat­e­gorie der zwin­gende Ver­fahrens­ablauf nach SchKG gel­ten soll (…).”

Das Bun­des­gericht kam daher zum Schluss, dass nicht zu bestanden ist, wenn das Appel­la­tion­s­gericht fest­ge­hal­ten hat, dass sich die vom Zivil­gericht ange­ord­nete öffentliche Ver­steigerung nach Art. 651 Abs. 2 ZGB nicht auf das SchKG bzw. die VZG stützt und für die Teilungsmodal­itäten die Anord­nun­gen des Teilungs­gerichts verbindlich sind. Der Gutachter war nach Beauf­tra­gung verpflichtet, den Parteien die Schätzung auf­trags­gemäss abzuliefern, allerd­ings nicht gestützt auf das Zwangsvoll­streck­ungsrecht. Das Ergeb­nis, dass das Betrei­bungsamt – man­gels ander­slau­t­en­der Eini­gung der ver­steigern­den Miteigen­tümer – auf den Teilungsentscheid, in welchem die Parteien die Schätzung durch I.H vere­in­bart hat­ten, abzustellen hat und keine neue Schätzung durch Sachver­ständi­ge in Anwen­dung von Art. 9 Abs. 2 VZG durchzuführen ist, stellt keine Ver­let­zung von Bun­desrecht dar (E. 3.5.5).