5A_406/2022: Arrest gestützt auf einen ICSID-Schiedsspruch; vorfrageweise Vollstreckbarerklärung und Erfordernis des genügenden Binnenbezugs (amtl. Publ.)

In einem zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_406/2022 vom 17. März 2023 setzte sich das Bundesgericht mit zwei Fragen auseinander, nämlich 1) ob ein ausländischer ICSID-Schiedsspruch im Rahmen des Arrestverfahrens einer separaten Vollstreckbarkeitserklärung bedarf und 2) ob die Anwendbarkeit des ICSID-Übereinkommens das Kriterium der genügenden Binnenbeziehung bei der Verarrestierung von Vermögenswerten eines fremden Staates ausschliesst. Das Bundesgericht bestätigte einerseits, dass die Frage der Vollstreckbarkeit eines ICSID-Schiedsspruchs (die glaubhaft gemacht werden muss) sich vorfrageweise im Rahmen des Arrestverfahrens prüfen lässt. Andererseits kam es zum Schluss, dass ein Binnenbezug selbst im Falle eines ICSID-Schiedsspruchs bestehen muss, um Vermögenswerte eines fremden Staates in der Schweiz zu verarrestieren.


Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Am 4. April 2022 stellte die Gläu­bigerin beim Region­al­gericht Bern-Mit­tel­land ein Arrest­ge­such gegen den Staat B. Sie ver­langte die Ver­ar­restierung von Schweiz­er Teilen von Wort­bild­marken, Paten­ten, Grund­stück­en, Bankkon­ten, Wertschrif­ten­de­pots, Ver­mö­genswerten in Tre­sorschliess­fäch­ern sowie Edel­met­allen. Die Gläu­bigerin stützte ihr Arrest­ge­such auf den Arrest­grund des defin­i­tiv­en Recht­söff­nungsti­tels (Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG) und ihre Arrest­forderung auf einen Schiedsspruch des Inter­na­tion­al Cen­tre for Set­tle­ment of Invest­ment Dis­putes (ICSID) vom 6. Sep­tem­ber 2019 (und dessen Berich­ti­gung vom 28. Okto­ber 2019) nach dem Übereinkom­men zur Bei­le­gung von Investi­tion­sstre­it­igkeit­en zwis­chen Staat­en und Ange­höri­gen ander­er Staat­en vom 18. März 1965 (ICSID-Übereinkom­men).

Mit Entscheid vom 5. April 2022 trat das Region­al­gericht Bern-Mit­tel­land auf das Arrest­ge­such nicht ein. Dage­gen erhob die Gläu­bigerin Beschw­erde beim Oberg­ericht des Kan­tons Bern, welch­es das Rechtsmit­tel mit Entscheid vom 28. April 2022 abwies.

Mit Eingabe vom 30. Mai 2022 erhob die Gläu­bigerin Beschw­erde beim Bun­des­gericht. Das Bun­des­gericht wies die Beschw­erde ohne Ein­hol­ung ein­er Vernehm­las­sung ab.


Arrestver­fahren und Vollstreckbarkeit 

Das Bun­des­gericht erwog zunächst, dass die von der Vorin­stanz vorgenommene Unter­schei­dung zwis­chen der Voll­streck­bar­erk­lärung bzw. der Fest­stel­lung der Voll­streck­barkeit eines Schiedsspruch­es und der Voll­streck­ung als solch­er falsch und willkür­lich ist (E. 3.2.3). Die Vorin­stanz hat­te u.a. befun­den, dass die Voll­streck­bar­erk­lärung eines auf Geld- oder Sicher­heit­sleis­tung lau­t­en­den Schied­surteils entwed­er vor­frageweise im Recht­söff­nungsver­fahren oder vorgängig in einem sep­a­rat­en Exe­quaturver­fahren erfolge. Im konkreten Fall sei nicht ersichtlich und werde von der Gläu­bigerin auch nicht behauptet, dass sie im Kan­ton Bern um eine Voll­streck­bar­erk­lärung im erörterten Sinn ersucht bzw. eine solche erwirkt hätte. Vielmehr ziele das Arrest­begehren direkt auf die zweite Ebene, das heisst auf die eigentliche Voll­streck­ung, ohne dass die Voll­streck­barkeit des Schiedsspruch­es fest­gestellt wor­den wäre. Den Rechts­begehren im Arrest­ge­such sei auch nicht zu ent­nehmen, dass eine Voll­streck­bar­erk­lärung vor­frageweise ver­langt wor­den wäre. “Bere­its aus diesem Grund” habe das Region­al­gericht eine Arrestle­gung zu Recht ver­weigert, so die Schlussfol­gerung des Oberg­erichts (E. 3.1.1).

Das Bun­des­gericht fasste die Grund­sätze des Arrests gestützt auf einen Schiedsspruch zusam­men und erwog, dass nach Art. 272 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG der Gläu­biger glaub­haft machen muss, dass ein Arrest­grund vor­liegt (E. 3.2.2).

«Beruft er sich darauf, dass er gegen den Schuld­ner einen defin­i­tiv­en Recht­söff­nungsti­tel besitzt (Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG), muss er im Falle eines Entschei­ds aus dem Aus­land auch glaub­haft machen, dass der Anerken­nung und Voll­streck­ung dieses aus­ländis­chen Titels dem ersten Anschein nach nichts ent­ge­gen­ste­ht. Hinge­gen set­zt Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG nicht voraus, dass der Gläu­biger vorgängig einen defin­i­tiv­en Entscheid über die Anerken­nung und Voll­streck­barkeit seines aus­ländis­chen Titels erwirkt, auf den er sein Arrest­ge­such stützen will. Die genauere Prü­fung der Anerken­nungsvo­raus­set­zun­gen und der Anerken­nungsver­weigerungs­gründe erfol­gt im Ver­fahren betr­e­f­fend die Ein­sprache gegen den Arrest­be­fehl (Art. 278 SchKG; s. BGE 139 III 135 E. 4.5.2). Im Falle eines aus­ländis­chen Schiedsspruchs ist für diese Prü­fung das [NYÜ] mass­ge­blich (Art. 194 IPRG). Über das ganze Arrest­be­wil­li­gungsver­fahren hin­weg, also auch im Ein­sprachev­er­fahren, prüft das Gericht die Voll­streck­barkeit des Entschei­des, auf den sich der Arrest­gläu­biger als Arrest­grund im Sinne von Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG beruft, nur unter dem Blick­winkel der Glaub­haft­machung. Zu ein­er recht­skraft­fähi­gen Entschei­dung über die Voll­streck­barkeit kommt es erst im Ver­fahren der Arrest­pros­e­quierung (Art. 279 SchKG), im Falle des Arrest­grunds nach Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG üblicher­weise im Rah­men der Beurteilung eines Gesuchs um defin­i­tive Recht­söff­nung nach Art. 80 f. SchKG (BGE 144 III 411 E. 6.3.1 mit Hinweis).» 

Das Bun­des­gericht präzisierte, dass die Son­derbes­tim­mung von Art. 271 Abs. 3 SchKG, wonach das Gericht bei aus­ländis­chen Entschei­den, die nach dem LugÜ zu voll­streck­en sind, in einem selb­ständi­gen Urteilsspruch mit Recht­skraftwirkung auch über deren Voll­streck­bar­erk­lärung entschei­det, auf Schiedssprüche keine Anwen­dung find­et, da die Schieds­gerichts­barkeit vom Anwen­dungs­bere­ich des Lugano-Übereinkom­mens aus­geschlossen ist (Art. 1 Abs. 2 lit. d LugÜ).

Im Zusam­men­hang mit dem NYÜ bes­timmt sich auss­chliesslich nach Art. V NYÜ, ob einem aus­ländis­chen Schiedsspruch die Anerken­nung und Voll­streck­ung zu ver­sagen ist. Vor­be­hal­ten bleiben andere mehr­seit­ige oder zwei­seit­ige Staatsverträge, welche die Anerken­nung und Voll­streck­ung von Schiedssprüchen unter weniger stren­gen Voraus­set­zun­gen zulassen (Art. VII Ziff. 1 NYÜ). Let­zteres trifft nach herrschen­der Auf­fas­sung auf das hier in Frage ste­hende ICSID-Übereinkom­men zu. Nach Mass­gabe von Art. 54 Abs. 1 ICSID-Übereinkom­men muss jed­er Ver­tragsstaat jeden im Rah­men des Übereinkom­mens erlasse­nen Schiedsspruch als bindend anerken­nen und die darin aufer­legten finanziellen Verpflich­tun­gen in seinem Hoheits­ge­bi­et voll­streck­en, als han­dle es sich um ein recht­skräftiges Urteil eines sein­er inner­staatlichen Gerichte. Dem­nach soll – abge­se­hen von der Prü­fung der Echtheit des Schiedsspruchs – über­haupt keine Kon­trolle erlaubt sein. Die Schweiz­er Behör­den dür­fen den ICSID-Schiedsspruch nicht auf all­ge­meine Anerken­nungsvo­raus­set­zun­gen hin über­prüfen; ins­beson­dere ist ihnen auch eine Ordre pub­lic-Kon­trolle ver­wehrt (E. 3.2.2).


Erforder­nis des Bin­nen­bezugs bei der Arrestle­gung von Ver­mö­genswerten eines frem­den Staates trotz Vor­liegen eines ICSID-Schiedsspruchs

Sodann set­zte sich das Bun­des­gericht mit der Frage des Erforderniss­es des Bin­nen­bezugs im Zusam­men­hang mit der Arrestle­gung bei einem ICSID-Schiedsspruch auseinan­der. Die Vorin­stanz hat­te im Sinne ein­er Even­tu­al­be­grün­dung erwogen, dass am Erforder­nis der Bin­nen­ziehung (im Sinne ein­er Ein­tretensvo­raus­set­zung) festzuhal­ten sei (E. 3.1.2).

Nach ein­er einge­hen­den Analyse bestätigte das Bun­des­gericht den Entscheid der Vorin­stanz in diesem Punkt.

Grund­sät­zlich­es

Das Bun­des­gericht rief zunächst die Grund­sätze der Ver­ar­restierung von Ver­mö­genswerten eines frem­den Staates in Erin­nerung: Erstens darf der fremde Staat im Rechtsver­hält­nis, das der Arrest­forderung zugrunde liegt, nicht hoheitlich («iure imperii») gehan­delt haben, son­dern muss als Träger von pri­vat­en Recht­en («iure ges­tio­n­is») aufge­treten sein. Zweit­ens set­zt eine Zwangsvoll­streck­ungs­mass­nahme gegen einen frem­den Staat auch in Fällen pri­va­trechtlichen Han­delns voraus, dass das besagte Rechtsver­hält­nis eine hin­re­ichende Bin­nen­beziehung zum schweiz­erischen Staats­ge­bi­et aufweist. Es müssen Umstände vor­liegen, die das Rechtsver­hält­nis so sehr an die Schweiz binden, dass es sich recht­fer­tigt, den frem­den Staat vor schweiz­erischen Behör­den zur Ver­ant­wor­tung zu ziehen. Drit­tens sind von einem Voll­streck­ungsver­fahren diejeni­gen in der Schweiz befind­lichen Ver­mö­genswerte des frem­den Staates ausgenom­men, die hoheitlichen Zweck­en dienen (E. 3.3.2).

Die Recht­snatur des Erforderniss­es des Bin­nen­bezugs ist umstrit­ten: Ein neuer­er Bun­des­gericht­sentscheid liess aus­drück­lich offen, ob es sich beim Erforder­nis der hin­re­ichen­den Bin­nen­beziehung um einen Aspekt der Immu­nität fremder Staat­en betr­e­f­fend die schweiz­erische Gerichts­barkeit oder um eine Frage der inter­na­tionalen Zuständigkeit han­delt, da es so oder anders um eine Prozessvo­raus­set­zung geht, deren Fehlen zu einem Nichtein­tretensentscheid führt (BGE 144 III 411) (E. 3.3.2).

Im Anwen­dungs­bere­ich des New York Übereinkommens

Mit Bezug auf einen aus­ländis­chen Schiedsspruch, der nach Mass­gabe des NYÜ zu anerken­nen und zu voll­streck­en ist, stellte das Bun­des­gericht in BGE 144 III 411 klar, dass die Prü­fung allfäl­liger Anerken­nungsver­sa­gungs­gründe die prozes­suale Zuläs­sigkeit des Gerichtsver­fahrens voraus­set­zt, in welchem diese Prü­fung stat­tfind­en soll. Das NYÜ behält die Regelung des Ver­fahrens der Anerken­nung und Voll­streck­ung aber grund­sät­zlich dem nationalen Recht vor; gemäss Art. III NYÜ lässt jed­er Ver­tragsstaat Schiedssprüche nach den Ver­fahrensvorschriften des Hoheits­ge­bi­etes, in dem der Schiedsspruch gel­tend gemacht wird, zur Voll­streck­ung zu. Somit kommt es mit Blick auf das Erforder­nis der hin­re­ichen­den Bin­nen­beziehung auch nicht darauf an, dass Art. V NYÜ die Gründe für eine Ver­weigerung der Anerken­nung und Voll­streck­ung eines aus­ländis­chen Schiedsspruchs abschliessend auf­führt. Fehlt es im Stre­it um die Bewil­li­gung eines Staate­nar­rests an der hin­re­ichen­den Bin­nen­beziehung, so scheit­ert die Glaub­haft­machung des Arrest­grun­des (Art. 272 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG) nach Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG jeden­falls daran, dass das Gericht auf ein gegen den frem­den Staat gestelltes Recht­söff­nungs­ge­such oder eine zur Pros­e­quierung ein­gere­ichte Klage (Art. 279 SchKG) aller Voraus­sicht nach gar nicht ein­treten wird. In jen­em Entscheid liess das Bun­des­gericht die Frage offen, ob angesichts der fehlen­den Bin­nen­beziehung schon das Arrest­gericht seine Juris­dik­tion hätte verneinen und das Arrest­ge­such für unzuläs­sig hätte erk­lären müssen, anstatt sich (erst) im Rah­men der Prü­fung des Arrest­grun­des nach Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG mit der Frage der Bin­nen­beziehung auseinan­derzuset­zen (E. 3.3.2).

Im Anwen­dungs­bere­ich des ICSID-Übereinkommens

Das Bun­des­gericht stellte zunächst fest, dass es sich bis heute nicht mit einem Arrest­be­wil­li­gungs- oder Arrestein­sprachev­er­fahren, in welchem als Arrest­grund im Sinne von Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG ein ICSID-Schiedsspruch angerufen wurde, befasst hat (E. 3.3.2).

Das Bun­des­gericht set­zte sich in der Folge mit den Lehrmei­n­un­gen zu dieser Frage auseinan­der (E. 3.3.2):

  • Ein Teil der Lehre stellt sich auf den Stand­punkt, dass das Erforder­nis der hin­re­ichen­den Bin­nen­beziehung auch bei der Voll­streck­ung eines gegen einen frem­den Staat ergan­genen ICSID-Schiedsspruchs gel­ten soll.
  • Weit­ere Autoren sind der Mei­n­ung, dass der in 54 und 55 ICSID-Übereinkom­men ver­ankerte eigen­ständi­ge Mech­a­nis­mus den schweiz­erischen Regeln über die Staaten­im­mu­nität in der Voll­streck­ung weichen muss.
    In diesem Zusam­men­hang merk­te das Bun­des­gericht an, dass ger­ade MARCO STACHER, der im Erforder­nis der Bin­nen­beziehung einen Ver­stoss gegen das New York­er Übereinkom­men sieht, das­selbe Erforder­nis im Falle der Voll­streck­ung eines ICSID-Schiedsspruch­es für anwend­bar hält, weil Art. 55 ICSID-Übereinkom­men das interne Recht des Voll­streck­ungsstaates zur Staaten­im­mu­nität vor­be­halte, zu dem in der Schweiz nach bun­des­gerichtlich­er Recht­sprechung auch das Kri­teri­um des Bin­nen­bezugs gehöre.
  • Eine weit­ere Lehrmei­n­ung ver­tritt die Ansicht, dass das Erforder­nis ein­er materiellen Beziehung der stre­it­i­gen Schiedssache zum Staat, dessen Gerichte um Voll­streck­ung ersucht wer­den, im Kon­text von ICSID-Schiedssprüchen nicht rel­e­vant sein soll. Gemäss dieser Lehrmei­n­ung bezieht sich die in 54 ICSID-Übereinkom­men ver­ankerte all­ge­meine Pflicht der Ver­tragsstaat­en, finanzielle Verpflich­tun­gen in ihrem Hoheits­ge­bi­et zu voll­streck­en, nicht nur auf die Anerken­nung, son­dern auch auf die Voll­streck­ung. Daraus fol­gt, dass das ICSID-Übereinkom­men selb­st die für die gerichtliche Zuständigkeit erforder­liche Verbindung erzeugt. Diese Lehrmei­n­ung weist jedoch auch auf das (unter anderem) in der Schweiz prak­tizierte Erforder­nis der hin­re­ichen­den Bin­nen­beziehung und auf die Tat­sache hin, dass Art. 55 ICSID-Übereinkom­men als Achilles­ferse des Übereinkom­mens ange­se­hen wer­den kann, weil die Ver­tragsstaat­en nicht zur Voll­streck­ung von ICSID-Schiedssprüchen verpflichtet seien, wenn die Voll­streck­ung gegen ihr eigenes Recht der Voll­streck­ungsim­mu­nität verstiesse.

Sodann set­zte sich das Bun­des­gericht mit dem Sinn und Zweck von Art. 54 ICSID-Übereinkom­men auseinan­der (E. 3.3.3):

  • 54 Abs. 1 ICSID-Übereinkom­men schliesst die nach dem NYÜ und/oder nach dem Lan­desrecht gegebene Möglichkeit aus, den Schiedsspruch im Rah­men eines Voll­streck­ungsver­fahrens zu über­prüfen. Mit dem Erforder­nis der Bin­nen­beziehung verbindet sich keine inhaltliche Über­prü­fung des Schiedsspruchs im Rah­men des Arrestver­fahrens, son­dern die Frage, ob es sich unter den gegebe­nen Umstän­den recht­fer­tigt, den frem­den Staat vor schweiz­erischen Behör­den zur Ver­ant­wor­tung zu ziehen.
  • Gemäss 54 Abs. 3 ICSID-Übereinkom­men sind auf die Voll­streck­ung des Schiedsspruchs die Rechtsvorschriften für die Voll­streck­ung von Urteilen anzuwen­den, die in dem Staat gel­ten, in dessen Hoheits­ge­bi­et die Voll­streck­ung begehrt wird. Das Erforder­nis der hin­re­ichen­den Bin­nen­beziehung ergibt sich aber aus dem schweiz­erischen Lan­desrecht. Die Behaup­tung der Gläu­bigerin, dass dieses Erforder­nis die völk­er­rechtliche Voll­streck­ungspflicht schmälere, ver­mag allein keine Willkür darzutun.

Fehlen­der Bin­nen­bezug im konkreten Fall

In ihrem Arrest­ge­such machte die Gläu­bigerin u.a. gel­tend, dass die im ICSID-Schiedsspruch vom 6. Sep­tem­ber 2019 zuge­sproch­ene Schaden­er­satz­forderung in der Schweiz zu erfüllen und eine hin­re­ichende Bin­nen­beziehung damit gegeben sei. Da sowohl das ICSID-Übereinkom­men als auch der Ver­trag über die Energiechar­ta Schweiz­er Recht bilden, würde die gestützt auf den ICSID-Schiedsspruch als Arrest­forderung gel­tend gemachte Schaden­er­satz­forderung eine Geld­forderung darstellen, die «nach Schweiz­er Recht» am Wohn­sitz des Gläu­bigers gemäss Art. 74 Abs. 2 Ziff. 1 OR zu erfüllen sei (E. 3.4.1).

Das Bun­des­gericht ver­warf die Argu­men­ta­tion der Gläu­bigerin und erwog, dass die Voraus­set­zung der hin­re­ichen­den Bin­nen­beziehung ins­beson­dere dann erfüllt ist (E. 3.4.2),

«wenn das Schuld­ver­hält­nis, aus dem die stre­it­i­gen Arrest­forderun­gen hergeleit­et wer­den, in der Schweiz begrün­det wurde oder wenn es hier zu erfüllen ist oder wenn der fremde Staat in der Schweiz zumin­d­est Hand­lun­gen vorgenom­men hat, mit denen er in der Schweiz einen Erfül­lung­sort begrün­dete. Hinge­gen genügt es nicht, dass Ver­mö­genswerte des frem­den Staates in der Schweiz gele­gen sind oder die Forderung von einem Schieds­gericht mit Sitz in der Schweiz zuge­sprochen wurde.» 

Selb­st wenn für die Schweiz verbindliche Völk­er­recht­snor­men unmit­tel­bar inner­staatliche Gel­tung erlan­gen, beanspruchen sie lediglich dieselbe Gel­tung wie das Landesrecht.

Fern­er rief das Bun­des­gericht in Erin­nerung, dass die bei­den Staatsverträge eigene Regeln darüber enthal­ten, welche Rechtsvorschriften (Sach­nor­men) auf eine Stre­it­igkeit zwis­chen einem Investor und einem Gast­land anzuwen­den sind (E. 3.4.3):

«Nach Art. 42 Abs. 1 Satz 1 ICSID-Übereinkom­men ist über die Stre­it­igkeit in erster Lin­ie gemäss den von den Parteien vere­in­barten Rechtsvorschriften zu entschei­den. Eine solche Vere­in­barung über das anwend­bare Recht ist in Art. 26 Abs. 6 VEC enthal­ten (…). Dem­nach entschei­det das Schieds­gericht über die strit­ti­gen Fra­gen in Übere­in­stim­mung mit diesem Ver­trag – also den Bes­tim­mungen des VEC – und den gel­tenden Regeln und Grund­sätzen des Völk­er­rechts. Inwiefern die in Art. 74 Abs. 2 Ziff. 1 OR ver­ankerte Regel sich (auch) aus dem Ener­gy Char­ter Treaty ergibt und/oder als Grund­satz des Völk­er­rechts gel­ten muss, ist der Beschw­erde nicht zu ent­nehmen. Hierzu genügt es nicht, ein­fach zu behaupten, das Oberg­ericht ver­let­ze den unum­strit­te­nen und fun­da­men­tal­en Grund­satz, wonach “Geld­schulden Bringschulden” sind.»