4A_412/2022: Behauptungslast der Einsprache gegen die Kündigung nach Art. 336b OR (amtl. Publ.)

Im zur Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil 4A_412/2022 vom 11. Mai 2023 befasste sich das Bun­des­gericht mit der Frage, welche Partei die Ein­sprache gegen eine Kündi­gung gemäss Art. 336b OR im Ver­fahren behaupten müsse.

Im vor­liegen­den Fall hat­te die gekündigte Arbeit­nehmerin eine Entschädi­gung wegen miss­bräuch­lich­er Kündi­gung in der Höhe von sechs Monat­slöh­nen im Betrag von total CHF 37’500 eingeklagt. In der erstin­stan­zlichen Hauptver­hand­lung hat­te sich das Gericht erst­mals nach ein­er allfäl­li­gen Ein­sprache gegen die Kündi­gung erkundigt. Die Arbeit­nehmerin erk­lärte, sie habe diese während der Kündi­gungs­frist an die Arbeit­ge­berin geschickt. Sie räumte ein, dass sie es ver­säumt habe, das Schreiben vorzule­gen, bot aber an, dies in diesem Ver­fahrenssta­di­um nachzu­holen und wies darauf hin, dass das Schreiben in den Akten erwäh­nt wor­den sei.

Das erstin­stan­zliche Gericht wies in der Folge die Klage ab, weil die Arbeit­nehmerin nicht rechtzeit­ig behauptet (und bewiesen) habe, dass sie sich vor Ablauf der Kündi­gungs­frist gegen die Kündi­gung gewehrt hätte und die Voraus­set­zun­gen für ein echt­es Novum (Art. 229 Abs. 1 ZPO) nicht erfüllt seien, weshalb ihr Anspruch ver­wirkt sei.

Das Gen­fer Kan­ton­s­gericht hob den ange­focht­e­nen Entscheid auf und ver­wies die Sache zur Ergänzung der Beweisauf­nahme zurück an die Vorin­stanz mit der Begrün­dung, die Nichtver­wirkung eines Rechts sei eine implizite Tat­sache, die nur dann behauptet und bewiesen wer­den müsse, wenn sie von der Gegen­partei bestrit­ten werde, was vor­liegend nicht der Fall gewe­sen sei. Dage­gen erhob die Arbeit­ge­berin Beschw­erde vor dem Bundesgericht.

Das Bun­des­gericht hielt zunächst fest, dass infolge der Stre­itwerthöhe die Ver­hand­lungs­maxime (Art. 247 Abs. 2 lit. b Ziff. 2 ZPO) zur Anwen­dung gelange, während der Richter der Inter­pel­la­tion­spflicht nach Art. 56 ZPO unter­läge (E. 4.1).

Weit­er erwog das Bun­des­gericht in Ausle­gung von Art. 336b OR, dass der Richter die Ver­wirkung von Amtes wegen festzustellen habe, da ein ver­wirk­tes Recht – anders als ein ver­jährter Anspruch – nicht mehr existiere. Wenn nun aber der Richter von Amtes wegen, d.h. unab­hängig von den Argu­menten der Parteien, aber im Rah­men der Ver­hand­lungs­maxime tätig werde, ent­binde dies die Parteien nicht davon, ihm die notwendi­gen Tat­sachen und Beweise zu unter­bre­it­en E. 4.2).

In der Recht­sprechung fän­den sich, so das Bun­des­gericht, ver­schiedene Aus­sagen zur Behaup­tungs- und Beweispflicht im Zusam­men­hang mit Ver­wirkungs­fris­ten. Im Zusam­men­hang mit «echt­en Ver­wirkungs­fris­ten» sei fest­ge­hal­ten wor­den, dass wer sich auf ein Recht berufe, das ein­er Ver­wirkungs­frist unter­liege, beweisen müsse, dass er die Frist einge­hal­ten habe, da die Ein­hal­tung dieses Erforderniss­es ein kon­sti­tu­tives Ele­ment des Rechts und eine Voraus­set­zung für die Klageer­he­bung sei (m. Ver­weis auf Urteile 5C.215/1999 vom 9. März 2000 E. 6b; 4A_200/2008 vom 18. August 2008 E. 2.4.2.1).

Gele­gentlich sei auch fest­ge­hal­ten wor­den, dass die Nichtver­wirkung eines Rechts eine implizite, in ein­er Behaup­tung enthal­tene, Tat­sache sei, die der Kläger nur dann behaupten und beweisen müsse, wenn die Gegen­partei sie bestrit­ten habe. Da jedoch Ver­wirkungs­fris­ten viele ver­schiedene Sit­u­a­tio­nen zum Gegen­stand hät­ten, solle von ein­er Ver­all­ge­meinerung abge­se­hen wer­den (u.a. m. Ver­weis auf Urteil 4A_243/2018 vom 17. Dezem­ber 2018 E. 4.2.1).

In Bezug auf die vor­liegend rel­e­vante Frist erwog das Bun­des­gericht, dass diese sich von ein­er echt­en Klage­frist unter­schei­de, da der gekündigte Arbeit­nehmer über­haupt nur einen Anspruch auf Entschädi­gung wegen miss­bräuch­lich­er Kündi­gung habe, wenn er eine gültige Ein­sprache erhoben habe und die Parteien sich nicht über die Aufrechter­hal­tung des Arbeitsver­hält­niss­es hät­ten eini­gen kön­nen. Ein Anspruch auf Entschädi­gung beste­he somit nur, wenn die Ein­sprache erhoben wor­den und erfol­g­los gewe­sen sei. Sie trage somit zur Begrün­dung der Entschädi­gung bei.

Unter diesen Umstän­den könne für die Behaup­tung und den Beweis der rechtzeit­i­gen Ein­sprache nicht zuge­wartet wer­den, bis die beklagte Partei die Ver­wirkung gel­tend mache. Es sei dem­nach am Arbeit­nehmer aufzuzeigen, dass die Voraus­set­zun­gen für die Begrün­dung seines Anspruchs erfüllt seien, d.h. er müsse die tat­säch­lichen Umstände behaupten und beweisen, aus denen der Richter den Anspruch auf eine Entschädi­gung für miss­bräuch­liche Kündi­gung ableit­en könne. Dieser set­ze eine gültige Ein­sprache in Schrift­form voraus. Gegebe­nen­falls müsse der Richter ausle­gen, ob auf­grund des Wort­lauts tat­säch­lich eine Ein­sprache vor­liege, was eine for­mgerechte Behaup­tung mit Beweisange­bot recht­fer­tige (E. 4.2).

Diese Anforderun­gen habe die kla­gende Arbeit­nehmerin schlicht nicht erfüllt: Das strit­tige Schreiben habe sich nicht in den Akten befun­den und es sei offen­sichtlich, dass das erst in der Hauptver­hand­lung ange­botene Schrift­stück auf­grund der Noven­schranke unzuläs­sig gewe­sen sei. Es könne deshalb dem erstin­stan­zlichen Gericht gefol­gt wer­den, wonach sich der Beweis für die Ein­sprache auch nicht aus anderen Ele­menten in den Akten ergeben hät­ten (E. 4.2). Die Inter­pel­la­tion­spflicht des Richters helfe der Arbeit­nehmerin vor­liegend nicht weit­er, weil sie bere­its vor Beginn des Ver­fahrens anwaltlich vertreten gewe­sen sei (E. 4.3).

Das Bun­des­gericht hiess dem­nach die Beschw­erde gut und wies die Klage in Abän­derung des vorin­stan­zlichen Urteils ab (E. 5.).