5A_514/2022: Nachweis der Rechtzeitigkeit des Rechtsvorschlags per E‑Mail (amtl. Publ.)

In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_514/2022 vom 28. März 2023 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob und wann der Rechtsvorschlag als erhoben gilt, wenn der Betriebene diesen per E‑Mail erhebt. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass ein Rechtsvorschlag per E‑Mail grundsätzlich formgültig ist. Der Betriebene muss jedoch nachweisen, dass der per E‑Mail erhobene Rechtsvorschlag rechtzeitig beim Betreibungsamt eingegangen ist. Dabei gilt das Regelbeweismass der vollen Überzeugung.

Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Mit Betrei­bungs­begehren vom 26. Novem­ber 2021 leit­ete A (Beschw­erde­führer) gegen den Kan­ton Basel-Land­schaft die Betrei­bung für eine Forderung von CHF 70’000’100 neb­st Zins ein. Daraufhin stellte das Betrei­bungsamt Basel-Land­schaft am 7. Dezem­ber 2021 den Zahlungs­be­fehl  aus, welch­er der Lan­deskan­zlei des Kan­tons Basel-Land­schaft am 10. Dezem­ber 2021 zugestellt wurde. Nach Erhalt des Gläu­biger­dop­pels des besagten Zahlungs­be­fehls, auf welchem das Betrei­bungsamt bestätigte, dass kein Rechtsvorschlag erhoben wor­den sei, stellte A am 19. Jan­u­ar 2022 das Fort­set­zungs­begehren. Am 14. Feb­ru­ar 2022 wies das Betrei­bungsamt das Fort­set­zungs­begehren von A mit der Begrün­dung zurück, dass der Betriebene recht­szeit­ig Rechtsvorschlag erhoben habe. Dieser sei vom Betrei­bungsamt zunächst fälschlicher­weise nicht pro­tokol­liert worden.

Dage­gen erhob A SchKG-Beschw­erde bei der Auf­sichts­be­hörde Schuld­be­trei­bung und Konkurs Basel-Land­schaft, welche mit Entscheid vom 14. Juni 2022 abgewiesen wurde. Daraufhin reichte A mit Eingabe vom 4. Juli 2022 Beschw­erde in Zivil­sachen beim Bun­des­gericht ein. Das Bun­des­gericht hiess die Beschw­erde teil­weise gut, hob den Entscheid der Vorin­stanz auf und wies die Sache zur weit­eren Beurteilung im Sinne der Erwä­gun­gen an die Vorin­stanz zurück.


Form des Erk­lärung des Rechtsvorschlags

Das Bun­des­gericht rief zunächst seine Recht­sprechung zur Form der Erk­lärung des Rechtsvorschlags in Erin­nerung. Will der Betriebene Rechtsvorschlag erheben, muss er dies sofort dem Über­bringer des Zahlungs­be­fehls oder innert zehn Tagen nach der Zustel­lung dem Betrei­bungsamt mündlich oder schriftlich erk­lären (Art. 74 Abs. 1 SchKG). Die Erk­lärung des Rechtsvorschlags kann form­frei erfol­gen. Das Bun­des­gericht hielt bere­its 1902 dazu fest, dass der Betriebene, angesichts der Beson­der­heit des SchKG, wonach grund­sät­zlich jed­erzeit gegenüber jed­er­mann voraus­set­zungs­los eine Betrei­bung ein­geleit­et wer­den kann, zu berechti­gen ist, durch Abgabe ein­er blossen Erk­lärung in der ein­fach­sten Weise die Fort­set­zung der Betrei­bung zu hem­men. Auch ein per Tele­fon oder Tele­fax erhoben­er Rechtsvorschlag ist gültig, wenn das Betrei­bungsamt im konkreten Fall keine Zweifel an der Iden­tität des Anrufers bzw. Absenders haben muss (E. 2.1).

Das Bun­des­gericht erwog, dass diese Recht­sprechung bei einem Rechtsvorschlag per E‑Mail ana­log gilt. Das Bun­des­gericht äusserte jedoch einige Bedenken zur Frage des Nach­weis­es des rechtzeit­i­gen Ein­gangs des Rechtsvorschlags beim Betrei­bungsamt (E. 2.1):

“Allerd­ings gilt bei E‑Mail-Eingaben ein strenges Emp­fang­sprinzip und es beste­hen erhe­bliche Beweis­risiken (…). Angesichts der man­gel­nden Zuver­läs­sigkeit des elek­tro­n­is­chen Verkehrs im All­ge­meinen und der Schwierigkeit, den Ein­gang ein­er E‑Mail in den Herrschafts­bere­ich des Empfängers nachzuweisen, im Beson­deren, ist der Absender ein­er E‑Mail gehal­ten, vom Empfänger eine Emp­fangs­bestä­ti­gung zu ver­lan­gen, und beim Aus­bleiben ein­er solchen rechtzeit­ig zu reagieren. Es obliegt dem Absender, gewisse Vor­sichts­mass­nah­men zu tre­f­fen, um nicht nach den Regeln der Beweis­lastverteilung Gefahr zu laufen, dass die elek­tro­n­is­che Sendung nicht oder nicht rechtzeit­ig innert der geset­zlichen Frist in den Herrschafts­bere­ich der zuständi­gen Behörde gelangt (…).”

Beweis­mass für den Nach­weis der (rechtzeit­i­gen) Erhe­bung des Rechtsvorschlags

In der Folge set­zte sich das Bun­des­gericht mit der Frage des Beweis­mass­es i.Z.m. der Erhe­bung des Rechtsvorschlags auseinan­der und stellte fest, dass die kan­tonale Recht­sprechung kein ein­heitlich­es Bild ver­mit­telt (E. 2.2.1):

“Ein­er­seits wird von den kan­tonalen Auf­sichts­be­hör­den mitunter sog­ar die blosse Glaub­haft­machung der rechtzeit­i­gen Erk­lärung als genü­gend erachtet, um den Rechtsvorschlag zuzu­lassen (…). Ander­er­seits wird die Ein­räu­mung ein­er Beweiser­le­ichterung regelmäs­sig gän­zlich abgelehnt bzw. gar nicht erst in Betra­cht gezo­gen (…). Ohne auf die divergieren­den kan­tonalen Prax­en Bezug zu nehmen, hat sich auch das Bun­des­gericht bis­lang mit der all­ge­meinen Aus­sage beg­nügt, dass der Betriebene seine Behaup­tung, Rechtsvorschlag erhoben zu haben, zu beweisen hat.”

Das Bun­des­gericht kam zum Schluss, dass das Regel­be­weis­mass der vollen Überzeu­gung für den Nach­weis der rechtzeit­i­gen Erhe­bung des Rechtsvorschlags gilt, der vom Betriebe­nen zu erbrin­gen ist (E. 2.2.2), da sich der Betriebene für den Nach­weis der (rechtzeit­i­gen) Erhe­bung des Rechtsvorschlags nicht in ein­er Beweis­not befind­et (E. 2.2.4).

Im konkreten Fall erwog das Bun­des­gericht — im Gegen­satz zur Vorin­stanz -, dass der Betriebene die Rechtzeit­igkeit des E‑Mail-Ein­gangs beim Betrei­bungsamt nicht nachgewiesen hat, weshalb er die Fol­gen der Beweis­losigkeit zu tra­gen hat (E. 2.4):

Vor­liegend hat sich der Beschw­erdegeg­n­er auf die Dar­legung beschränkt, dass eine den Rechtsvorschlag bein­hal­tende E‑Mail am 10. Dezem­ber 2021 versendet wor­den sei, was nach den Regeln der Beweis­lastverteilung nicht aus­re­ichend ist. Allein das Absenden ein­er E‑Mail begrün­det noch keine erfol­gre­iche Mit­teilung, weshalb für den Beweis der voll­ständi­gen Über­mit­tlung bzw. der Rechtzeit­igkeit ein vom Absender der E‑Mail ein­gere­ichter Com­put­er­aus­druck sein­er Nachricht nicht genügt (…). Die blosse Möglichkeit, dass das Betrei­bungsamt die E‑Mail verse­hentlich unbear­beit­et gelöscht haben kön­nte, recht­fer­tigt es nicht, den Beschw­erdegeg­n­er von der Beweis­last für den (rechtzeit­i­gen) Zugang der besagten E‑Mail zu befreien.”