5A_176/2023: Abänderung des Kindesunterhalts wegen Mehreinkommens des betreuenden Elternteils (amtl. Publ.)

Gemäss bish­eriger Recht­sprechung durften Kindesun­ter­halts­beiträge wegen erhöht­en Einkom­mens des betreuen­den Eltern­teils nur abgeän­dert wer­den, wenn anson­sten ein unzu­mut­bares finanzielles Ungle­ichgewicht zwis­chen den Eltern ent­standen wäre. Das Bun­des­gericht stellt im Urteil 5A_176/2023 vom 9. Feb­ru­ar 2024 nun erst­mals klar, dass diese Voraus­set­zung nicht für die Abän­derung des Betreu­ung­sun­ter­halts gilt.

Zusam­men­fas­sung

Im hier besproch­enen Fall ver­langte der unter­halt­spflichtige Vater wegen erhöht­en Erwerb­seinkom­mens der betreuen­den Mut­ter unter anderem, dass der im Schei­dung­surteil fest­ge­set­zte Betreu­ung­sun­ter­halt her­abzuset­zen sei. Das Oberg­ericht Zürich wies den Antrag ab. Es erwog, ein erhöht­es Einkom­men des haupt­be­treuen­den Eltern­teils solle nach der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung dem Kind zugutekom­men, sofern der unter­halt­spflichtige Eltern­teil nicht über­mäs­sig schw­er belastet sei. Diese Recht­sprechung sei zwar zum alten Recht ergan­gen, habe jedoch auch nach Ein­führung des Betreu­ung­sun­ter­halts uneingeschränkt Gel­tung. Vor­liegend sei der Vater, wenn man die von ihm errech­neten Über­schüsse betra­chte, im Ver­gle­ich zur Mut­ter nicht über­mäs­sig belastet. Eine Abän­derung des Betreu­ung­sun­ter­halts komme daher nicht in Frage. Dage­gen gelangte der Vater an das Bun­des­gericht. 

Das Bun­des­gericht erwog, der Betreu­ung­sun­ter­halt sei formell als Anspruch des Kindes aus­gestal­tet, komme jedoch wirtschaftlich dem betreuen­den Eltern­teil zu. Dieser Umstand spreche dage­gen, Mit­tel, die zufolge Erhöhung des Einkom­mens des betreuen­den Eltern­teils frei wer­den, dem Kind zu belassen. Damit wäre eine wirtschaftliche Neuzuord­nung des entsprechen­den Betrags ver­bun­den, die sich nicht recht­fer­ti­gen liesse (E. 5.3.1).

Da sich der Betreu­ung­sun­ter­halt aus der Dif­ferenz zwis­chen dem fam­i­lien­rechtlichen Grundbe­darf und dem Net­toeinkom­men des betreuen­den Eltern­teils errechne, schlage sich ein erhöht­es Einkom­men des betreuen­den Eltern­teils unmit­tel­bar in der Höhe des geschulde­ten Unter­halts nieder. Bei ein­er wesentlichen Änderung der Einkom­men­shöhe sei es daher nicht gerecht­fer­tigt, den Unter­halt in der alten Höhe zu belassen (E. 5.3.2).

Der Betreu­ung­sun­ter­halt solle die Nachteile aus­gle­ichen, die dem betreuen­den Eltern­teil durch die Kinder­be­treu­ung erwach­sen. Ver­möge der betreuende Eltern­teil zufolge eines gesteigerten Einkom­mens seinen Grundbe­darf neu ganz oder in erhe­blich grösserem Umfang selb­st zu deck­en, beste­he kein Grund mehr, weit­er­hin Betreu­ung­sun­ter­halt auszuricht­en. Daher dürfe in diesem Fall eine Abän­derung des Betreu­ung­sun­ter­halts nicht prinzip­iell aus­geschlossen wer­den. Vielmehr habe eine Anpas­sung des Betreu­ung­sun­ter­halts zu erfol­gen, sofern die einge­tretene Änderung dauer­haft und wesentlich sei. Eine weit­erge­hende Gesamt­be­tra­ch­tung erweise sich beim Betreu­ung­sun­ter­halt als unzuläs­sig (E. 5.3.3). 

Anderes gelte beim Barun­ter­halt, der die (direk­ten) Kosten für das Kind abdecke. Bei dessen Fest­set­zung könne den Beson­der­heit­en des Einzelfalls angemessen Rech­nung getra­gen wer­den, wom­it auch Raum für eine auf die Umstände des Einzelfalls abges­timmte Verbesserung der Stel­lung des Kindes beste­he (E. 5.3.1). 

Kom­men­tar

Das Bun­des­gericht hat seine Recht­sprechung zur Abän­derung der Kindesun­ter­halts­beiträge wegen verbessert­er finanzieller Ver­hält­nisse des betreuen­den Eltern­teils vor der Ein­führung des Betreu­ung­sun­ter­halts entwick­elt. Ob diese Recht­sprechung auch mit Bezug auf den neu einge­führten Betreu­ung­sun­ter­halt gilt, hat­te das Bun­des­gericht bis anhin nicht entsch­ieden. Es klärt somit erst­mals, dass der Frage, ob die verbesserten finanziellen Ver­hält­nisse des betreuen­den Eltern­teils zu einem unzu­mut­baren finanziellen Ungle­ichgewicht zwis­chen den Eltern­teilen führen, bei der Abän­derung des Betreu­ung­sun­ter­halts keine Bedeu­tung zukommt.

Das Urteil überzeugt. Vor der Ein­führung des Betreu­ung­sun­ter­halts wur­den betreu­ungs­be­d­ingte Einkom­mensver­luste über den (nach-)ehelichen Unter­halt aus­geglichen. Der Kindesun­ter­halt beschränk­te sich auf den Barun­ter­halt, also die direk­ten Kosten des Kindes. Entsprechend hat­te eine verbesserte finanzielle Sit­u­a­tion des betreuen­den Eltern­teils keine Auswirkun­gen auf die Höhe der Kindesun­ter­halts­beiträge. Der Barun­ter­halt ist grund­sät­zlich vom nicht­be­treuen­den Eltern­teile alleine zu tra­gen. Entsprechend kon­nten verbesserte finanzielle Ver­hält­nisse des betreuen­den Eltern­teils nur aus­nahm­sweise zu ein­er Neu­verteilung des Kindesun­ter­halts führen. Es war daher gerecht­fer­tigt, die Abän­derung wegen verbesserte finanzieller Ver­hält­nisse des betreuen­den Eltern­teils nur restrik­tiv zuzu­lassen. Neu ist der Betreu­ung­sun­ter­halt Teil des Kindesun­ter­halts. Entsprechend wirkt sich die verbesserte finanzielle Sit­u­a­tion des betreuen­den Eltern­teils direkt auf die Höhe des Kindesun­ter­halts und nicht mehr nur auf die Verteilung des Unter­halts auf die Eltern aus. Entsprechend ist die restrik­tive Abän­derung­sprax­is beim Betreu­ung­sun­ter­halt nicht mehr angemessen. 

Zu beacht­en ist allerd­ings, dass bei ein­er Reduk­tion des Betreu­ung­sun­ter­halts auf Seit­en des nicht­be­treuen­den Eltern­teils zusät­zliche Mit­tel frei wer­den und sich entsprechend dessen Über­schuss erhöht. Das Kind ist an diesem zusät­zlichen Über­schuss zu beteili­gen. Sofern der erhöhte Über­schus­san­teil den reduzierten Betreu­ung­sun­ter­halt ganz oder nahezu kom­pen­siert, ist das Abän­derungs­ge­such abzuweisen: Bei ein­er ger­ingfügi­gen Dif­ferenz zwis­chen dem ursprünglichen und dem aktu­al­isierten monatlichen Unter­halts­beitrag, ist keine Abän­derung angezeigt (LGVE 2023 II Nr. 1 E. 4.4.1.).